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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 5. Die könige von Athen.
zeigte Hippomenes, einer aus dem hause, aber ersichtlich kein könig
mehr, dass auf ihn der vorwurf nicht zutraf, durch die masslos strenge
bestrafung seiner tochter und ihres buhlen. so Aristoteles; und Aischines
(1, 182), dessen überlieferung auch hier der aristotelischen nahe steht,
nennt diesen Hippomenes einfach einen Athener. aber in anderen be-
richten wird er als der letzte Kodridenkönig bezeichnet 13), und einen
Medontiden nennt ihn ausdrücklich Pausanias (IV 13, 7), wo er nach
seinen jahren datirt; er steht auch in unseren chronographischen listen
als zehnjähriger archon. sehen wir zunächst von dieser differenz ab,
so bleibt für Aristoteles selbst ein widerspruch, wenn wir nicht
scharf unterscheiden und also sagen: unumschränkte Kodridenkönige
gibt es freilich nicht, denn schon unter Akastos ist der archon über sie
getreten, aber könige sind sie geblieben bis auf die zeit kurz vor Hip-
pomenes. sie haben also die gesammte rechtsprechung im heiligen
rechte gehabt, also auch im blutrechte, und sind erst abgesetzt, als
sie schlaff wurden. gerade in einer sache, wo es sich um phonos dikaios
handelte, übt Hippomenes in demonstrativer weise die äusserte strenge.
diese construction hat in der tat hand und fuss; königtum seit Kekrops,
dazu tritt die polemarchie seit Ion, das archontenamt seit Akastos, aber
die könige bleiben erbkönige aus diesem alten geschlechte, während
ihnen wahlkönige in den archonten zur seite stehen, auch sie auf lebens-
zeit gewählt. endlich wird dem geschlechte das vorrecht des königtumes
genommen, und bald wird die zehnjährige wahl der drei oberbeamten
durch die einjährige ersetzt. die namenliste kann bei dieser annahme
bis auf die zeit des Hippomenes noch ganz gut Kodriden und könige
enthalten, denn warum ist es notwendig, dass die eponymie bereits unter
Akastos auf die archonten übergegangen wäre? dicht neben Athen, in
Megara, ist trotz allen revolutionen der könig bis an das ende des vierten
jahrhunderts eponym geblieben. aber ein in einem geschlechte vererbtes
königtum schliesst allerdings die zehnjährige befristung aus. bei einer
vererbung in der descendenz von vater auf sohn schon wegen der zeit,
bei einer solchen vom ältesten geschlechtsgenossen auf den nächstältesten,
weil der vorsitzende des Areopagitenrates vor einem jüngeren weichen
müsste, übrigens auch, weil so dieses geschlecht in dem rate unverhält-
nismässig bevorzugt würde. aber denkbar ist sehr gut, dass neben

13) Phot. par ippon kai koren zurückgehend auf ein scholion zu der
Aischinesstelle. die Atthis hat die deutung des monumentes par ippon kai koren
ohne zweifel richtig gegeben; die umbildung, dass die dort begrabenen ein sodo-
mitisches liebespar wären (Dion Chrys. 32, 78), ist nichts wert.

II. 5. Die könige von Athen.
zeigte Hippomenes, einer aus dem hause, aber ersichtlich kein könig
mehr, daſs auf ihn der vorwurf nicht zutraf, durch die maſslos strenge
bestrafung seiner tochter und ihres buhlen. so Aristoteles; und Aischines
(1, 182), dessen überlieferung auch hier der aristotelischen nahe steht,
nennt diesen Hippomenes einfach einen Athener. aber in anderen be-
richten wird er als der letzte Kodridenkönig bezeichnet 13), und einen
Medontiden nennt ihn ausdrücklich Pausanias (IV 13, 7), wo er nach
seinen jahren datirt; er steht auch in unseren chronographischen listen
als zehnjähriger archon. sehen wir zunächst von dieser differenz ab,
so bleibt für Aristoteles selbst ein widerspruch, wenn wir nicht
scharf unterscheiden und also sagen: unumschränkte Kodridenkönige
gibt es freilich nicht, denn schon unter Akastos ist der archon über sie
getreten, aber könige sind sie geblieben bis auf die zeit kurz vor Hip-
pomenes. sie haben also die gesammte rechtsprechung im heiligen
rechte gehabt, also auch im blutrechte, und sind erst abgesetzt, als
sie schlaff wurden. gerade in einer sache, wo es sich um φόνος δίκαιος
handelte, übt Hippomenes in demonstrativer weise die äuſserte strenge.
diese construction hat in der tat hand und fuſs; königtum seit Kekrops,
dazu tritt die polemarchie seit Ion, das archontenamt seit Akastos, aber
die könige bleiben erbkönige aus diesem alten geschlechte, während
ihnen wahlkönige in den archonten zur seite stehen, auch sie auf lebens-
zeit gewählt. endlich wird dem geschlechte das vorrecht des königtumes
genommen, und bald wird die zehnjährige wahl der drei oberbeamten
durch die einjährige ersetzt. die namenliste kann bei dieser annahme
bis auf die zeit des Hippomenes noch ganz gut Kodriden und könige
enthalten, denn warum ist es notwendig, daſs die eponymie bereits unter
Akastos auf die archonten übergegangen wäre? dicht neben Athen, in
Megara, ist trotz allen revolutionen der könig bis an das ende des vierten
jahrhunderts eponym geblieben. aber ein in einem geschlechte vererbtes
königtum schlieſst allerdings die zehnjährige befristung aus. bei einer
vererbung in der descendenz von vater auf sohn schon wegen der zeit,
bei einer solchen vom ältesten geschlechtsgenossen auf den nächstältesten,
weil der vorsitzende des Areopagitenrates vor einem jüngeren weichen
müſste, übrigens auch, weil so dieses geschlecht in dem rate unverhält-
nismäſsig bevorzugt würde. aber denkbar ist sehr gut, daſs neben

