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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Kodros. die Medontiden.
halb muss man geneigt sein, ihn für einen eindringling zu halten; aber
entscheidend ist erst, dass sein sohn Medon neben ihm steht. Kodriden
und Medontiden ist dasselbe geschlecht, die Medontiden aber bestehen
wirklich fort und haben grundbesitz in oder unfern der stadt. 12) Me-
don ist auch ein redender name, Medontidai auch nichts weiter als
das 'fürstengeschlecht.' das ergibt die verschiedenen stadien der ent-
wickelung: erst wollen die athenischen könige Pylier und Neliden sein,
Basilidai Medontidai. dann, als sie mit den Ioniern in so nahe be-
ziehung treten, dass sie auf den Kodros beschlag legen wollen, schieben
sie Kodros vor Medon ein und heissen auch Kodriden.

Der nachfolger des Medon ist Akastos, in der aristotelischen wieDie Medon-
tiden.

in unsern listen. damit betreten wir den geschichtlichen boden, da der
archonteneid die constitution Athens wie sie besteht und das ritual der
vereidigung auf ihn zurückführt (3, 3 vergl. I s. 46). in dieser con-
stitution ist der archon der oberste beamte, daraus folgt, dass er es unter
Akastos geworden ist. so schliesst auch die Atthis des Aristoteles; die
differenz ist wirlich irrelevant, die den mythischen Medon an seine stelle
setzt. die macht haben die Medontiden-Kodriden also schon unter Aka-
stos eingebüsst. wer sich das klar machte, musste ins gedränge kom-
men, da vor Akastos nur die namen Medon und Kodros standen. eine
lösung der schwierigkeit ist die angabe, dass das königtum mit Kodros
erloschen sei. eine consequenz ist, dass die namen der liste als namen
von archonten angesehen werden. wir würden demnach gar keine
wirklichen Medontidenkönige kennen. in widerspruch hiermit scheint
zu stehn, dass Aristotetes selbst an einer früheren stelle (Herakleides 3)
den übergang des königtumes von den Medontiden-Kodriden auf an-
dere, also den ersatz des erblichen durch das wahlkönigtum berichtet hat.
der anlass dazu war, dass die Kodridenkönige zu schlaff schienen. da

12) CIA I 497. dazu kommt eine verschollene und, so viel ich sehe, im CIA II
vergessene inschrift aus Kypseli (dicht bei Athen nördlich) Töpffer Att. Geneal. 229.
Solon heisst Kodrides, Platon auch, der durch seine mutter auf Dropides den bruder
Solons zurückgeführt wird. dass er vom vater her auch Kodride gewesen sei, wie
Thrasyllos behauptet hat (Diog. Laert. 3, 1), ist nicht genügend bezeugt. von Me-
dontiden wird dabei nicht geredet; auch Aristoteles kennt nur Kodriden.
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Kodros. die Medontiden.
halb muſs man geneigt sein, ihn für einen eindringling zu halten; aber
entscheidend ist erst, daſs sein sohn Medon neben ihm steht. Kodriden
und Medontiden ist dasselbe geschlecht, die Medontiden aber bestehen
wirklich fort und haben grundbesitz in oder unfern der stadt. 12) Μέ-
δων ist auch ein redender name, Μεδοντίδαι auch nichts weiter als
das ‘fürstengeschlecht.’ das ergibt die verschiedenen stadien der ent-
wickelung: erst wollen die athenischen könige Pylier und Neliden sein,
Βασιλίδαι Μεδοντίδαι. dann, als sie mit den Ioniern in so nahe be-
ziehung treten, daſs sie auf den Kodros beschlag legen wollen, schieben
sie Kodros vor Medon ein und heiſsen auch Kodriden.

