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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Militärische ämter. der rat.
reiterei unverhältnismässig gut, weil sie in die ratscompetenz fällt, ebenso
der flottenbau. wir wussten schon aus der Politik, dass Aristoteles alles
militärische vollkommen aussondert; er bleibt auf dem standpunkte seiner
gegenwart stehn, dass der politiker und der feldherr immer getrennte
personen sind 39), und er hat deshalb weder den Perikles würdigen können
noch den Philippos. er hat die condottieri seiner zeit gewiss mit recht
für den besten staat nicht mitgezählt, aber dem wahn gehuldigt, dass
der turnplatz soldaten bildete und die routine den feldherrn. dass er
in Sparta den kriegerstaat als solchen anerkennt, verdankt er dem Platon,
der als echter Athener, stolz auf den waffenruhm seines volkes und seiner
familie, den wehrstand, die phulakes, vor allem bilden will. Aristoteles
war offenbar ganz so unmilitärisch wie Demosthenes und Isokrates.

Die erlosten beamten sind dem Aristoteles am wichtigsten erschienenDer rat.
und werden demzufolge zuerst abgehandelt. voran steht der rat, in der tat
die hauptbehörde, und seine zusammensetzung und die allgemeine geschäfts-
ordnung eröffnet die darstellung seiner competenzen, wobei passend die

jahrhundert zu erwarten, hat niemand ein recht; sie existirt auch nicht. wann die
Ammonis gebaut ist, wird erst zeigen, wer eine feierliche beschickung des orakels
im vierten jahrhundert nachweist. die rede des Aristoteles zeigt, dass sie nicht
coordinirt zur Paralos steht: tamian tes Paralou kai allon tes tou Ammonos ist
offenbar so stilisirt, weil zu dem ersten einzigen der zweite schatzmeister einmal
zugefügt ist. dass die theorie zum Ammon, der das schiff diente, gleichzeitig mit
der aufnahme des libyschen gottes in den staatscult gestiftet ist, liegt mindestens
sehr nahe. ich verfüge aber über kein älteres zeugnis als die bekannte rechnung
über die hautgelder aus dem jahre des Nikokrates (juli 333), CIA II 741. in dem-
selben jahre aber ist in dem heiligtum des Ammon ein brunnen (d. h. eine leitung
der grossen städtischen wasserleitung) angelegt, Ephem. arkh. 89, 16: es dürfte alles
dafür sprechen, dass der cult noch nicht alt war und in der tat der initiative des
Lykurgos entstammt, dessen familie bekanntlich alte aegyptische verbindungen hatte.
39) So formulirt er dieses weise urteil über die gegenwart E 1305a. seit dem
kläglichen ende der syrakusischen tyrannis war die furcht wie die hoffnung gegen-
über dieser verfassungsform allgemein ziemlich still geworden. um so mehr über-
schätzte man die rhetoren. dass das militär fachkenntnisse und ein avancement von
den niedern zu den höhern stellen nötig hat, weiss Aristoteles G 1277b 10, wie es
Aristophanes (Ritt. 540) weiss, der nur das bild von der marine nimmt: aber den
gedanken auf den civildienst zu übertragen, liegt ihm ganz fern. in seiner übersicht der
für jeden staat notwendigen organe figurirt das militär (Z 1322a 32), aber es wird
so wenig wie in der Politie eingehend behandelt, und die organische verbindung der
wehrpflicht mit der bürgerpflicht, die das alte Athen kannte, fehlt ganz ebenso wie
die verbindung der potestas mit dem imperium, die erst die volle macht eines
römischen magistrates bildet. der soldat Xenophon hätte da den professor Aristo-
teles manches lehren können: aber er hatte auch bei könig Philippos nichts gelernt.
v. Wilamowitz, Aristoteles I. 14

Militärische ämter. der rat.
reiterei unverhältnismäſsig gut, weil sie in die ratscompetenz fällt, ebenso
der flottenbau. wir wussten schon aus der Politik, daſs Aristoteles alles
militärische vollkommen aussondert; er bleibt auf dem standpunkte seiner
gegenwart stehn, daſs der politiker und der feldherr immer getrennte
personen sind 39), und er hat deshalb weder den Perikles würdigen können
noch den Philippos. er hat die condottieri seiner zeit gewiſs mit recht
für den besten staat nicht mitgezählt, aber dem wahn gehuldigt, daſs
der turnplatz soldaten bildete und die routine den feldherrn. daſs er
in Sparta den kriegerstaat als solchen anerkennt, verdankt er dem Platon,
der als echter Athener, stolz auf den waffenruhm seines volkes und seiner
familie, den wehrstand, die φύλακες, vor allem bilden will. Aristoteles
war offenbar ganz so unmilitärisch wie Demosthenes und Isokrates.

Die erlosten beamten sind dem Aristoteles am wichtigsten erschienenDer rat.
und werden demzufolge zuerst abgehandelt. voran steht der rat, in der tat
die hauptbehörde, und seine zusammensetzung und die allgemeine geschäfts-
ordnung eröffnet die darstellung seiner competenzen, wobei passend die