13) Phot. παϱ̕ ἵππον καὶ κόϱην zurückgehend auf ein scholion zu der
Aischinesstelle. die Atthis hat die deutung des monumentes παϱ̕ ἵππον καὶ κόϱην
ohne zweifel richtig gegeben; die umbildung, daſs die dort begrabenen ein sodo-
mitisches liebespar wären (Dion Chrys. 32, 78), ist nichts wert.
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[132/0142] II. 5. Die könige von Athen. zeigte Hippomenes, einer aus dem hause, aber ersichtlich kein könig mehr, daſs auf ihn der vorwurf nicht zutraf, durch die maſslos strenge bestrafung seiner tochter und ihres buhlen. so Aristoteles; und Aischines (1, 182), dessen überlieferung auch hier der aristotelischen nahe steht, nennt diesen Hippomenes einfach einen Athener. aber in anderen be- richten wird er als der letzte Kodridenkönig bezeichnet 13), und einen Medontiden nennt ihn ausdrücklich Pausanias (IV 13, 7), wo er nach seinen jahren datirt; er steht auch in unseren chronographischen listen als zehnjähriger archon. sehen wir zunächst von dieser differenz ab, so bleibt für Aristoteles selbst ein widerspruch, wenn wir nicht scharf unterscheiden und also sagen: unumschränkte Kodridenkönige gibt es freilich nicht, denn schon unter Akastos ist der archon über sie getreten, aber könige sind sie geblieben bis auf die zeit kurz vor Hip- pomenes. sie haben also die gesammte rechtsprechung im heiligen rechte gehabt, also auch im blutrechte, und sind erst abgesetzt, als sie schlaff wurden. gerade in einer sache, wo es sich um φόνος δίκαιος handelte, übt Hippomenes in demonstrativer weise die äuſserte strenge. diese construction hat in der tat hand und fuſs; königtum seit Kekrops, dazu tritt die polemarchie seit Ion, das archontenamt seit Akastos, aber die könige bleiben erbkönige aus diesem alten geschlechte, während ihnen wahlkönige in den archonten zur seite stehen, auch sie auf lebens- zeit gewählt. endlich wird dem geschlechte das vorrecht des königtumes genommen, und bald wird die zehnjährige wahl der drei oberbeamten durch die einjährige ersetzt. die namenliste kann bei dieser annahme bis auf die zeit des Hippomenes noch ganz gut Kodriden und könige enthalten, denn warum ist es notwendig, daſs die eponymie bereits unter Akastos auf die archonten übergegangen wäre? dicht neben Athen, in Megara, ist trotz allen revolutionen der könig bis an das ende des vierten jahrhunderts eponym geblieben. aber ein in einem geschlechte vererbtes königtum schlieſst allerdings die zehnjährige befristung aus. bei einer vererbung in der descendenz von vater auf sohn schon wegen der zeit, bei einer solchen vom ältesten geschlechtsgenossen auf den nächstältesten, weil der vorsitzende des Areopagitenrates vor einem jüngeren weichen müſste, übrigens auch, weil so dieses geschlecht in dem rate unverhält- nismäſsig bevorzugt würde. aber denkbar ist sehr gut, daſs neben 13) Phot. παϱ̕ ἵππον καὶ κόϱην zurückgehend auf ein scholion zu der Aischinesstelle. die Atthis hat die deutung des monumentes παϱ̕ ἵππον καὶ κόϱην ohne zweifel richtig gegeben; die umbildung, daſs die dort begrabenen ein sodo- mitisches liebespar wären (Dion Chrys. 32, 78), ist nichts wert.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/142>, abgerufen am 24.04.2024.