Der nachfolger des Medon ist Akastos, in der aristotelischen wieDie Medon-
tiden.

in unsern listen. damit betreten wir den geschichtlichen boden, da der
archonteneid die constitution Athens wie sie besteht und das ritual der
vereidigung auf ihn zurückführt (3, 3 vergl. I s. 46). in dieser con-
stitution ist der archon der oberste beamte, daraus folgt, daſs er es unter
Akastos geworden ist. so schlieſst auch die Atthis des Aristoteles; die
differenz ist wirlich irrelevant, die den mythischen Medon an seine stelle
setzt. die macht haben die Medontiden-Kodriden also schon unter Aka-
stos eingebüſst. wer sich das klar machte, muſste ins gedränge kom-
men, da vor Akastos nur die namen Medon und Kodros standen. eine
lösung der schwierigkeit ist die angabe, daſs das königtum mit Kodros
erloschen sei. eine consequenz ist, daſs die namen der liste als namen
von archonten angesehen werden. wir würden demnach gar keine
wirklichen Medontidenkönige kennen. in widerspruch hiermit scheint
zu stehn, daſs Aristotetes selbst an einer früheren stelle (Herakleides 3)
den übergang des königtumes von den Medontiden-Kodriden auf an-
dere, also den ersatz des erblichen durch das wahlkönigtum berichtet hat.
der anlaſs dazu war, daſs die Kodridenkönige zu schlaff schienen. da

12) CIA I 497. dazu kommt eine verschollene und, so viel ich sehe, im CIA II
vergessene inschrift aus Kypseli (dicht bei Athen nördlich) Töpffer Att. Geneal. 229.
Solon heiſst Κοδϱίδης, Platon auch, der durch seine mutter auf Dropides den bruder
Solons zurückgeführt wird. daſs er vom vater her auch Kodride gewesen sei, wie
Thrasyllos behauptet hat (Diog. Laert. 3, 1), ist nicht genügend bezeugt. von Me-
dontiden wird dabei nicht geredet; auch Aristoteles kennt nur Kodriden.
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[131/0141] Kodros. die Medontiden. halb muſs man geneigt sein, ihn für einen eindringling zu halten; aber entscheidend ist erst, daſs sein sohn Medon neben ihm steht. Kodriden und Medontiden ist dasselbe geschlecht, die Medontiden aber bestehen wirklich fort und haben grundbesitz in oder unfern der stadt. 12) Μέ- δων ist auch ein redender name, Μεδοντίδαι auch nichts weiter als das ‘fürstengeschlecht.’ das ergibt die verschiedenen stadien der ent- wickelung: erst wollen die athenischen könige Pylier und Neliden sein, Βασιλίδαι Μεδοντίδαι. dann, als sie mit den Ioniern in so nahe be- ziehung treten, daſs sie auf den Kodros beschlag legen wollen, schieben sie Kodros vor Medon ein und heiſsen auch Kodriden. Der nachfolger des Medon ist Akastos, in der aristotelischen wie in unsern listen. damit betreten wir den geschichtlichen boden, da der archonteneid die constitution Athens wie sie besteht und das ritual der vereidigung auf ihn zurückführt (3, 3 vergl. I s. 46). in dieser con- stitution ist der archon der oberste beamte, daraus folgt, daſs er es unter Akastos geworden ist. so schlieſst auch die Atthis des Aristoteles; die differenz ist wirlich irrelevant, die den mythischen Medon an seine stelle setzt. die macht haben die Medontiden-Kodriden also schon unter Aka- stos eingebüſst. wer sich das klar machte, muſste ins gedränge kom- men, da vor Akastos nur die namen Medon und Kodros standen. eine lösung der schwierigkeit ist die angabe, daſs das königtum mit Kodros erloschen sei. eine consequenz ist, daſs die namen der liste als namen von archonten angesehen werden. wir würden demnach gar keine wirklichen Medontidenkönige kennen. in widerspruch hiermit scheint zu stehn, daſs Aristotetes selbst an einer früheren stelle (Herakleides 3) den übergang des königtumes von den Medontiden-Kodriden auf an- dere, also den ersatz des erblichen durch das wahlkönigtum berichtet hat. der anlaſs dazu war, daſs die Kodridenkönige zu schlaff schienen. da Die Medon- tiden. 12) CIA I 497. dazu kommt eine verschollene und, so viel ich sehe, im CIA II vergessene inschrift aus Kypseli (dicht bei Athen nördlich) Töpffer Att. Geneal. 229. Solon heiſst Κοδϱίδης, Platon auch, der durch seine mutter auf Dropides den bruder Solons zurückgeführt wird. daſs er vom vater her auch Kodride gewesen sei, wie Thrasyllos behauptet hat (Diog. Laert. 3, 1), ist nicht genügend bezeugt. von Me- dontiden wird dabei nicht geredet; auch Aristoteles kennt nur Kodriden. 9*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/141>, abgerufen am 19.04.2024.