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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die ephebie.
neue ordnung ist notwendig später als die letzte nachweisliche diapsephisis,
346. das dokimazesthai eis andras, das eggraphesthai eis to lexi-
arkhikon grammateion hat freilich immer schon am eintritte in das 18
jahr stattgefunden, und zwar auch am anfange des bürgerlichen jahres
im demos, und die ephesis eis dikasterion hat dem ausgeschlossenen
natürlich freigestanden. aber von einer beteiligung des rates verlautet
nichts, und Euxitheos konnte dem Eubulides nicht durch die stele vor
dem rathause den nachweis erbringen, dass er ein Halimusier wäre; die
zerstörung der gemeindeacten von Halimus hatte ihm den nachweis
seiner dokimasie unmöglich gemacht. vor allem aber, die jungen leute
wurden mit der dokimasie männer, sie verwalteten ihr vermögen und
führten processe; um nur einen zu nennen: so hat es Demosthenes
gehalten.8) die ephebenordnung, die Aristoteles schildert, verwehrt ihnen
zwei jahre lang jedes processiren, und nur darin, dass sie für den anfall
eines erbes oder einer erbtochter oder eines priestertums mit 18 jahren
mündig sind, zeigt sich die nachwirkung des älteren rechtes.

Diese ephebenordnung ist ein wunderbares ding. ein vom volke
gewählter 'ordnungswart' an der spitze, 10 'zuchtmeister' unter ihm,
gewählt auch vom volke, je einer aus 3 von den vätern aus einer phyle
durch wahl bestimmten candidaten in dem alter, das für die choregen der
knabenchöre erfordert war, zwei turnlehrer, je ein lehrer für die ver-
schiedenen waffen9), erziehung in casernen, auf staatskosten, streng von
der corruption des lebens entfernt, am anfang und ende des recruten-
jahres eine feierliche ceremonie, dann ein jahr garnisonwachtdienst und
patrouillendienst: das ist eine institution, die grell von der eleutheria,
der parresia, dem zen os an tis bouletai absticht, auf die die dema-
gogen Athens damals so stolz sind. wer über diese institution nicht
zuerst den kopf schüttelt, dem ist das athenische leben und denken
vollkommen fremd geblieben, mag er auch dicke bücher darüber ge-
schrieben haben. noch vor wenigen jahren würde man auf den ersten
blick sich berechtigt gehalten haben, das capitel oder das buch zu athe-
tiren, weil es eine jüngere institution schilderte. wer sie kennt, muss
wissen, dass Platon und Isokrates davon nichts gewusst haben, dass der

8) Es genügt auf Schäfers sammlungen Demosth. IIIb zu verweisen.
9) Die jungen leute lernen mit den waffen der schweren und der leichten
infanterie umgehn (der schweren lanze, dem wurfspeer des peltasten und dem
bogen) und den dienst an den geschützen. sie lernen aber nicht reiten und nichts
für den seedienst. das zeigt allein, wie sehr sich nicht nur seit dem fünften jahr-
hundert, sondern auch seit Xenophon die verhältnisse geändert haben.

Die ephebie.
neue ordnung ist notwendig später als die letzte nachweisliche διαψήφισις,
346. das δοκιμάζεσϑαι εἰς ἄνδϱας, das ἐγγϱάφεσϑαι εἰς τὸ ληξι-
αϱχικὸν γϱαμματεῖον hat freilich immer schon am eintritte in das 18
jahr stattgefunden, und zwar auch am anfange des bürgerlichen jahres
im demos, und die ἔφεσις εἰς δικαστήϱιον hat dem ausgeschlossenen
natürlich freigestanden. aber von einer beteiligung des rates verlautet
nichts, und Euxitheos konnte dem Eubulides nicht durch die stele vor
dem rathause den nachweis erbringen, daſs er ein Halimusier wäre; die
zerstörung der gemeindeacten von Halimus hatte ihm den nachweis
seiner dokimasie unmöglich gemacht. vor allem aber, die jungen leute
wurden mit der dokimasie männer, sie verwalteten ihr vermögen und
führten processe; um nur einen zu nennen: so hat es Demosthenes
gehalten.8) die ephebenordnung, die Aristoteles schildert, verwehrt ihnen
zwei jahre lang jedes processiren, und nur darin, daſs sie für den anfall
eines erbes oder einer erbtochter oder eines priestertums mit 18 jahren
mündig sind, zeigt sich die nachwirkung des älteren rechtes.

Diese ephebenordnung ist ein wunderbares ding. ein vom volke
gewählter ‘ordnungswart’ an der spitze, 10 ‘zuchtmeister’ unter ihm,
gewählt auch vom volke, je einer aus 3 von den vätern aus einer phyle
durch wahl bestimmten candidaten in dem alter, das für die choregen der
knabenchöre erfordert war, zwei turnlehrer, je ein lehrer für die ver-
schiedenen waffen9), erziehung in casernen, auf staatskosten, streng von
der corruption des lebens entfernt, am anfang und ende des recruten-
jahres eine feierliche ceremonie, dann ein jahr garnisonwachtdienst und
patrouillendienst: das ist eine institution, die grell von der ἐλευϑεϱία,
der παϱϱησία, dem ζῆν ὡς ἄν τις βούληται absticht, auf die die dema-
gogen Athens damals so stolz sind. wer über diese institution nicht
zuerst den kopf schüttelt, dem ist das athenische leben und denken
vollkommen fremd geblieben, mag er auch dicke bücher darüber ge-
schrieben haben. noch vor wenigen jahren würde man auf den ersten
blick sich berechtigt gehalten haben, das capitel oder das buch zu athe-
tiren, weil es eine jüngere institution schilderte. wer sie kennt, muſs
wissen, daſs Platon und Isokrates davon nichts gewuſst haben, daſs der

8) Es genügt auf Schäfers sammlungen Demosth. IIIb zu verweisen.
9) Die jungen leute lernen mit den waffen der schweren und der leichten
infanterie umgehn (der schweren lanze, dem wurfspeer des peltasten und dem
bogen) und den dienst an den geschützen. sie lernen aber nicht reiten und nichts
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hundert, sondern auch seit Xenophon die verhältnisse geändert haben.
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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/205>, abgerufen am 29.03.2024.