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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
eine schlechte lösung für die schwierigkeiten, die in der überlieferung
aufgezeigt zu haben Spengels bleibendes verdienst ist. im grossen ganzen
erklärt sich das befremdliche verhältnis dadurch, dass Aristoteles zuerst
unmittelbar nach erledigung der grundlegenden fragen zu der haupt-
aufgabe, dem besten staate, fortschritt, später aber vor diesem eine
eingehende behandlung der bestehenden typen des staates und auf den
voraussetzungen des bestehenden teils empirische teils theoretische regeln
gab, wobei er denn, wie es bei vorlesungen zu gehen pflegt, zu dem
besten staate gar nicht mehr gekommen, ja nicht einmal mit diesem
zweiten teile fertig geworden ist. zeitlich also ist ETh das frühere, und
es ist geschrieben um an ABG (in dem zustande, den diese bücher da-
mals hatten, und der nur in G sehr stark geändert ist) anzusetzen.

Der beste
staat.
Die skizze des besten staates (ETh) ist in sich einheitlich, verständ-
lich und glatt geschrieben, zum teil wunderschön und ersichtlich für
die publication, aber freilich gänzlich unfertig. dass Aristoteles kaum
irgendwo sonst so sehr Platoniker ist wie hier, ist mit recht bemerkt
worden, wie er denn trotz B wieder in die auseinandersetzung mit
Platon hineingerät. er construirt sich seine stadt kat eukhen, ze
wunsche
, aber er construirt auch sehr ins blaue. man möchte kaum
glauben, dass er bereits die umfassenden geschichtlichen studien ge-
macht hätte, auf denen DEZ fussen 51); dagegen liegen ihm seine aesthe-
tischen und rhetorischen speculationen im sinne und drängen sich vor.

EZ schlechthin verwerflich. eine kritik, die eiretai proteron in eroumen usteron
ändern und den zusammenhang zwischen Z und E durch eine grosse lücke her-
stellen muss, richtet sich selbst. die unebenheiten, die die abhandlung DEZ dar-
bietet, sowol überhaupt hie und da, wie gegenüber der disposition (D 1289b), sind
unleugbar, aber sie sind nicht ärger als in A und namentlich G, entstanden durch
eigene nachträge und überarbeitungen und durch die unfertigkeit des ganzen. ich
halte für wahrscheinlich, vielleicht sogar für streng beweisbar, dass einige stücke,
z. b. die übersicht der notwendigen beamten D 8, älter sind, also in der gestalt
von G standen, die dieses hatte, als der beste staat unmittelbar darauf folgte.
ähnlich ist es, dass ein grosses stück von A beseitigt werden müsste, sobald die
Oekonomik als selbständige disciplin behandelt würde, was Aristoteles selbst wol
noch nicht getan hat.
51) Das schliesst die benutzung historischer bücher natürlich nicht aus, wie
z. b. des Antiochos über die syssitien der Oinotrer (E 10), wo denn auch das
excerpt viel ausführlicher ist als in den kurzen andeutungen, welche EZ machen
dürfen, weil die Politien vorliegen. die kritik Spartas und Kretas in B musste
natürlich immer in der einleitung der vorträge gegeben werden, weil die ansicht
verbreitet war, dass diese verfassungen selbst der gesuchte beste staat wären, und
weil Platon eben deshalb ihre vertreter in den Gesetzen eingeführt hatte.

I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
eine schlechte lösung für die schwierigkeiten, die in der überlieferung
aufgezeigt zu haben Spengels bleibendes verdienst ist. im groſsen ganzen
erklärt sich das befremdliche verhältnis dadurch, daſs Aristoteles zuerst
unmittelbar nach erledigung der grundlegenden fragen zu der haupt-
aufgabe, dem besten staate, fortschritt, später aber vor diesem eine
eingehende behandlung der bestehenden typen des staates und auf den
voraussetzungen des bestehenden teils empirische teils theoretische regeln
gab, wobei er denn, wie es bei vorlesungen zu gehen pflegt, zu dem
besten staate gar nicht mehr gekommen, ja nicht einmal mit diesem
zweiten teile fertig geworden ist. zeitlich also ist ΗΘ das frühere, und
es ist geschrieben um an ΑΒΓ (in dem zustande, den diese bücher da-
mals hatten, und der nur in Γ sehr stark geändert ist) anzusetzen.

Der beste
staat.
Die skizze des besten staates (ΗΘ) ist in sich einheitlich, verständ-
lich und glatt geschrieben, zum teil wunderschön und ersichtlich für
die publication, aber freilich gänzlich unfertig. daſs Aristoteles kaum
irgendwo sonst so sehr Platoniker ist wie hier, ist mit recht bemerkt
worden, wie er denn trotz Β wieder in die auseinandersetzung mit
Platon hineingerät. er construirt sich seine stadt κατ̕ εὐχήν, ze
wunsche
, aber er construirt auch sehr ins blaue. man möchte kaum
glauben, daſs er bereits die umfassenden geschichtlichen studien ge-
macht hätte, auf denen ΔΕΖ fuſsen 51); dagegen liegen ihm seine aesthe-
tischen und rhetorischen speculationen im sinne und drängen sich vor.

