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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die vorherrschaft des Areopages. Ephialtes.
leute der beiden obersten steuerclassen, und die erforderlichen sechs
ahnen schlossen die gesammten neubürger immer noch aus; aber es
liess sich doch niemand mehr so leicht zum archon praesentiren, der die
strategen oder demagogencarriere einschlagen wollte, kein namhafter
mann begegnet in der liste mehr, wol aber die angehörigen der alten
adelshäuser; Praxiergos (471/70) und Demotion (470/69) werden den ge-
schlechtern angehören, deren namen sie führen. Konon (462/61) ist doch
wol der grossvater des siegers von 394 aus Anaphlystos. Habron (458/7)
führt den namen von verwandten des Butaden Lykurgos. über andere
mag ich nichts vermuten. es war also natürlich und berechtigt, dass
misstände fühlbar wurden, und es so nicht weitergieng: die reform des
Areopagitenrates war eine notwendigkeit geworden. auf der andern seite
gewann der rat der 500 an selbstgefühl und an bedeutung. mit ihm
verhandelten die gesandten der vielen untertänigen städte, er sorgte für
die flotte, die dem volke diese macht verschafft hatte, und die einnahmen
aus den zöllen giengen durch seine hand. er empfand die concurrenz
des in so vielen stücken über oder nebengeordneten rates der Areopagiten
als einen unberechtigten druck. die demokratie konnte nicht wol anders
als die beseitigung des Areopages anstreben. es ist nicht schwer sich
manche modalitäten auszudenken, wie man dies oberhaus hätte erhalten
oder erneuern können, was für die stetigkeit und besonnenheit der po-
litik dringend erwünscht gewesen wäre. aber das ist spielerei: der weg,
der der entwickelung Athens vorgezeichnet war, gieng dahin, den oberen
rat durch den unteren zu ersetzen. Athen war eine demokratie: der
demos wollte selbst den herren spielen.

Die herrschaft des Areopags, oder vielmehr der gesellschaftskreise,
die seit den Perserkriegen die regierung in den händen hatten, war nicht
so leicht zu stürzen. sie hatten den erfolg der politik für sich, deren
programm, krieg wider die barbaren und einvernehmen mit Sparta, see-
herrschaft aber verzicht auf die herrschaft in Hellas, einfach und ver-
ständlich war. und sowol die kleinen leute, die er durch seine libera-
lität an sich fesselte, wie die alten soldaten, die er stets zum siege ge-
führt hatte, hiengen an dem loyalen feldherrn der herrschenden partei,
an Kimon. die demokraten eröffneten den kampf durch eine reihe von
rechenschaftsprocessen gegen mitglieder des Areopagitenrates, und es
wird nicht bestritten, dass diese des unterschleifes schuldig waren, noch
auch dass ihr ankläger, Ephialtes des Sophonides sohn, ein mann, dessenEphialtes.
herkunft und vorleben uns gänzlich unbekannt ist, persönlich flecken-
los war. wir empfinden unsere mangelhafte kenntnis des geltenden

Die vorherrschaft des Areopages. Ephialtes.
leute der beiden obersten steuerclassen, und die erforderlichen sechs
ahnen schlossen die gesammten neubürger immer noch aus; aber es
lieſs sich doch niemand mehr so leicht zum archon praesentiren, der die
strategen oder demagogencarriere einschlagen wollte, kein namhafter
mann begegnet in der liste mehr, wol aber die angehörigen der alten
adelshäuser; Praxiergos (471/70) und Demotion (470/69) werden den ge-
schlechtern angehören, deren namen sie führen. Konon (462/61) ist doch
wol der groſsvater des siegers von 394 aus Anaphlystos. Habron (458/7)
führt den namen von verwandten des Butaden Lykurgos. über andere
mag ich nichts vermuten. es war also natürlich und berechtigt, daſs
misstände fühlbar wurden, und es so nicht weitergieng: die reform des
Areopagitenrates war eine notwendigkeit geworden. auf der andern seite
gewann der rat der 500 an selbstgefühl und an bedeutung. mit ihm
verhandelten die gesandten der vielen untertänigen städte, er sorgte für
die flotte, die dem volke diese macht verschafft hatte, und die einnahmen
aus den zöllen giengen durch seine hand. er empfand die concurrenz
des in so vielen stücken über oder nebengeordneten rates der Areopagiten
als einen unberechtigten druck. die demokratie konnte nicht wol anders
als die beseitigung des Areopages anstreben. es ist nicht schwer sich
manche modalitäten auszudenken, wie man dies oberhaus hätte erhalten
oder erneuern können, was für die stetigkeit und besonnenheit der po-
litik dringend erwünscht gewesen wäre. aber das ist spielerei: der weg,
der der entwickelung Athens vorgezeichnet war, gieng dahin, den oberen
rat durch den unteren zu ersetzen. Athen war eine demokratie: der
demos wollte selbst den herren spielen.

