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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 7. Die verfassung.
haben müssen, wie es Aristoteles angibt: denn die sicherung der ge-
schlechter vor fremden eindringlingen ist gerade für die adelszeit ein
wichtiges ding und geht die an, die damals die rechtsprechung übten.

Die
diaeteten.
Die vierzigmänner, für die sich Aristoteles auch in dem geschicht-
lichen abschnitte interessirt, sind so wie sie hier erscheinen erst eine
schöpfung der demokratischen restauration, und die schiedsmänner hat
sie überhaupt erst zu einer staatlichen einrichtung gemacht: sie folgen also
gut auf die eisagogeis. die schiedsmänner behandelt Aristoteles mit der
sorgfalt und in dem breiten stile, den später die darstellung des gerichts-
wesens zeigt. es interessirte ihn mit recht der geistreiche versuch, die
heliasten und beamten dadurch zu entlasten, dass alle privatprocesse
zunächst einem schiedsmanne vorgelegt werden mussten, der sogar ge-
halten war, einen vergleich zu versuchen, dann aber die verhandlung,
so weit sie untersuchung war, abschloss: denn kam die sache vor ein
gericht, so waren erneute beweismittel nicht mehr zulässig, sondern es
handelte sich nur um das urteil. also gab es erstens weniger processe
überhaupt, also auch viel weniger kosten für die staatscasse, denn der
schiedsmann bekam nur sporteln von den parteien, und dann musste
die verhandlung vor gericht eigentlich sehr viel weniger zeit kosten, da
die vernehmung der zeugen fortfiel -- da hat freilich die attische mund-
fertigkeit und die grassirende rhetorik das werk ziemlich vereitelt, und
die sechzigjährigen einzelrichter haben überhaupt geringe autorität er-
langt, weshalb man wol schon 323 die schiedsmänner definitiv beseitigt
hat.76) noch geistreicher ist es, wie man sich die schiedsmänner ohne
kosten für den staat beschaffte, nämlich indem man den letzten jahr-
gang der militärpflichtigen dazu aushob77), also einen im kriege doch

den worten ois dikai eisin entspricht in dem gesetze des vierten jahrhunderts (Apollodor
geg. Neaira 16) ois exestin, beides bezeichnet also nur den bürger, der processiren
darf, d. h. mündig und im genusse der vollen bürgerlichen ehre ist. dass man für
diese eine sorte processe die nautodiken heranzieht, die mit ihnen so wenig und
so viel zu tun haben wie mit den processen der Oreiten, ist ebenso wie die
fixirung der termine für solche klagen auf einen tag im monat ein charakteristischer
versuch, den geschäftsgang der gerichte zu ordnen und der unüberwindlichen masse
von rechtshändeln herr zu werden. unüberwindlich waren sie, das lehrt der oligarch
der Pol. Athen. aber dass die Athener sich mühe gegeben haben, sollen wir ge-
recht genug sein anzuerkennen.
76) Die scharfe und sehr belehrende kritik des Demetrios von Phaleron steht,
leider im wortlaute sehr entstellt, bei Pollux 8, 126 und im lex. Cantabr. me ousa dike.
77) Man kann schwanken, ob nicht vielmehr das erste jahr nach vollendeter
militärpflicht für das schiedsmannsamt bestimmt ward, denn ois an exekoston etos
e ist zweideutig. aber die 42 eponymen entscheiden: es sind eben nur 42 tafeln,

I. 7. Die verfassung.
haben müssen, wie es Aristoteles angibt: denn die sicherung der ge-
schlechter vor fremden eindringlingen ist gerade für die adelszeit ein
wichtiges ding und geht die an, die damals die rechtsprechung übten.

Die
diaeteten.
Die vierzigmänner, für die sich Aristoteles auch in dem geschicht-
lichen abschnitte interessirt, sind so wie sie hier erscheinen erst eine
schöpfung der demokratischen restauration, und die schiedsmänner hat
sie überhaupt erst zu einer staatlichen einrichtung gemacht: sie folgen also
gut auf die εἰσαγωγεῖς. die schiedsmänner behandelt Aristoteles mit der
sorgfalt und in dem breiten stile, den später die darstellung des gerichts-
wesens zeigt. es interessirte ihn mit recht der geistreiche versuch, die
heliasten und beamten dadurch zu entlasten, daſs alle privatprocesse
zunächst einem schiedsmanne vorgelegt werden muſsten, der sogar ge-
halten war, einen vergleich zu versuchen, dann aber die verhandlung,
so weit sie untersuchung war, abschloſs: denn kam die sache vor ein
gericht, so waren erneute beweismittel nicht mehr zulässig, sondern es
handelte sich nur um das urteil. also gab es erstens weniger processe
überhaupt, also auch viel weniger kosten für die staatscasse, denn der
schiedsmann bekam nur sporteln von den parteien, und dann muſste
die verhandlung vor gericht eigentlich sehr viel weniger zeit kosten, da
die vernehmung der zeugen fortfiel — da hat freilich die attische mund-
fertigkeit und die grassirende rhetorik das werk ziemlich vereitelt, und
die sechzigjährigen einzelrichter haben überhaupt geringe autorität er-
langt, weshalb man wol schon 323 die schiedsmänner definitiv beseitigt
hat.76) noch geistreicher ist es, wie man sich die schiedsmänner ohne
kosten für den staat beschaffte, nämlich indem man den letzten jahr-
gang der militärpflichtigen dazu aushob77), also einen im kriege doch

