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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die politeia des Aristoteles.
die der jugendliche Friedrich seine stark rhetorische polemik richtet,
welche an Aristoteles gemahnen. ohne zweifel darf man die künste der
tyrannis weder dem hellenischen noch dem florentiner denker zum vorwurfe
machen, ohne zweifel ist das sittliche ideal des Hellenen das unendlich
höhere: aber es gibt doch einen gesichtspunkt, von dem aus der Italiener
die anerkennung fordert, wärmer empfunden und höher gedacht zu haben.
Macchiavelli ist ein patriot, seines vaterlandes, Italiens, einheit, freiheit
und grösse hat er vor augen, und diese glühende liebe macht ihn dem
grossen könige, der ihn bekämpft hat, ähnlicher als dem philosophen.

Aristoteles zeigt genug von stolz und selbst von hochmut als Hellene;
ungleich anspruchsvoller tritt der Stagirite auf als der athenische eu-
patride Platon, hat er sich doch durch seine verachtung der barbaren
sogar mit Alexandros entzweit. racenhochmut ist wahrlich nicht minder
hässlich als geschlechtsstolz. aber eine politische bedeutung hat sein
nationalgefühl nicht. Hellas ist ihm lediglich ein ethnographischer
begriff, und er würde ganz befriedigt sein, wenn seine kleinstaaten
in ihrer selbstgenugsamkeit (autarkeia) neben einander existirten,
kuklopikos, sein eigenes wort zu brauchen. es kommt ihm nicht
in den sinn, dass die höhere culturstufe höhere anforderungen an
die staatliche gemeinschaft stellt, dass der massstab für das eu zen,
den zweck des staates, steigt, und dass somit die materiellen mittel des
staates steigen müssen. aber ganz abgesehen von dem wissenschaftlich
unvollkommenen seiner lehre: es fehlt an dem gefühle im herzen. ihm
hat es nicht höher geschlagen, als der hellenische speer in Susa und
in Memphis gebot; der barbar ist ihm immer der sclave: der feind ist
er ihm nur in der conventionellen phrase des epigrammes. hätte es
ihn gelüstet in den rhetorischen wettkampf mit Isokrates einzutreten,
so würde er die heroen von Salamis und Plataiai auch aufgeboten haben,
als rhetorischen schmuck; aber der begriff der nation, der nationalen
macht und ehre spielt in seiner Politik keine rolle. so steht er auch
zu der vaterländischen geschichte. er hat sie stückweise in den Politien
erzählen müssen, aber das ganze ist dem Stagiriten nie zu herzen ge-
drungen. wir sind vielleicht, da wir in einer zeit der übertreibung des
nationalen momentes in jeder richtung leben, leicht dem ausgesetzt, zu
hart über die söhne anders gearteter zeiten zu urteilen. aber Platon
und Demosthenes und Alexandros lebten doch in derselben zeit, und
der Makedone Antipatros kann diese gesinnung seines freundes doch
nur als etwas ihm fremdes, hellenisches, angesehen haben. begreiflich
ist es an dem vaterlandslosen, denn Stagira war keines, so wenig eine

v. Wilamowitz, Aristoteles I. 24

Die πολιτεία des Aristoteles.
die der jugendliche Friedrich seine stark rhetorische polemik richtet,
welche an Aristoteles gemahnen. ohne zweifel darf man die künste der
tyrannis weder dem hellenischen noch dem florentiner denker zum vorwurfe
machen, ohne zweifel ist das sittliche ideal des Hellenen das unendlich
höhere: aber es gibt doch einen gesichtspunkt, von dem aus der Italiener
die anerkennung fordert, wärmer empfunden und höher gedacht zu haben.
Macchiavelli ist ein patriot, seines vaterlandes, Italiens, einheit, freiheit
und gröſse hat er vor augen, und diese glühende liebe macht ihn dem
groſsen könige, der ihn bekämpft hat, ähnlicher als dem philosophen.

