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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die politische litteratur Athens.
während er die lakonische erhob, aber, so viel wir erkennen können,
viel mehr das behandelte, was später bioi heisst, als die kritik oder die
darstellung der verfassungsformen oder gar sein eigenes politisches
programm78): das wäre ehrlich ausgesprochen nichts gewesen als to

78) Eigentliche reden hat es von Kritias gar nicht gegeben; das lehrt die über-
lieferung, und seine erwähnung bei Cicero (de orat. II 93) fordert sie keineswegs.
Hermogenes aber (de id. II) bezeugt nur demegorika prooimia, musterstücke wie
von Antiphon, die wol nur für den rhetor in betracht kamen. ob Dionysios, der
nirgend etwas concretes von ihm aussagt, ihn gelesen hat, ist zweifelhaft. wir
können den sophisten nicht anders fassen als es Philostratos tut, der ihn eben in
die bioi sophiston aufgenommen hat: die naive vorstellung, Kritias hätte etwa wie
Philostratos selbst bioi geschrieben, stammt von Bach, der sie damit begründet, dass
Philostratos aus Kritias anführt, nur Homer hätte er ohne vatersnamen aufgeführt
(während die albernen sophisten der kaiserzeit wie Pausanias selbst Platon o Ari-
stonos sagen: wie viel väter werden damals gelogen sein!). natürlich geht das auf
eine stelle der Omiliai, in der auch Archilochos getadelt wird, weil er seine unedle
mutter selbst genannt hatte. das interessanteste ist, dass wir durch Philostratos
hören, erst Herodes Attikos habe den verschollenen schriftsteller in die mode ge-
bracht. Philostratos selbst hat ihn stark nachgeahmt, und eine glosse astutrips
ist noch für uns bei ihm nachweisbar (Dindorf im Thesaurus s. v.). indessen hatte
die lexicographie die politeiai wenigstens schon vorher nicht vergessen: Didymos
hat sicher ein citat (Harp. lukiourgeis = Athen XI. 486, wo Kaibel wieder eine be-
ziehung zu Pollux aufzeigt), und auf ältere lexicographie als die hadrianische sind
wir gewohnt zurückzuführen was bei Pollux mit Hesych stimmt: das gilt von den
Kritiasglossen astutrips murepsos ornithokapelos podeia prosodia im Hesych, die
zum teil verkannt sind. allerdings wird man so gut wie alles auf die politeiai
zurückführen, ausser den drei anführungen Galens, der für dusanias (die verdorbene
stelle in Hippokr. epid. 3, 11, die ich in meinem Hippol. 193 verbessert habe, vgl.
Hesych. Lusanias) den Kritias en to peri phuseos erotos e areton citirt, während
Harpokration dafür Antiphon anführt, und im commentar zu kat ietreion (XVIIIb
656 Kühn), übrigens durch vermittelung seines mitschülers Iphikianos(?) aus einem
stoiker Simias, Kritias en proto aphorismo (d. i. aphorismon) und en omilion
protero, neben dem sophisten Antiphon, dem sokratiker Aischines und rednern.
aber ein aphorismos ist doch wol was Dion (26, 3) von ihm anführt, dass die schön-
heit am knaben das weibliche, am mädchen das männliche sei (das erinnert an den
aphorismos, kreon edista ta me krea von Philoxenos bei Plutarch de aud. poet.
anfang). die Homilien citirt auch Herodian dict. sol. 946 Lentz. dass solche
sophistischen spiele ihm zuzutrauen sind, der idiotes en philosophois, philosophos en
idiotais war, dürfen wir auf Platons zeugnis hin glauben (Tim. 20a mit schol.).
sehr naiv aber wäre es, wenn wir verlangten, dass der spätere tyrann sein herz
ausgeschüttet hätte und als apostel seiner scrupellosen immoralität aufgetreten wäre:
die gottlosigkeit bekennt ja nicht er in seiner tragoedie, sondern Sisyphos, und er
gibt auch in der lehre, dass die götter die erfindung eines staatsmannes wären,
fremde speculation, nicht anders als in den lehren über physik und ethik, die wir
noch im Peirithoos erkennen. ich würde es für unberechtigt halten, selbst sokra-

Die politische litteratur Athens.
während er die lakonische erhob, aber, so viel wir erkennen können,
viel mehr das behandelte, was später βίοι heiſst, als die kritik oder die
darstellung der verfassungsformen oder gar sein eigenes politisches
programm78): das wäre ehrlich ausgesprochen nichts gewesen als τὸ

