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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Perikles.
vor den klar erfassten consequenzen, zeichnet seine politik ebenso aus
wie die vornehme, etwas hartnäckige unempfindlichkeit gegen hemmnisse
und störungen. er ist nicht der mann der genialen experimente wie The-
mistokles; er verschmäht das blendwerk der glänzenden coups, das sonst
die politiker in demokratischen staaten meist nötig haben; er rechnet
mit den ziffern des schatzes, den beständen der arsenale und den summen
der wehrpflichtigen lieber als mit den imponderabilien der volksgunst
und volksstimmung. er ist nicht officier und nicht finanzmann, nicht
volksredner und nicht parteihaupt, oder auch er ist dies alles, nämlich
so weit es der politiker, der vertrauensmann des attischen volkes sein
musste. er ist kein liebenswürdiger mann, was die leute so nennen,
zecht nicht mit seinesgleichen und noch viel weniger mit den litteraten,
singt keine verse und lässt auch keine auf sich machen; er buhlt nicht um
das lob der dichter und kauft es auch nicht, aber der komoedie hätte er
gern den mund gestopft. er hat genug tüchtige und hingebende männer
um sich gehabt, die unter ihm an seinen werken schafften, und von denen
keinem der gedanke mit ihm zu rivalisiren kam, aber einen freund hat er
nicht gehabt. sein leben ist einsam gewesen.35) keine spur führt darauf,

35) Das 'perikleische zeitalter' mit seinen heiteren dem cultus der schönheit
hingegebenen Griechen, in der mitte der Maecen oder Mediceer Perikles, die geistig
ebenbürtige, ihm durch eine gewissensehe verbundene Aspasia am arme, ist eine er-
findung des deutschen romantischen philhellenismus, hat aber so viel wert wie Kaul-
bachs Blüte Griechenlands. und Aspasia ist das widerlichste darin. Perikles hat
in standesmässiger ehe zwei söhne erzeugt, sich dann von seiner frau geschieden
und etwa als mann von funfzig jahren in sein einsames haus, das auch keine gäste
sah, eine concubine genommen, ganz wie Aristoteles. die beiden frauenzimmer
zeigen ihren stand genügend durch ihre namen Aspasia und Erpullis. in Athen
heisst keine anständige frau Aspasia; in Ionien ist man mit den namen nicht
so streng, aber ein beliebter hetaerenname war es auch da, und der tradition,
die Aspasia einen vater gibt (Axiochos von Milet), steht gleichberechtigt die
andere zur seite, dass sie eine kriegsgefangene Karerin war (schol. Aristid. 464).
nun haben die 'armen geschöpfe' es gut genug gehabt bei ihren herren, die
auch für ihre kinder gesorgt haben. aber natürlich musste Aspasia manchen
unglimpf leiden um des platzes willen, den Perikles in der welt einnahm, noch
mehr als dieser den unehelichen sohn nach dem tode seiner ehelichen kinder
legitimirte; sie mag sich auch nach des herren tode anspruchsvoll benommen haben.
zum entgelte verfiel der sokratiker Aischines darauf, in einem dialoge sie als eine
Ninon einen salon halten zu lassen, ja er mochte sie so weit idealisiren, dass er
anständige frauen bei ihr einführen konnte, wie Xenophon und gemalin, der leider
zu Aspasias lebzeiten weder verheiratet war noch es sein konnte. trotzdem gefiel
ihm das compliment; und er erwiderte es nach der sitte der zeit in den zwei er-
wähnungen Aspasias, die sein nachlass bietet. so ist die geistreiche hetaere, die
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Perikles.
vor den klar erfaſsten consequenzen, zeichnet seine politik ebenso aus
wie die vornehme, etwas hartnäckige unempfindlichkeit gegen hemmnisse
und störungen. er ist nicht der mann der genialen experimente wie The-
mistokles; er verschmäht das blendwerk der glänzenden coups, das sonst
die politiker in demokratischen staaten meist nötig haben; er rechnet
mit den ziffern des schatzes, den beständen der arsenale und den summen
der wehrpflichtigen lieber als mit den imponderabilien der volksgunst
und volksstimmung. er ist nicht officier und nicht finanzmann, nicht
volksredner und nicht parteihaupt, oder auch er ist dies alles, nämlich
so weit es der politiker, der vertrauensmann des attischen volkes sein
muſste. er ist kein liebenswürdiger mann, was die leute so nennen,
zecht nicht mit seinesgleichen und noch viel weniger mit den litteraten,
singt keine verse und läſst auch keine auf sich machen; er buhlt nicht um
das lob der dichter und kauft es auch nicht, aber der komoedie hätte er
gern den mund gestopft. er hat genug tüchtige und hingebende männer
um sich gehabt, die unter ihm an seinen werken schafften, und von denen
keinem der gedanke mit ihm zu rivalisiren kam, aber einen freund hat er
nicht gehabt. sein leben ist einsam gewesen.35) keine spur führt darauf,

35) Das ‘perikleische zeitalter’ mit seinen heiteren dem cultus der schönheit
hingegebenen Griechen, in der mitte der Maecen oder Mediceer Perikles, die geistig
ebenbürtige, ihm durch eine gewissensehe verbundene Aspasia am arme, ist eine er-
findung des deutschen romantischen philhellenismus, hat aber so viel wert wie Kaul-
bachs Blüte Griechenlands. und Aspasia ist das widerlichste darin. Perikles hat
in standesmäſsiger ehe zwei söhne erzeugt, sich dann von seiner frau geschieden
und etwa als mann von funfzig jahren in sein einsames haus, das auch keine gäste
sah, eine concubine genommen, ganz wie Aristoteles. die beiden frauenzimmer
zeigen ihren stand genügend durch ihre namen Ἀσπασία und Ἑϱπυλλίς. in Athen
heiſst keine anständige frau Aspasia; in Ionien ist man mit den namen nicht
so streng, aber ein beliebter hetaerenname war es auch da, und der tradition,
die Aspasia einen vater gibt (Axiochos von Milet), steht gleichberechtigt die
andere zur seite, daſs sie eine kriegsgefangene Karerin war (schol. Aristid. 464).
