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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Der erste heilige krieg.
richt wahr ist. dass er sie berichtet, kann allein nicht zur beglaubigung
genügen, und der glaube der Athener, den Aischines wiedergibt, auch
nicht. allein dass es listen der pylagoren in Athen von so alter zeit
her hätte geben können, dass in ihnen auch so wichtige dinge wie
ein executionsbeschluss notirt gewesen sein könnten, mochte man noch
vor 15 jahren mit schein bezweifeln: jetzt halte ich diese skepsis für
widerlegt durch die fundtatsachen, und halte uns für verbunden, eine so
alte und so gut bezeugte überlieferung anzuerkennen. ganz dasselbe gilt
von der führung der Athener durch Alkmeon, die Plutarch dem delphischen
archive entnahm. der sohn des mörders der Kyloneer, der vater des
führers der Paralier wider Peisistratos, passt der zeit nach vortrefflich.
die verbindung, in die Alkmeons enkel Kleisthenes mit Delphi tritt,
erscheint durch das verdienst des grossvaters gut motivirt, und die art
unserer überlieferung lässt den gedanken nicht aufkommen, dass Alkmeons
name durch kleisthenischen trug in die delphische chronik gekommen
wäre. wann die Alkmeoniden aus der verbannung heimgekehrt sind,
in welche sie kein regelmässiges gericht24) getrieben hatte, ist unbekannt,
aber man wird nicht glauben, dass Solon sie bei seinem versöhnungs-
werke ausser acht gelassen hätte, um so weniger, als Megakles, Alkmeons
sohn, die constitutionelle solonische partei später geführt hat (13, 4).
ganz besonders gut passt aber die verschwägerung des Alkmeon mit
Kleisthenes von Sikyon, wenn sie im heiligen kriege kameraden waren:
die freiwerbung um Agariste ist eine reizende novelle, aber nichts anderes
als das (am wenigsten ein auszug aus einem pindarischen gedichte): die
familienverbindungen, zumal die über die einzelnen staaten hinausgreifenden,
hat nicht nur zu jener zeit ausschliesslich die politik dictirt. dass Klei-
sthenes, der herr von Sikyon, nicht unbeteiligt zusehn konnte, wenn
der krisäische golf den herrn wechselte, wird jedem selbstverständlich
sein, der von der einen zur andern küste geschaut hat.25) seine be-

24) Die bei den modernen verbreitete ansicht, dass das solonische gesetz,
axon 13, gesetz 8, die Alkmeoniden von der rehabilitirung ausschlösse, ist falsch.
denn ausgeschlossen sind da nur die von den ordentlichen gerichten, Areopag,
Epheten, Phylenkönigen wegen mord, mordversuch ohne tödlichen ausgang (sphagai,
später trauma), tyrannis verbannten. darunter fällt eine verbannung durch einen
ausnahmegerichtshof nicht; auch war das verbrechen der Alkmeoniden asebeia. die
deutung der sphagai auf trauma ek pronoias wird angesichts der aristotelischen
zeugnisse, namentlich des amnestievertrages 39, 5, für mich, der ich sie schon früher
so aufgefasst hatte, unzweifelhaft.
25) Es heisst die vereinzelung der hellenischen staaten und die kleinheit der
verhältnisse verkennen, wenn man sich wundert, dass Sparta und Argos am heiligen
v. Wilamowitz, Aristoteles. 2

Der erste heilige krieg.
richt wahr ist. daſs er sie berichtet, kann allein nicht zur beglaubigung
genügen, und der glaube der Athener, den Aischines wiedergibt, auch
nicht. allein daſs es listen der pylagoren in Athen von so alter zeit
her hätte geben können, daſs in ihnen auch so wichtige dinge wie
ein executionsbeschluſs notirt gewesen sein könnten, mochte man noch
vor 15 jahren mit schein bezweifeln: jetzt halte ich diese skepsis für
widerlegt durch die fundtatsachen, und halte uns für verbunden, eine so
alte und so gut bezeugte überlieferung anzuerkennen. ganz dasselbe gilt
von der führung der Athener durch Alkmeon, die Plutarch dem delphischen
archive entnahm. der sohn des mörders der Kyloneer, der vater des
führers der Paralier wider Peisistratos, paſst der zeit nach vortrefflich.
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name durch kleisthenischen trug in die delphische chronik gekommen
wäre. wann die Alkmeoniden aus der verbannung heimgekehrt sind,
in welche sie kein regelmäſsiges gericht24) getrieben hatte, ist unbekannt,
aber man wird nicht glauben, daſs Solon sie bei seinem versöhnungs-
werke auſser acht gelassen hätte, um so weniger, als Megakles, Alkmeons
sohn, die constitutionelle solonische partei später geführt hat (13, 4).
ganz besonders gut paſst aber die verschwägerung des Alkmeon mit
Kleisthenes von Sikyon, wenn sie im heiligen kriege kameraden waren:
die freiwerbung um Agariste ist eine reizende novelle, aber nichts anderes
als das (am wenigsten ein auszug aus einem pindarischen gedichte): die
familienverbindungen, zumal die über die einzelnen staaten hinausgreifenden,
hat nicht nur zu jener zeit ausschlieſslich die politik dictirt. daſs Klei-
sthenes, der herr von Sikyon, nicht unbeteiligt zusehn konnte, wenn
der krisäische golf den herrn wechselte, wird jedem selbstverständlich
sein, der von der einen zur andern küste geschaut hat.25) seine be-