ΕΖ schlechthin verwerflich. eine kritik, die εἴϱηται πϱότεϱον in ἐϱοῦμεν ὕστεϱον
ändern und den zusammenhang zwischen Ζ und Ε durch eine groſse lücke her-
stellen muſs, richtet sich selbst. die unebenheiten, die die abhandlung ΔΕΖ dar-
bietet, sowol überhaupt hie und da, wie gegenüber der disposition (Δ 1289b), sind
unleugbar, aber sie sind nicht ärger als in Α und namentlich Γ, entstanden durch
eigene nachträge und überarbeitungen und durch die unfertigkeit des ganzen. ich
halte für wahrscheinlich, vielleicht sogar für streng beweisbar, daſs einige stücke,
z. b. die übersicht der notwendigen beamten Δ 8, älter sind, also in der gestalt
von Γ standen, die dieses hatte, als der beste staat unmittelbar darauf folgte.
ähnlich ist es, daſs ein groſses stück von Α beseitigt werden müſste, sobald die
Oekonomik als selbständige disciplin behandelt würde, was Aristoteles selbst wol
noch nicht getan hat.
51) Das schlieſst die benutzung historischer bücher natürlich nicht aus, wie
z. b. des Antiochos über die syssitien der Oinotrer (Η 10), wo denn auch das
excerpt viel ausführlicher ist als in den kurzen andeutungen, welche ΕΖ machen
dürfen, weil die Politien vorliegen. die kritik Spartas und Kretas in Β muſste
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[356/0370] I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches. eine schlechte lösung für die schwierigkeiten, die in der überlieferung aufgezeigt zu haben Spengels bleibendes verdienst ist. im groſsen ganzen erklärt sich das befremdliche verhältnis dadurch, daſs Aristoteles zuerst unmittelbar nach erledigung der grundlegenden fragen zu der haupt- aufgabe, dem besten staate, fortschritt, später aber vor diesem eine eingehende behandlung der bestehenden typen des staates und auf den voraussetzungen des bestehenden teils empirische teils theoretische regeln gab, wobei er denn, wie es bei vorlesungen zu gehen pflegt, zu dem besten staate gar nicht mehr gekommen, ja nicht einmal mit diesem zweiten teile fertig geworden ist. zeitlich also ist ΗΘ das frühere, und es ist geschrieben um an ΑΒΓ (in dem zustande, den diese bücher da- mals hatten, und der nur in Γ sehr stark geändert ist) anzusetzen. Die skizze des besten staates (ΗΘ) ist in sich einheitlich, verständ- lich und glatt geschrieben, zum teil wunderschön und ersichtlich für die publication, aber freilich gänzlich unfertig. daſs Aristoteles kaum irgendwo sonst so sehr Platoniker ist wie hier, ist mit recht bemerkt worden, wie er denn trotz Β wieder in die auseinandersetzung mit Platon hineingerät. er construirt sich seine stadt κατ̕ εὐχήν, ze wunsche, aber er construirt auch sehr ins blaue. man möchte kaum glauben, daſs er bereits die umfassenden geschichtlichen studien ge- macht hätte, auf denen ΔΕΖ fuſsen 51); dagegen liegen ihm seine aesthe- tischen und rhetorischen speculationen im sinne und drängen sich vor. 50) Der beste staat. 51) Das schlieſst die benutzung historischer bücher natürlich nicht aus, wie z. b. des Antiochos über die syssitien der Oinotrer (Η 10), wo denn auch das excerpt viel ausführlicher ist als in den kurzen andeutungen, welche ΕΖ machen dürfen, weil die Politien vorliegen. die kritik Spartas und Kretas in Β muſste natürlich immer in der einleitung der vorträge gegeben werden, weil die ansicht verbreitet war, daſs diese verfassungen selbst der gesuchte beste staat wären, und weil Platon eben deshalb ihre vertreter in den Gesetzen eingeführt hatte. 50) ΕΖ schlechthin verwerflich. eine kritik, die εἴϱηται πϱότεϱον in ἐϱοῦμεν ὕστεϱον ändern und den zusammenhang zwischen Ζ und Ε durch eine groſse lücke her- stellen muſs, richtet sich selbst. die unebenheiten, die die abhandlung ΔΕΖ dar- bietet, sowol überhaupt hie und da, wie gegenüber der disposition (Δ 1289b), sind unleugbar, aber sie sind nicht ärger als in Α und namentlich Γ, entstanden durch eigene nachträge und überarbeitungen und durch die unfertigkeit des ganzen. ich halte für wahrscheinlich, vielleicht sogar für streng beweisbar, daſs einige stücke, z. b. die übersicht der notwendigen beamten Δ 8, älter sind, also in der gestalt von Γ standen, die dieses hatte, als der beste staat unmittelbar darauf folgte. ähnlich ist es, daſs ein groſses stück von Α beseitigt werden müſste, sobald die Oekonomik als selbständige disciplin behandelt würde, was Aristoteles selbst wol noch nicht getan hat.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/370>, abgerufen am 24.04.2024.