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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 4. Patrios politeia.
dekeleischen krieges. sodann die dreissig finanzbeamten, 10 ieropoioi,
10 epimeletai; beides müssen cultbeamte sein. da aber keine nähere be-
stimmung dabei steht, so kann man weder unter den ieropoioi bloss die
jährigen (oben I 228) noch unter den epimeletai etwa nur die der Diony-
sien verstehn, sondern es sollte ein collegium alle iera, ein anderes die
epimeleia für alle feste, die der staat besorgte, übernehmen. es war auch
dies eine massregel, die die verwaltung vereinfachen und verbilligen sollte.
die gesammten polizeibeamten, agoranomen, astynomen, elf, hafenmeister
u. dgl. gehören zu den niederen. poleten sollte es vielleicht gar nicht
mehr geben, obwol sie solonisch waren. denn in diesen anordnungen
waltet nichts von reaction, sondern ein energischer praktischer sinn.
aber gänzlich fehlen die richterlichen behörden, eisagoges, nautodikai,
triakonta. die gerichte kommen überhaupt nicht vor. es war viel-
leicht nur klugheit, wenn der sicherlich der heliaea abgeneigte oligarch
über sie schwieg; für uns ist der mangel sehr bedauerlich, zumal wir
so nicht erraten können, wie er sich zu der ephesis eis dikasterion
und dem timorein ton boulomenon to adikoumeno stellte. bezeich-
nend für den geist der zeit ist es immerhin, dass man eine verfassung
Athens entwerfen und annehmen konnte, die von dem ideale des Philo-
kleon gar nichts enthält. es hat sie ein apheliastes gemacht, mit dem
Peithetairos und Euelpides sympathisiren konnten.

Die schluss-
clausel 31, 3.
Überhaupt trägt der entwurf den charakter einer skizze darin zur
schau, dass manche punkte gar nicht behandelt sind (kommt doch auch die
flotte nicht vor), anderes wie die geschäftsordnung des rates ausführlich.
der rat musste eben zunächst in kraft treten und war dann in der lage
alles übrige zu ordnen. aber damit er es könnte, mussten die bürger
in Samos ihren widerstand aufgeben. die 5000, oder die sie vertretende
summe der opla parekhomenoi zu hause, waren doch nur ein teil der
wirklich berechtigten, zu denen mindestens alle hopliten, schiffssoldaten,
officiere, trierarchen draussen gehörten. es kam den braven 5000 ge-
wiss schwer an, die strategenwahl für das nächste jahr auf die in Athen
anwesenden zu beschränken, also Thrasyllos, Leon, Thrasybulos und
überhaupt die tüchtigsten officiere auszuschliessen. die massregel war
wirklich mehr als ein vorspiel des bürgerkrieges. so wird uns die oben
berührte beschränkung verständlich, obwol sie sehr wenig praktischen
wert besass. "für die zukunft soll der rat die wahl nach den aufgezeich-
neten vorschriften vornehmen (31, 3)", d. h. nach der verfassung aus
allen bürgern des viertels. die 5000 fügten sich nur widerstrebend der
allerdings unabweisbaren notwendigkeit des momentes: daher der ab-

II. 4. Πάτϱιος πολιτεία.
dekeleischen krieges. sodann die dreiſsig finanzbeamten, 10 ἱεϱοποιοί,
10 ἐπιμεληταί; beides müssen cultbeamte sein. da aber keine nähere be-
stimmung dabei steht, so kann man weder unter den ἱεϱοποιοί bloſs die
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sien verstehn, sondern es sollte ein collegium alle ἱεϱά, ein anderes die
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dies eine maſsregel, die die verwaltung vereinfachen und verbilligen sollte.
die gesammten polizeibeamten, agoranomen, astynomen, elf, hafenmeister
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mehr geben, obwol sie solonisch waren. denn in diesen anordnungen
waltet nichts von reaction, sondern ein energischer praktischer sinn.
aber gänzlich fehlen die richterlichen behörden, εἰσαγωγῆς, ναυτοδίκαι,
τϱιάκοντα. die gerichte kommen überhaupt nicht vor. es war viel-
leicht nur klugheit, wenn der sicherlich der heliaea abgeneigte oligarch
über sie schwieg; für uns ist der mangel sehr bedauerlich, zumal wir
so nicht erraten können, wie er sich zu der ἔφεσις εἰς δικαστήϱιον
und dem τιμωϱεῖν τὸν βουλόμενον τῷ ἀδικουμένῳ stellte. bezeich-
nend für den geist der zeit ist es immerhin, daſs man eine verfassung
Athens entwerfen und annehmen konnte, die von dem ideale des Philo-
kleon gar nichts enthält. es hat sie ein ἀφηλιαστής gemacht, mit dem
Peithetairos und Euelpides sympathisiren konnten.