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geg. Neaira 16) οἷς ἔξεστιν, beides bezeichnet also nur den bürger, der processiren
darf, d. h. mündig und im genusse der vollen bürgerlichen ehre ist. daſs man für
diese eine sorte processe die nautodiken heranzieht, die mit ihnen so wenig und
so viel zu tun haben wie mit den processen der Oreiten, ist ebenso wie die
fixirung der termine für solche klagen auf einen tag im monat ein charakteristischer
versuch, den geschäftsgang der gerichte zu ordnen und der unüberwindlichen masse
von rechtshändeln herr zu werden. unüberwindlich waren sie, das lehrt der oligarch
der Πολ. Ἀϑην. aber daſs die Athener sich mühe gegeben haben, sollen wir ge-
recht genug sein anzuerkennen.
76) Die scharfe und sehr belehrende kritik des Demetrios von Phaleron steht,
leider im wortlaute sehr entstellt, bei Pollux 8, 126 und im lex. Cantabr. μὴ οὖσα δίκη.
77) Man kann schwanken, ob nicht vielmehr das erste jahr nach vollendeter
militärpflicht für das schiedsmannsamt bestimmt ward, denn οἷς ἂν ἑξηκοστὸν ἐτος
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[224/0238] I. 7. Die verfassung. haben müssen, wie es Aristoteles angibt: denn die sicherung der ge- schlechter vor fremden eindringlingen ist gerade für die adelszeit ein wichtiges ding und geht die an, die damals die rechtsprechung übten. Die vierzigmänner, für die sich Aristoteles auch in dem geschicht- lichen abschnitte interessirt, sind so wie sie hier erscheinen erst eine schöpfung der demokratischen restauration, und die schiedsmänner hat sie überhaupt erst zu einer staatlichen einrichtung gemacht: sie folgen also gut auf die εἰσαγωγεῖς. die schiedsmänner behandelt Aristoteles mit der sorgfalt und in dem breiten stile, den später die darstellung des gerichts- wesens zeigt. es interessirte ihn mit recht der geistreiche versuch, die heliasten und beamten dadurch zu entlasten, daſs alle privatprocesse zunächst einem schiedsmanne vorgelegt werden muſsten, der sogar ge- halten war, einen vergleich zu versuchen, dann aber die verhandlung, so weit sie untersuchung war, abschloſs: denn kam die sache vor ein gericht, so waren erneute beweismittel nicht mehr zulässig, sondern es handelte sich nur um das urteil. also gab es erstens weniger processe überhaupt, also auch viel weniger kosten für die staatscasse, denn der schiedsmann bekam nur sporteln von den parteien, und dann muſste die verhandlung vor gericht eigentlich sehr viel weniger zeit kosten, da die vernehmung der zeugen fortfiel — da hat freilich die attische mund- fertigkeit und die grassirende rhetorik das werk ziemlich vereitelt, und die sechzigjährigen einzelrichter haben überhaupt geringe autorität er- langt, weshalb man wol schon 323 die schiedsmänner definitiv beseitigt hat. 76) noch geistreicher ist es, wie man sich die schiedsmänner ohne kosten für den staat beschaffte, nämlich indem man den letzten jahr- gang der militärpflichtigen dazu aushob 77), also einen im kriege doch 75) Die diaeteten. 76) Die scharfe und sehr belehrende kritik des Demetrios von Phaleron steht, leider im wortlaute sehr entstellt, bei Pollux 8, 126 und im lex. Cantabr. μὴ οὖσα δίκη. 77) Man kann schwanken, ob nicht vielmehr das erste jahr nach vollendeter militärpflicht für das schiedsmannsamt bestimmt ward, denn οἷς ἂν ἑξηκοστὸν ἐτος ᾖ ist zweideutig. aber die 42 eponymen entscheiden: es sind eben nur 42 tafeln, 75) den worten οἷς δίκαι εἰσίν entspricht in dem gesetze des vierten jahrhunderts (Apollodor geg. Neaira 16) οἷς ἔξεστιν, beides bezeichnet also nur den bürger, der processiren darf, d. h. mündig und im genusse der vollen bürgerlichen ehre ist. daſs man für diese eine sorte processe die nautodiken heranzieht, die mit ihnen so wenig und so viel zu tun haben wie mit den processen der Oreiten, ist ebenso wie die fixirung der termine für solche klagen auf einen tag im monat ein charakteristischer versuch, den geschäftsgang der gerichte zu ordnen und der unüberwindlichen masse von rechtshändeln herr zu werden. unüberwindlich waren sie, das lehrt der oligarch der Πολ. Ἀϑην. aber daſs die Athener sich mühe gegeben haben, sollen wir ge- recht genug sein anzuerkennen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/238>, abgerufen am 29.03.2024.