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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Erziehung Alexanders. verhältnis zu Alexander.
Areta polumokhthe genei broteio
therama kalliston bio,
sas peri parthene morphas
kai thanein zelotos en Elladi potmos.

Aber in ihrem persönlichen verhältnisse hat Eros nicht gewaltet;Verhältnis
zu
Alexander.

unmöglich konnten sie einander verstehn. sobald Alexandros den thron
bestieg, zog Aristoteles aus dem unmittelbaren machtgebiete des königs
fort in eine stadt, die ihm das freie wort und die einwirkung auf das
ganze publicum, also statt der erziehung des königs die erziehung seiner
nation am besten gestattete. äusserlich freilich ist niemals ein bruch er-
folgt; dazu waren beide männer viel zu feinfühlig und kannten auch
die formen und rücksichten der gesellschaft viel zu gut. sie haben
sogar einen briefwechsel unterhalten. aber je höher beide stiegen, je
mehr sie ihre eigenste natur zur geltung brachten, je weiter kamen sie
innerlich von einander ab. das ist das schicksal der grössten männer;
sie müssen vereinsamen. dass ein entfernter verwandter des Aristoteles,
Kallisthenes, sich in eine verschwörung wider das leben des königs ein-
gelassen hatte und einer grausamen strafe verfiel, hat dazu kaum etwas
getan. dass Alexandros für seine person göttliche verehrung forderte,
erscheint den philistern von heute ganz entsetzlich, und sie geraten in
entzücken über die opposition der philister von Athen: Aristoteles hat
sich eben den officier, der diese königliche verordnung nach Hellas
brachte, zum eidam ausgesucht. er wird die massregel nicht für politisch
gehalten haben, aber entrüsten konnte sie ihn so wenig wie irgend
einen hellenisch empfindenden menschen.38) der gegensatz lag vielmehr

38) Es ist beschämend, dass die modernen den richtigen augenpunkt für diese
massregel so gar nicht finden wollen. sie gehen so weit, die existenz eines Ammon-
schiffes in Athen mit der göttlichkeit Alexanders zu verbinden. das heisst so viel,
als die Hellenen wären vom könige angewiesen worden, in ihren katechismus einen
artikel aufzunehmen, der die erzeugung Alexanders durch den widderköpfigen gott
ausspräche, etwa nach dem Pseudokallisthenes: als ob es sich um die anerkennung
eines historischen factums gehandelt hätte, um die erzeugung, um die menschwerdung
des neuen gottes, als ob Alexander ein gott hätte sein wollen, weil er von Ammon, nicht
von Philippos erzeugt wäre. nein, weil er ein gott war, wuchs der mythos von seiner
erzeugung nach, auf den gar nichts ankommt. ein gott aber war er, weil er gött-
liches vollbrachte, weil er das reich und die kraft und den ruhm besass. theos ist
doch ein praedicatsbegriff. verstorbene nicht als solche, sondern als götter zu ver-
ehren, war längst sitte, und dass Asklepios, Herakles, Dionysos menschen gewesen
waren und gestorben und doch götter auch schon bei lebzeiten gewesen waren,
galt ebenfalls. als Telamon in Ilios einen alter Eraklei kalliniko weihte, begieng
er keinen frevel. wie oft steht in der Ilias theos d os tieto demo. der theios
v. Wilamowitz, Aristoteles I. 22

Erziehung Alexanders. verhältnis zu Alexander.
Ἀϱετὰ πολύμοχϑε γένει βϱοτείῳ
ϑήϱαμα κάλλιστον βίῳ,
σᾶς πέϱι παϱϑένε μοϱφᾶς
καὶ ϑανεῖν ζηλωτὸς ἐν Ἑλλάδι πότμος.

Aber in ihrem persönlichen verhältnisse hat Eros nicht gewaltet;Verhältnis
zu
Alexander.

unmöglich konnten sie einander verstehn. sobald Alexandros den thron
bestieg, zog Aristoteles aus dem unmittelbaren machtgebiete des königs
fort in eine stadt, die ihm das freie wort und die einwirkung auf das
ganze publicum, also statt der erziehung des königs die erziehung seiner
nation am besten gestattete. äuſserlich freilich ist niemals ein bruch er-
folgt; dazu waren beide männer viel zu feinfühlig und kannten auch
die formen und rücksichten der gesellschaft viel zu gut. sie haben
sogar einen briefwechsel unterhalten. aber je höher beide stiegen, je
mehr sie ihre eigenste natur zur geltung brachten, je weiter kamen sie
innerlich von einander ab. das ist das schicksal der gröſsten männer;
sie müssen vereinsamen. daſs ein entfernter verwandter des Aristoteles,
Kallisthenes, sich in eine verschwörung wider das leben des königs ein-
gelassen hatte und einer grausamen strafe verfiel, hat dazu kaum etwas
getan. daſs Alexandros für seine person göttliche verehrung forderte,
erscheint den philistern von heute ganz entsetzlich, und sie geraten in
entzücken über die opposition der philister von Athen: Aristoteles hat
sich eben den officier, der diese königliche verordnung nach Hellas
brachte, zum eidam ausgesucht. er wird die maſsregel nicht für politisch
gehalten haben, aber entrüsten konnte sie ihn so wenig wie irgend
einen hellenisch empfindenden menschen.38) der gegensatz lag vielmehr