jahrhundert zu erwarten, hat niemand ein recht; sie existirt auch nicht. wann die
Ammonis gebaut ist, wird erst zeigen, wer eine feierliche beschickung des orakels
im vierten jahrhundert nachweist. die rede des Aristoteles zeigt, daſs sie nicht
coordinirt zur Paralos steht: ταμίαν τῆς Παϱάλου καὶ ἄλλον τῆς τοῦ Ἄμμωνος ist
offenbar so stilisirt, weil zu dem ersten einzigen der zweite schatzmeister einmal
zugefügt ist. daſs die theorie zum Ammon, der das schiff diente, gleichzeitig mit
der aufnahme des libyschen gottes in den staatscult gestiftet ist, liegt mindestens
sehr nahe. ich verfüge aber über kein älteres zeugnis als die bekannte rechnung
über die hautgelder aus dem jahre des Nikokrates (juli 333), CIA II 741. in dem-
selben jahre aber ist in dem heiligtum des Ammon ein brunnen (d. h. eine leitung
der groſsen städtischen wasserleitung) angelegt, Ἐφημ. ἀϱχ. 89, 16: es dürfte alles
dafür sprechen, daſs der cult noch nicht alt war und in der tat der initiative des
Lykurgos entstammt, dessen familie bekanntlich alte aegyptische verbindungen hatte.
39) So formulirt er dieses weise urteil über die gegenwart Ε 1305a. seit dem
kläglichen ende der syrakusischen tyrannis war die furcht wie die hoffnung gegen-
über dieser verfassungsform allgemein ziemlich still geworden. um so mehr über-
schätzte man die rhetoren. daſs das militär fachkenntnisse und ein avancement von
den niedern zu den höhern stellen nötig hat, weiſs Aristoteles Γ 1277b 10, wie es
Aristophanes (Ritt. 540) weiſs, der nur das bild von der marine nimmt: aber den
gedanken auf den civildienst zu übertragen, liegt ihm ganz fern. in seiner übersicht der
für jeden staat notwendigen organe figurirt das militär (Ζ 1322a 32), aber es wird
so wenig wie in der Politie eingehend behandelt, und die organische verbindung der
wehrpflicht mit der bürgerpflicht, die das alte Athen kannte, fehlt ganz ebenso wie
die verbindung der potestas mit dem imperium, die erst die volle macht eines
römischen magistrates bildet. der soldat Xenophon hätte da den professor Aristo-
teles manches lehren können: aber er hatte auch bei könig Philippos nichts gelernt.
v. Wilamowitz, Aristoteles I. 14
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[209/0223] Militärische ämter. der rat. reiterei unverhältnismäſsig gut, weil sie in die ratscompetenz fällt, ebenso der flottenbau. wir wussten schon aus der Politik, daſs Aristoteles alles militärische vollkommen aussondert; er bleibt auf dem standpunkte seiner gegenwart stehn, daſs der politiker und der feldherr immer getrennte personen sind 39), und er hat deshalb weder den Perikles würdigen können noch den Philippos. er hat die condottieri seiner zeit gewiſs mit recht für den besten staat nicht mitgezählt, aber dem wahn gehuldigt, daſs der turnplatz soldaten bildete und die routine den feldherrn. daſs er in Sparta den kriegerstaat als solchen anerkennt, verdankt er dem Platon, der als echter Athener, stolz auf den waffenruhm seines volkes und seiner familie, den wehrstand, die φύλακες, vor allem bilden will. Aristoteles war offenbar ganz so unmilitärisch wie Demosthenes und Isokrates. Die erlosten beamten sind dem Aristoteles am wichtigsten erschienen und werden demzufolge zuerst abgehandelt. voran steht der rat, in der tat die hauptbehörde, und seine zusammensetzung und die allgemeine geschäfts- ordnung eröffnet die darstellung seiner competenzen, wobei passend die 38) Der rat. 39) So formulirt er dieses weise urteil über die gegenwart Ε 1305a. seit dem kläglichen ende der syrakusischen tyrannis war die furcht wie die hoffnung gegen- über dieser verfassungsform allgemein ziemlich still geworden. um so mehr über- schätzte man die rhetoren. daſs das militär fachkenntnisse und ein avancement von den niedern zu den höhern stellen nötig hat, weiſs Aristoteles Γ 1277b 10, wie es Aristophanes (Ritt. 540) weiſs, der nur das bild von der marine nimmt: aber den gedanken auf den civildienst zu übertragen, liegt ihm ganz fern. in seiner übersicht der für jeden staat notwendigen organe figurirt das militär (Ζ 1322a 32), aber es wird so wenig wie in der Politie eingehend behandelt, und die organische verbindung der wehrpflicht mit der bürgerpflicht, die das alte Athen kannte, fehlt ganz ebenso wie die verbindung der potestas mit dem imperium, die erst die volle macht eines römischen magistrates bildet. der soldat Xenophon hätte da den professor Aristo- teles manches lehren können: aber er hatte auch bei könig Philippos nichts gelernt. 38) jahrhundert zu erwarten, hat niemand ein recht; sie existirt auch nicht. wann die Ammonis gebaut ist, wird erst zeigen, wer eine feierliche beschickung des orakels im vierten jahrhundert nachweist. die rede des Aristoteles zeigt, daſs sie nicht coordinirt zur Paralos steht: ταμίαν τῆς Παϱάλου καὶ ἄλλον τῆς τοῦ Ἄμμωνος ist offenbar so stilisirt, weil zu dem ersten einzigen der zweite schatzmeister einmal zugefügt ist. daſs die theorie zum Ammon, der das schiff diente, gleichzeitig mit der aufnahme des libyschen gottes in den staatscult gestiftet ist, liegt mindestens sehr nahe. ich verfüge aber über kein älteres zeugnis als die bekannte rechnung über die hautgelder aus dem jahre des Nikokrates (juli 333), CIA II 741. in dem- selben jahre aber ist in dem heiligtum des Ammon ein brunnen (d. h. eine leitung der groſsen städtischen wasserleitung) angelegt, Ἐφημ. ἀϱχ. 89, 16: es dürfte alles dafür sprechen, daſs der cult noch nicht alt war und in der tat der initiative des Lykurgos entstammt, dessen familie bekanntlich alte aegyptische verbindungen hatte. v. Wilamowitz, Aristoteles I. 14

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/223>, abgerufen am 23.04.2024.