Die herrschaft des Areopags, oder vielmehr der gesellschaftskreise,
die seit den Perserkriegen die regierung in den händen hatten, war nicht
so leicht zu stürzen. sie hatten den erfolg der politik für sich, deren
programm, krieg wider die barbaren und einvernehmen mit Sparta, see-
herrschaft aber verzicht auf die herrschaft in Hellas, einfach und ver-
ständlich war. und sowol die kleinen leute, die er durch seine libera-
lität an sich fesselte, wie die alten soldaten, die er stets zum siege ge-
führt hatte, hiengen an dem loyalen feldherrn der herrschenden partei,
an Kimon. die demokraten eröffneten den kampf durch eine reihe von
rechenschaftsprocessen gegen mitglieder des Areopagitenrates, und es
wird nicht bestritten, daſs diese des unterschleifes schuldig waren, noch
auch daſs ihr ankläger, Ephialtes des Sophonides sohn, ein mann, dessenEphialtes.
herkunft und vorleben uns gänzlich unbekannt ist, persönlich flecken-
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[93/0103] Die vorherrschaft des Areopages. Ephialtes. leute der beiden obersten steuerclassen, und die erforderlichen sechs ahnen schlossen die gesammten neubürger immer noch aus; aber es lieſs sich doch niemand mehr so leicht zum archon praesentiren, der die strategen oder demagogencarriere einschlagen wollte, kein namhafter mann begegnet in der liste mehr, wol aber die angehörigen der alten adelshäuser; Praxiergos (471/70) und Demotion (470/69) werden den ge- schlechtern angehören, deren namen sie führen. Konon (462/61) ist doch wol der groſsvater des siegers von 394 aus Anaphlystos. Habron (458/7) führt den namen von verwandten des Butaden Lykurgos. über andere mag ich nichts vermuten. es war also natürlich und berechtigt, daſs misstände fühlbar wurden, und es so nicht weitergieng: die reform des Areopagitenrates war eine notwendigkeit geworden. auf der andern seite gewann der rat der 500 an selbstgefühl und an bedeutung. mit ihm verhandelten die gesandten der vielen untertänigen städte, er sorgte für die flotte, die dem volke diese macht verschafft hatte, und die einnahmen aus den zöllen giengen durch seine hand. er empfand die concurrenz des in so vielen stücken über oder nebengeordneten rates der Areopagiten als einen unberechtigten druck. die demokratie konnte nicht wol anders als die beseitigung des Areopages anstreben. es ist nicht schwer sich manche modalitäten auszudenken, wie man dies oberhaus hätte erhalten oder erneuern können, was für die stetigkeit und besonnenheit der po- litik dringend erwünscht gewesen wäre. aber das ist spielerei: der weg, der der entwickelung Athens vorgezeichnet war, gieng dahin, den oberen rat durch den unteren zu ersetzen. Athen war eine demokratie: der demos wollte selbst den herren spielen. Die herrschaft des Areopags, oder vielmehr der gesellschaftskreise, die seit den Perserkriegen die regierung in den händen hatten, war nicht so leicht zu stürzen. sie hatten den erfolg der politik für sich, deren programm, krieg wider die barbaren und einvernehmen mit Sparta, see- herrschaft aber verzicht auf die herrschaft in Hellas, einfach und ver- ständlich war. und sowol die kleinen leute, die er durch seine libera- lität an sich fesselte, wie die alten soldaten, die er stets zum siege ge- führt hatte, hiengen an dem loyalen feldherrn der herrschenden partei, an Kimon. die demokraten eröffneten den kampf durch eine reihe von rechenschaftsprocessen gegen mitglieder des Areopagitenrates, und es wird nicht bestritten, daſs diese des unterschleifes schuldig waren, noch auch daſs ihr ankläger, Ephialtes des Sophonides sohn, ein mann, dessen herkunft und vorleben uns gänzlich unbekannt ist, persönlich flecken- los war. wir empfinden unsere mangelhafte kenntnis des geltenden Ephialtes.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/103>, abgerufen am 24.04.2024.