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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 3. Solon.
das nur in auszügen und citaten erhaltene, ganz ebenso zu urteilen ist
wie über die geschichte Solons: das tatsächliche stammt aus älteren
bearbeitungen, und wenn eine zusammenfassende schilderung der vor-
drakontischen verfassung auch wohl erst von Aristoteles gegeben ist
(worauf die oben gerügten wiederholungen deuten), so hat doch alles
einzelne ihm bereits dank fremder forschung und fremden schlüssen vor-
gelegen. auf eine mehrheit von gewährsmännern verweist er selbst 2, 3
gelegentlich der streitfrage über die zeit der einsetzung des archons.
und die andern semeia, die aus alten religiösen gebräuchen, aus den
competenzen der einzelnen behörden und dgl. gewonnen werden, sind
nicht anders zu beurteilen als die aus dem eide der archonten oder dem
anathem des Anthemion gewonnenen, die er selbst auf fremde zeugen
zurückführt, oder die gesetzesfragmente, die wir den schriften des Androtion
oder Kleidemos zu gute geschrieben haben. wie Aristoteles zu diesen
antiquarischen fragen stand, zeigt sein geringschätziges touto men oun
opoteros pot ekhei mikron an parallattoi tois khronois24) (2, 3),
mit dem er sich eine entscheidung erspart, ohne doch die zeit, in die
beide könige fallen, und auf die etwas ankommt, zu bezeichnen. es würde
demnach auch sehr verkehrt sein, wenn man die parallelberichte, die sonst
wo erhalten sind, als verdorbene auszüge aus diesem capitel beiseite werfen
wollte. ein solcher liegt in dem sechsten Bekkerschen lexikon 44925) über
die amtslocale der archonten vor, übereinstimmend in dem meisten, aber
der polemarch sitzt en Lukeio statt am Epilykeion und der archon bei
den eponymen statt im prytaneion. dass Aristoteles richtigeres berichtet,
ist mir nicht zweifelhaft; aber wenn er die etymologie von Epilukeion
ausführlich gibt26), so verstehen wir das erst dann recht, wenn wir es
als berichtigung der falschen ansicht betrachten, die wir selbst alle bis
vor kurzem geteilt haben, die jetzt noch zu verbreiten nur durch flüchtig-
keit möglich ist. die angabe über den archon ist zwar falsch27), da es
ja statuen der eponymen erst seit 508 geben konnte und an dieser stelle

24) So erkennen wir jetzt, wo es Blass auf dem papyrus gelesen hat, auch
mit voller sicherheit auf dem facsimile.
25) Suidas kommt nur als handschrift jenes lexicons in betracht.
26) Der polemarch Epilykos führt einen namen aus altem adel, der sowol im
geschlechte der Philaiden wie in dem der Kerykes und auch sonst vorkommt. diesen
träger kann ich nicht einmal gentilicisch bestimmen.
27) Man könnte sie halten, wenn Geleon und seine brüder am Basileion
statuen gehabt hätten. aber es ist unerlaubt, so oft es auch geschieht, einen
doppelgänger zu erfinden, wo der bekannte träger eines namens nicht passt.

I. 3. Solon.
das nur in auszügen und citaten erhaltene, ganz ebenso zu urteilen ist
wie über die geschichte Solons: das tatsächliche stammt aus älteren
bearbeitungen, und wenn eine zusammenfassende schilderung der vor-
drakontischen verfassung auch wohl erst von Aristoteles gegeben ist
(worauf die oben gerügten wiederholungen deuten), so hat doch alles
einzelne ihm bereits dank fremder forschung und fremden schlüssen vor-
gelegen. auf eine mehrheit von gewährsmännern verweist er selbst 2, 3
gelegentlich der streitfrage über die zeit der einsetzung des archons.
und die andern σημεῖα, die aus alten religiösen gebräuchen, aus den
competenzen der einzelnen behörden und dgl. gewonnen werden, sind
nicht anders zu beurteilen als die aus dem eide der archonten oder dem
anathem des Anthemion gewonnenen, die er selbst auf fremde zeugen
zurückführt, oder die gesetzesfragmente, die wir den schriften des Androtion
oder Kleidemos zu gute geschrieben haben. wie Aristoteles zu diesen
antiquarischen fragen stand, zeigt sein geringschätziges τοῦτο μὲν οὖν
ὁποτέϱως ποτ̕ ἔχει μικϱὸν ἂν παϱαλλάττοι τοῖς χϱόνοις24) (2, 3),
mit dem er sich eine entscheidung erspart, ohne doch die zeit, in die
beide könige fallen, und auf die etwas ankommt, zu bezeichnen. es würde
demnach auch sehr verkehrt sein, wenn man die parallelberichte, die sonst
wo erhalten sind, als verdorbene auszüge aus diesem capitel beiseite werfen
wollte. ein solcher liegt in dem sechsten Bekkerschen lexikon 44925) über
die amtslocale der archonten vor, übereinstimmend in dem meisten, aber
der polemarch sitzt ἐν Λυκείῳ statt am Epilykeion und der archon bei
den eponymen statt im prytaneion. daſs Aristoteles richtigeres berichtet,
ist mir nicht zweifelhaft; aber wenn er die etymologie von Ἐπιλύκειον
ausführlich gibt26), so verstehen wir das erst dann recht, wenn wir es
als berichtigung der falschen ansicht betrachten, die wir selbst alle bis
vor kurzem geteilt haben, die jetzt noch zu verbreiten nur durch flüchtig-
keit möglich ist. die angabe über den archon ist zwar falsch27), da es
ja statuen der eponymen erst seit 508 geben konnte und an dieser stelle