nun haben die ‘armen geschöpfe’ es gut genug gehabt bei ihren herren, die
auch für ihre kinder gesorgt haben. aber natürlich muſste Aspasia manchen
unglimpf leiden um des platzes willen, den Perikles in der welt einnahm, noch
mehr als dieser den unehelichen sohn nach dem tode seiner ehelichen kinder
legitimirte; sie mag sich auch nach des herren tode anspruchsvoll benommen haben.
zum entgelte verfiel der sokratiker Aischines darauf, in einem dialoge sie als eine
Ninon einen salon halten zu lassen, ja er mochte sie so weit idealisiren, daſs er
anständige frauen bei ihr einführen konnte, wie Xenophon und gemalin, der leider
zu Aspasias lebzeiten weder verheiratet war noch es sein konnte. trotzdem gefiel
ihm das compliment; und er erwiderte es nach der sitte der zeit in den zwei er-
wähnungen Aspasias, die sein nachlaſs bietet. so ist die geistreiche hetaere, die
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[99/0109] Perikles. vor den klar erfaſsten consequenzen, zeichnet seine politik ebenso aus wie die vornehme, etwas hartnäckige unempfindlichkeit gegen hemmnisse und störungen. er ist nicht der mann der genialen experimente wie The- mistokles; er verschmäht das blendwerk der glänzenden coups, das sonst die politiker in demokratischen staaten meist nötig haben; er rechnet mit den ziffern des schatzes, den beständen der arsenale und den summen der wehrpflichtigen lieber als mit den imponderabilien der volksgunst und volksstimmung. er ist nicht officier und nicht finanzmann, nicht volksredner und nicht parteihaupt, oder auch er ist dies alles, nämlich so weit es der politiker, der vertrauensmann des attischen volkes sein muſste. er ist kein liebenswürdiger mann, was die leute so nennen, zecht nicht mit seinesgleichen und noch viel weniger mit den litteraten, singt keine verse und läſst auch keine auf sich machen; er buhlt nicht um das lob der dichter und kauft es auch nicht, aber der komoedie hätte er gern den mund gestopft. er hat genug tüchtige und hingebende männer um sich gehabt, die unter ihm an seinen werken schafften, und von denen keinem der gedanke mit ihm zu rivalisiren kam, aber einen freund hat er nicht gehabt. sein leben ist einsam gewesen. 35) keine spur führt darauf, 35) Das ‘perikleische zeitalter’ mit seinen heiteren dem cultus der schönheit hingegebenen Griechen, in der mitte der Maecen oder Mediceer Perikles, die geistig ebenbürtige, ihm durch eine gewissensehe verbundene Aspasia am arme, ist eine er- findung des deutschen romantischen philhellenismus, hat aber so viel wert wie Kaul- bachs Blüte Griechenlands. und Aspasia ist das widerlichste darin. Perikles hat in standesmäſsiger ehe zwei söhne erzeugt, sich dann von seiner frau geschieden und etwa als mann von funfzig jahren in sein einsames haus, das auch keine gäste sah, eine concubine genommen, ganz wie Aristoteles. die beiden frauenzimmer zeigen ihren stand genügend durch ihre namen Ἀσπασία und Ἑϱπυλλίς. in Athen heiſst keine anständige frau Aspasia; in Ionien ist man mit den namen nicht so streng, aber ein beliebter hetaerenname war es auch da, und der tradition, die Aspasia einen vater gibt (Axiochos von Milet), steht gleichberechtigt die andere zur seite, daſs sie eine kriegsgefangene Karerin war (schol. Aristid. 464). nun haben die ‘armen geschöpfe’ es gut genug gehabt bei ihren herren, die auch für ihre kinder gesorgt haben. aber natürlich muſste Aspasia manchen unglimpf leiden um des platzes willen, den Perikles in der welt einnahm, noch mehr als dieser den unehelichen sohn nach dem tode seiner ehelichen kinder legitimirte; sie mag sich auch nach des herren tode anspruchsvoll benommen haben. zum entgelte verfiel der sokratiker Aischines darauf, in einem dialoge sie als eine Ninon einen salon halten zu lassen, ja er mochte sie so weit idealisiren, daſs er anständige frauen bei ihr einführen konnte, wie Xenophon und gemalin, der leider zu Aspasias lebzeiten weder verheiratet war noch es sein konnte. trotzdem gefiel ihm das compliment; und er erwiderte es nach der sitte der zeit in den zwei er- wähnungen Aspasias, die sein nachlaſs bietet. so ist die geistreiche hetaere, die 7*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/109>, abgerufen am 29.03.2024.