Die schluſs-
clausel 31, 3.
Überhaupt trägt der entwurf den charakter einer skizze darin zur
schau, daſs manche punkte gar nicht behandelt sind (kommt doch auch die
flotte nicht vor), anderes wie die geschäftsordnung des rates ausführlich.
der rat muſste eben zunächst in kraft treten und war dann in der lage
alles übrige zu ordnen. aber damit er es könnte, muſsten die bürger
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wiſs schwer an, die strategenwahl für das nächste jahr auf die in Athen
anwesenden zu beschränken, also Thrasyllos, Leon, Thrasybulos und
überhaupt die tüchtigsten officiere auszuschlieſsen. die maſsregel war
wirklich mehr als ein vorspiel des bürgerkrieges. so wird uns die oben
berührte beschränkung verständlich, obwol sie sehr wenig praktischen
wert besaſs. “für die zukunft soll der rat die wahl nach den aufgezeich-
neten vorschriften vornehmen (31, 3)”, d. h. nach der verfassung aus
allen bürgern des viertels. die 5000 fügten sich nur widerstrebend der
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[120/0130] II. 4. Πάτϱιος πολιτεία. dekeleischen krieges. sodann die dreiſsig finanzbeamten, 10 ἱεϱοποιοί, 10 ἐπιμεληταί; beides müssen cultbeamte sein. da aber keine nähere be- stimmung dabei steht, so kann man weder unter den ἱεϱοποιοί bloſs die jährigen (oben I 228) noch unter den ἐπιμεληταί etwa nur die der Diony- sien verstehn, sondern es sollte ein collegium alle ἱεϱά, ein anderes die ἐπιμέλεια für alle feste, die der staat besorgte, übernehmen. es war auch dies eine maſsregel, die die verwaltung vereinfachen und verbilligen sollte. die gesammten polizeibeamten, agoranomen, astynomen, elf, hafenmeister u. dgl. gehören zu den niederen. poleten sollte es vielleicht gar nicht mehr geben, obwol sie solonisch waren. denn in diesen anordnungen waltet nichts von reaction, sondern ein energischer praktischer sinn. aber gänzlich fehlen die richterlichen behörden, εἰσαγωγῆς, ναυτοδίκαι, τϱιάκοντα. die gerichte kommen überhaupt nicht vor. es war viel- leicht nur klugheit, wenn der sicherlich der heliaea abgeneigte oligarch über sie schwieg; für uns ist der mangel sehr bedauerlich, zumal wir so nicht erraten können, wie er sich zu der ἔφεσις εἰς δικαστήϱιον und dem τιμωϱεῖν τὸν βουλόμενον τῷ ἀδικουμένῳ stellte. bezeich- nend für den geist der zeit ist es immerhin, daſs man eine verfassung Athens entwerfen und annehmen konnte, die von dem ideale des Philo- kleon gar nichts enthält. es hat sie ein ἀφηλιαστής gemacht, mit dem Peithetairos und Euelpides sympathisiren konnten. Überhaupt trägt der entwurf den charakter einer skizze darin zur schau, daſs manche punkte gar nicht behandelt sind (kommt doch auch die flotte nicht vor), anderes wie die geschäftsordnung des rates ausführlich. der rat muſste eben zunächst in kraft treten und war dann in der lage alles übrige zu ordnen. aber damit er es könnte, muſsten die bürger in Samos ihren widerstand aufgeben. die 5000, oder die sie vertretende summe der ὅπλα παϱεχόμενοι zu hause, waren doch nur ein teil der wirklich berechtigten, zu denen mindestens alle hopliten, schiffssoldaten, officiere, trierarchen drauſsen gehörten. es kam den braven 5000 ge- wiſs schwer an, die strategenwahl für das nächste jahr auf die in Athen anwesenden zu beschränken, also Thrasyllos, Leon, Thrasybulos und überhaupt die tüchtigsten officiere auszuschlieſsen. die maſsregel war wirklich mehr als ein vorspiel des bürgerkrieges. so wird uns die oben berührte beschränkung verständlich, obwol sie sehr wenig praktischen wert besaſs. “für die zukunft soll der rat die wahl nach den aufgezeich- neten vorschriften vornehmen (31, 3)”, d. h. nach der verfassung aus allen bürgern des viertels. die 5000 fügten sich nur widerstrebend der allerdings unabweisbaren notwendigkeit des momentes: daher der ab- Die schluſs- clausel 31, 3.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/130>, abgerufen am 19.04.2024.