38) Es ist beschämend, daſs die modernen den richtigen augenpunkt für diese
maſsregel so gar nicht finden wollen. sie gehen so weit, die existenz eines Ammon-
schiffes in Athen mit der göttlichkeit Alexanders zu verbinden. das heiſst so viel,
als die Hellenen wären vom könige angewiesen worden, in ihren katechismus einen
artikel aufzunehmen, der die erzeugung Alexanders durch den widderköpfigen gott
ausspräche, etwa nach dem Pseudokallisthenes: als ob es sich um die anerkennung
eines historischen factums gehandelt hätte, um die erzeugung, um die menschwerdung
des neuen gottes, als ob Alexander ein gott hätte sein wollen, weil er von Ammon, nicht
von Philippos erzeugt wäre. nein, weil er ein gott war, wuchs der mythos von seiner
erzeugung nach, auf den gar nichts ankommt. ein gott aber war er, weil er gött-
liches vollbrachte, weil er das reich und die kraft und den ruhm besaſs. ϑεός ist
doch ein praedicatsbegriff. verstorbene nicht als solche, sondern als götter zu ver-
ehren, war längst sitte, und daſs Asklepios, Herakles, Dionysos menschen gewesen
waren und gestorben und doch götter auch schon bei lebzeiten gewesen waren,
galt ebenfalls. als Telamon in Ilios einen alter Ἡϱακλεῖ καλλινίκῳ weihte, begieng
er keinen frevel. wie oft steht in der Ilias ϑεὸς δ̕ ὣς τίετο δήμῳ. der ϑεῖος
v. Wilamowitz, Aristoteles I. 22
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[337/0351] Erziehung Alexanders. verhältnis zu Alexander. Ἀϱετὰ πολύμοχϑε γένει βϱοτείῳ ϑήϱαμα κάλλιστον βίῳ, σᾶς πέϱι παϱϑένε μοϱφᾶς καὶ ϑανεῖν ζηλωτὸς ἐν Ἑλλάδι πότμος. Aber in ihrem persönlichen verhältnisse hat Eros nicht gewaltet; unmöglich konnten sie einander verstehn. sobald Alexandros den thron bestieg, zog Aristoteles aus dem unmittelbaren machtgebiete des königs fort in eine stadt, die ihm das freie wort und die einwirkung auf das ganze publicum, also statt der erziehung des königs die erziehung seiner nation am besten gestattete. äuſserlich freilich ist niemals ein bruch er- folgt; dazu waren beide männer viel zu feinfühlig und kannten auch die formen und rücksichten der gesellschaft viel zu gut. sie haben sogar einen briefwechsel unterhalten. aber je höher beide stiegen, je mehr sie ihre eigenste natur zur geltung brachten, je weiter kamen sie innerlich von einander ab. das ist das schicksal der gröſsten männer; sie müssen vereinsamen. daſs ein entfernter verwandter des Aristoteles, Kallisthenes, sich in eine verschwörung wider das leben des königs ein- gelassen hatte und einer grausamen strafe verfiel, hat dazu kaum etwas getan. daſs Alexandros für seine person göttliche verehrung forderte, erscheint den philistern von heute ganz entsetzlich, und sie geraten in entzücken über die opposition der philister von Athen: Aristoteles hat sich eben den officier, der diese königliche verordnung nach Hellas brachte, zum eidam ausgesucht. er wird die maſsregel nicht für politisch gehalten haben, aber entrüsten konnte sie ihn so wenig wie irgend einen hellenisch empfindenden menschen. 38) der gegensatz lag vielmehr Verhältnis zu Alexander. 38) Es ist beschämend, daſs die modernen den richtigen augenpunkt für diese maſsregel so gar nicht finden wollen. sie gehen so weit, die existenz eines Ammon- schiffes in Athen mit der göttlichkeit Alexanders zu verbinden. das heiſst so viel, als die Hellenen wären vom könige angewiesen worden, in ihren katechismus einen artikel aufzunehmen, der die erzeugung Alexanders durch den widderköpfigen gott ausspräche, etwa nach dem Pseudokallisthenes: als ob es sich um die anerkennung eines historischen factums gehandelt hätte, um die erzeugung, um die menschwerdung des neuen gottes, als ob Alexander ein gott hätte sein wollen, weil er von Ammon, nicht von Philippos erzeugt wäre. nein, weil er ein gott war, wuchs der mythos von seiner erzeugung nach, auf den gar nichts ankommt. ein gott aber war er, weil er gött- liches vollbrachte, weil er das reich und die kraft und den ruhm besaſs. ϑεός ist doch ein praedicatsbegriff. verstorbene nicht als solche, sondern als götter zu ver- ehren, war längst sitte, und daſs Asklepios, Herakles, Dionysos menschen gewesen waren und gestorben und doch götter auch schon bei lebzeiten gewesen waren, galt ebenfalls. als Telamon in Ilios einen alter Ἡϱακλεῖ καλλινίκῳ weihte, begieng er keinen frevel. wie oft steht in der Ilias ϑεὸς δ̕ ὣς τίετο δήμῳ. der ϑεῖος v. Wilamowitz, Aristoteles I. 22

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/351>, abgerufen am 16.04.2024.