24) So erkennen wir jetzt, wo es Blass auf dem papyrus gelesen hat, auch
mit voller sicherheit auf dem facsimile.
25) Suidas kommt nur als handschrift jenes lexicons in betracht.
26) Der polemarch Epilykos führt einen namen aus altem adel, der sowol im
geschlechte der Philaiden wie in dem der Kerykes und auch sonst vorkommt. diesen
träger kann ich nicht einmal gentilicisch bestimmen.
27) Man könnte sie halten, wenn Geleon und seine brüder am Basileion
statuen gehabt hätten. aber es ist unerlaubt, so oft es auch geschieht, einen
doppelgänger zu erfinden, wo der bekannte träger eines namens nicht paſst.
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[56/0070] I. 3. Solon. das nur in auszügen und citaten erhaltene, ganz ebenso zu urteilen ist wie über die geschichte Solons: das tatsächliche stammt aus älteren bearbeitungen, und wenn eine zusammenfassende schilderung der vor- drakontischen verfassung auch wohl erst von Aristoteles gegeben ist (worauf die oben gerügten wiederholungen deuten), so hat doch alles einzelne ihm bereits dank fremder forschung und fremden schlüssen vor- gelegen. auf eine mehrheit von gewährsmännern verweist er selbst 2, 3 gelegentlich der streitfrage über die zeit der einsetzung des archons. und die andern σημεῖα, die aus alten religiösen gebräuchen, aus den competenzen der einzelnen behörden und dgl. gewonnen werden, sind nicht anders zu beurteilen als die aus dem eide der archonten oder dem anathem des Anthemion gewonnenen, die er selbst auf fremde zeugen zurückführt, oder die gesetzesfragmente, die wir den schriften des Androtion oder Kleidemos zu gute geschrieben haben. wie Aristoteles zu diesen antiquarischen fragen stand, zeigt sein geringschätziges τοῦτο μὲν οὖν ὁποτέϱως ποτ̕ ἔχει μικϱὸν ἂν παϱαλλάττοι τοῖς χϱόνοις 24) (2, 3), mit dem er sich eine entscheidung erspart, ohne doch die zeit, in die beide könige fallen, und auf die etwas ankommt, zu bezeichnen. es würde demnach auch sehr verkehrt sein, wenn man die parallelberichte, die sonst wo erhalten sind, als verdorbene auszüge aus diesem capitel beiseite werfen wollte. ein solcher liegt in dem sechsten Bekkerschen lexikon 449 25) über die amtslocale der archonten vor, übereinstimmend in dem meisten, aber der polemarch sitzt ἐν Λυκείῳ statt am Epilykeion und der archon bei den eponymen statt im prytaneion. daſs Aristoteles richtigeres berichtet, ist mir nicht zweifelhaft; aber wenn er die etymologie von Ἐπιλύκειον ausführlich gibt 26), so verstehen wir das erst dann recht, wenn wir es als berichtigung der falschen ansicht betrachten, die wir selbst alle bis vor kurzem geteilt haben, die jetzt noch zu verbreiten nur durch flüchtig- keit möglich ist. die angabe über den archon ist zwar falsch 27), da es ja statuen der eponymen erst seit 508 geben konnte und an dieser stelle 24) So erkennen wir jetzt, wo es Blass auf dem papyrus gelesen hat, auch mit voller sicherheit auf dem facsimile. 25) Suidas kommt nur als handschrift jenes lexicons in betracht. 26) Der polemarch Epilykos führt einen namen aus altem adel, der sowol im geschlechte der Philaiden wie in dem der Kerykes und auch sonst vorkommt. diesen träger kann ich nicht einmal gentilicisch bestimmen. 27) Man könnte sie halten, wenn Geleon und seine brüder am Basileion statuen gehabt hätten. aber es ist unerlaubt, so oft es auch geschieht, einen doppelgänger zu erfinden, wo der bekannte träger eines namens nicht paſst.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/70>, abgerufen am 29.03.2024.