24) Die bei den modernen verbreitete ansicht, daſs das solonische gesetz,
axon 13, gesetz 8, die Alkmeoniden von der rehabilitirung ausschlösse, ist falsch.
denn ausgeschlossen sind da nur die von den ordentlichen gerichten, Areopag,
Epheten, Phylenkönigen wegen mord, mordversuch ohne tödlichen ausgang (σφαγαί,
später τϱαῦμα), tyrannis verbannten. darunter fällt eine verbannung durch einen
ausnahmegerichtshof nicht; auch war das verbrechen der Alkmeoniden ἀσέβεια. die
deutung der σφαγαί auf τϱαῦμα ἐκ πϱονοίας wird angesichts der aristotelischen
zeugnisse, namentlich des amnestievertrages 39, 5, für mich, der ich sie schon früher
so aufgefaſst hatte, unzweifelhaft.
25) Es heiſst die vereinzelung der hellenischen staaten und die kleinheit der
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v. Wilamowitz, Aristoteles. 2
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[17/0031] Der erste heilige krieg. richt wahr ist. daſs er sie berichtet, kann allein nicht zur beglaubigung genügen, und der glaube der Athener, den Aischines wiedergibt, auch nicht. allein daſs es listen der pylagoren in Athen von so alter zeit her hätte geben können, daſs in ihnen auch so wichtige dinge wie ein executionsbeschluſs notirt gewesen sein könnten, mochte man noch vor 15 jahren mit schein bezweifeln: jetzt halte ich diese skepsis für widerlegt durch die fundtatsachen, und halte uns für verbunden, eine so alte und so gut bezeugte überlieferung anzuerkennen. ganz dasselbe gilt von der führung der Athener durch Alkmeon, die Plutarch dem delphischen archive entnahm. der sohn des mörders der Kyloneer, der vater des führers der Paralier wider Peisistratos, paſst der zeit nach vortrefflich. die verbindung, in die Alkmeons enkel Kleisthenes mit Delphi tritt, erscheint durch das verdienst des groſsvaters gut motivirt, und die art unserer überlieferung läſst den gedanken nicht aufkommen, daſs Alkmeons name durch kleisthenischen trug in die delphische chronik gekommen wäre. wann die Alkmeoniden aus der verbannung heimgekehrt sind, in welche sie kein regelmäſsiges gericht 24) getrieben hatte, ist unbekannt, aber man wird nicht glauben, daſs Solon sie bei seinem versöhnungs- werke auſser acht gelassen hätte, um so weniger, als Megakles, Alkmeons sohn, die constitutionelle solonische partei später geführt hat (13, 4). ganz besonders gut paſst aber die verschwägerung des Alkmeon mit Kleisthenes von Sikyon, wenn sie im heiligen kriege kameraden waren: die freiwerbung um Agariste ist eine reizende novelle, aber nichts anderes als das (am wenigsten ein auszug aus einem pindarischen gedichte): die familienverbindungen, zumal die über die einzelnen staaten hinausgreifenden, hat nicht nur zu jener zeit ausschlieſslich die politik dictirt. daſs Klei- sthenes, der herr von Sikyon, nicht unbeteiligt zusehn konnte, wenn der krisäische golf den herrn wechselte, wird jedem selbstverständlich sein, der von der einen zur andern küste geschaut hat. 25) seine be- 24) Die bei den modernen verbreitete ansicht, daſs das solonische gesetz, axon 13, gesetz 8, die Alkmeoniden von der rehabilitirung ausschlösse, ist falsch. denn ausgeschlossen sind da nur die von den ordentlichen gerichten, Areopag, Epheten, Phylenkönigen wegen mord, mordversuch ohne tödlichen ausgang (σφαγαί, später τϱαῦμα), tyrannis verbannten. darunter fällt eine verbannung durch einen ausnahmegerichtshof nicht; auch war das verbrechen der Alkmeoniden ἀσέβεια. die deutung der σφαγαί auf τϱαῦμα ἐκ πϱονοίας wird angesichts der aristotelischen zeugnisse, namentlich des amnestievertrages 39, 5, für mich, der ich sie schon früher so aufgefaſst hatte, unzweifelhaft. 25) Es heiſst die vereinzelung der hellenischen staaten und die kleinheit der verhältnisse verkennen, wenn man sich wundert, daſs Sparta und Argos am heiligen v. Wilamowitz, Aristoteles. 2

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/31>, abgerufen am 28.03.2024.