Aristoteles zeigt genug von stolz und selbst von hochmut als Hellene;
ungleich anspruchsvoller tritt der Stagirite auf als der athenische eu-
patride Platon, hat er sich doch durch seine verachtung der barbaren
sogar mit Alexandros entzweit. racenhochmut ist wahrlich nicht minder
häſslich als geschlechtsstolz. aber eine politische bedeutung hat sein
nationalgefühl nicht. Hellas ist ihm lediglich ein ethnographischer
begriff, und er würde ganz befriedigt sein, wenn seine kleinstaaten
in ihrer selbstgenugsamkeit (αὐτάϱκεια) neben einander existirten,
κυκλωπικῶς, sein eigenes wort zu brauchen. es kommt ihm nicht
in den sinn, daſs die höhere culturstufe höhere anforderungen an
die staatliche gemeinschaft stellt, daſs der maſsstab für das εὖ ζῆν,
den zweck des staates, steigt, und daſs somit die materiellen mittel des
staates steigen müssen. aber ganz abgesehen von dem wissenschaftlich
unvollkommenen seiner lehre: es fehlt an dem gefühle im herzen. ihm
hat es nicht höher geschlagen, als der hellenische speer in Susa und
in Memphis gebot; der barbar ist ihm immer der sclave: der feind ist
er ihm nur in der conventionellen phrase des epigrammes. hätte es
ihn gelüstet in den rhetorischen wettkampf mit Isokrates einzutreten,
so würde er die heroen von Salamis und Plataiai auch aufgeboten haben,
als rhetorischen schmuck; aber der begriff der nation, der nationalen
macht und ehre spielt in seiner Politik keine rolle. so steht er auch
zu der vaterländischen geschichte. er hat sie stückweise in den Politien
erzählen müssen, aber das ganze ist dem Stagiriten nie zu herzen ge-
drungen. wir sind vielleicht, da wir in einer zeit der übertreibung des
nationalen momentes in jeder richtung leben, leicht dem ausgesetzt, zu
hart über die söhne anders gearteter zeiten zu urteilen. aber Platon
und Demosthenes und Alexandros lebten doch in derselben zeit, und
der Makedone Antipatros kann diese gesinnung seines freundes doch
nur als etwas ihm fremdes, hellenisches, angesehen haben. begreiflich
ist es an dem vaterlandslosen, denn Stagira war keines, so wenig eine

v. Wilamowitz, Aristoteles I. 24
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[369/0383] Die πολιτεία des Aristoteles. die der jugendliche Friedrich seine stark rhetorische polemik richtet, welche an Aristoteles gemahnen. ohne zweifel darf man die künste der tyrannis weder dem hellenischen noch dem florentiner denker zum vorwurfe machen, ohne zweifel ist das sittliche ideal des Hellenen das unendlich höhere: aber es gibt doch einen gesichtspunkt, von dem aus der Italiener die anerkennung fordert, wärmer empfunden und höher gedacht zu haben. Macchiavelli ist ein patriot, seines vaterlandes, Italiens, einheit, freiheit und gröſse hat er vor augen, und diese glühende liebe macht ihn dem groſsen könige, der ihn bekämpft hat, ähnlicher als dem philosophen. Aristoteles zeigt genug von stolz und selbst von hochmut als Hellene; ungleich anspruchsvoller tritt der Stagirite auf als der athenische eu- patride Platon, hat er sich doch durch seine verachtung der barbaren sogar mit Alexandros entzweit. racenhochmut ist wahrlich nicht minder häſslich als geschlechtsstolz. aber eine politische bedeutung hat sein nationalgefühl nicht. Hellas ist ihm lediglich ein ethnographischer begriff, und er würde ganz befriedigt sein, wenn seine kleinstaaten in ihrer selbstgenugsamkeit (αὐτάϱκεια) neben einander existirten, κυκλωπικῶς, sein eigenes wort zu brauchen. es kommt ihm nicht in den sinn, daſs die höhere culturstufe höhere anforderungen an die staatliche gemeinschaft stellt, daſs der maſsstab für das εὖ ζῆν, den zweck des staates, steigt, und daſs somit die materiellen mittel des staates steigen müssen. aber ganz abgesehen von dem wissenschaftlich unvollkommenen seiner lehre: es fehlt an dem gefühle im herzen. ihm hat es nicht höher geschlagen, als der hellenische speer in Susa und in Memphis gebot; der barbar ist ihm immer der sclave: der feind ist er ihm nur in der conventionellen phrase des epigrammes. hätte es ihn gelüstet in den rhetorischen wettkampf mit Isokrates einzutreten, so würde er die heroen von Salamis und Plataiai auch aufgeboten haben, als rhetorischen schmuck; aber der begriff der nation, der nationalen macht und ehre spielt in seiner Politik keine rolle. so steht er auch zu der vaterländischen geschichte. er hat sie stückweise in den Politien erzählen müssen, aber das ganze ist dem Stagiriten nie zu herzen ge- drungen. wir sind vielleicht, da wir in einer zeit der übertreibung des nationalen momentes in jeder richtung leben, leicht dem ausgesetzt, zu hart über die söhne anders gearteter zeiten zu urteilen. aber Platon und Demosthenes und Alexandros lebten doch in derselben zeit, und der Makedone Antipatros kann diese gesinnung seines freundes doch nur als etwas ihm fremdes, hellenisches, angesehen haben. begreiflich ist es an dem vaterlandslosen, denn Stagira war keines, so wenig eine v. Wilamowitz, Aristoteles I. 24

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/383>, abgerufen am 25.04.2024.