78) Eigentliche reden hat es von Kritias gar nicht gegeben; das lehrt die über-
lieferung, und seine erwähnung bei Cicero (de orat. II 93) fordert sie keineswegs.
Hermogenes aber (de id. II) bezeugt nur δημηγοϱικὰ πϱοοίμια, musterstücke wie
von Antiphon, die wol nur für den rhetor in betracht kamen. ob Dionysios, der
nirgend etwas concretes von ihm aussagt, ihn gelesen hat, ist zweifelhaft. wir
können den sophisten nicht anders fassen als es Philostratos tut, der ihn eben in
die βίοι σοφιστῶν aufgenommen hat: die naive vorstellung, Kritias hätte etwa wie
Philostratos selbst βίοι geschrieben, stammt von Bach, der sie damit begründet, daſs
Philostratos aus Kritias anführt, nur Homer hätte er ohne vatersnamen aufgeführt
(während die albernen sophisten der kaiserzeit wie Pausanias selbst Πλάτων ὁ Ἀϱί-
στωνος sagen: wie viel väter werden damals gelogen sein!). natürlich geht das auf
eine stelle der Ὁμιλίαι, in der auch Archilochos getadelt wird, weil er seine unedle
mutter selbst genannt hatte. das interessanteste ist, daſs wir durch Philostratos
hören, erst Herodes Attikos habe den verschollenen schriftsteller in die mode ge-
bracht. Philostratos selbst hat ihn stark nachgeahmt, und eine glosse ἀστύτϱιψ
ist noch für uns bei ihm nachweisbar (Dindorf im Thesaurus s. v.). indessen hatte
die lexicographie die πολιτεῖαι wenigstens schon vorher nicht vergessen: Didymos
hat sicher ein citat (Harp. λυκιουϱγεῖς = Athen XI. 486, wo Kaibel wieder eine be-
ziehung zu Pollux aufzeigt), und auf ältere lexicographie als die hadrianische sind
wir gewohnt zurückzuführen was bei Pollux mit Hesych stimmt: das gilt von den
Kritiasglossen ἀστύτϱιψ μυϱεψός ὀϱνιϑοκάπηλος πόδεια πϱοσῳδία im Hesych, die
zum teil verkannt sind. allerdings wird man so gut wie alles auf die πολιτεῖαι
zurückführen, auſser den drei anführungen Galens, der für δυσανίας (die verdorbene
stelle in Hippokr. epid. 3, 11, die ich in meinem Hippol. 193 verbessert habe, vgl.
Hesych. Λυσανίας) den Kritias ἐν τῷ πεϱὶ φύσεως ἔϱωτος ἢ ἀϱετῶν citirt, während
Harpokration dafür Antiphon anführt, und im commentar zu κατ̕ ἰητϱεῖον (XVIIIb
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stoiker Simias, Κϱιτίας ἐν πϱώτῳ ἀφοϱισμῷ (d. i. ἀφοϱισμῶν) und ἐν ὁμιλιῶν
πϱοτέϱῳ, neben dem sophisten Antiphon, dem sokratiker Aischines und rednern.
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heit am knaben das weibliche, am mädchen das männliche sei (das erinnert an den
ἀφοϱισμός, κϱεῶν ἥδιστα τὰ μὴ κϱέα von Philoxenos bei Plutarch de aud. poet.
anfang). die Homilien citirt auch Herodian dict. sol. 946 Lentz. daſs solche
sophistischen spiele ihm zuzutrauen sind, der ἰδιώτης ἐν φιλοσόφοις, φιλόσοφος ἐν
ἰδιώταις war, dürfen wir auf Platons zeugnis hin glauben (Tim. 20a mit schol.).
sehr naiv aber wäre es, wenn wir verlangten, daſs der spätere tyrann sein herz
ausgeschüttet hätte und als apostel seiner scrupellosen immoralität aufgetreten wäre:
die gottlosigkeit bekennt ja nicht er in seiner tragoedie, sondern Sisyphos, und er
gibt auch in der lehre, daſs die götter die erfindung eines staatsmannes wären,
fremde speculation, nicht anders als in den lehren über physik und ethik, die wir
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[175/0189] Die politische litteratur Athens. während er die lakonische erhob, aber, so viel wir erkennen können, viel mehr das behandelte, was später βίοι heiſst, als die kritik oder die darstellung der verfassungsformen oder gar sein eigenes politisches programm 78): das wäre ehrlich ausgesprochen nichts gewesen als τὸ 78) Eigentliche reden hat es von Kritias gar nicht gegeben; das lehrt die über- lieferung, und seine erwähnung bei Cicero (de orat. II 93) fordert sie keineswegs. Hermogenes aber (de id. II) bezeugt nur δημηγοϱικὰ πϱοοίμια, musterstücke wie von Antiphon, die wol nur für den rhetor in betracht kamen. ob Dionysios, der nirgend etwas concretes von ihm aussagt, ihn gelesen hat, ist zweifelhaft. wir können den sophisten nicht anders fassen als es Philostratos tut, der ihn eben in die βίοι σοφιστῶν aufgenommen hat: die naive vorstellung, Kritias hätte etwa wie Philostratos selbst βίοι geschrieben, stammt von Bach, der sie damit begründet, daſs Philostratos aus Kritias anführt, nur Homer hätte er ohne vatersnamen aufgeführt (während die albernen sophisten der kaiserzeit wie Pausanias selbst Πλάτων ὁ Ἀϱί- στωνος sagen: wie viel väter werden damals gelogen sein!). natürlich geht das auf eine stelle der Ὁμιλίαι, in der auch Archilochos getadelt wird, weil er seine unedle mutter selbst genannt hatte. das interessanteste ist, daſs wir durch Philostratos hören, erst Herodes Attikos habe den verschollenen schriftsteller in die mode ge- bracht. Philostratos selbst hat ihn stark nachgeahmt, und eine glosse ἀστύτϱιψ ist noch für uns bei ihm nachweisbar (Dindorf im Thesaurus s. v.). indessen hatte die lexicographie die πολιτεῖαι wenigstens schon vorher nicht vergessen: Didymos hat sicher ein citat (Harp. λυκιουϱγεῖς = Athen XI. 486, wo Kaibel wieder eine be- ziehung zu Pollux aufzeigt), und auf ältere lexicographie als die hadrianische sind wir gewohnt zurückzuführen was bei Pollux mit Hesych stimmt: das gilt von den Kritiasglossen ἀστύτϱιψ μυϱεψός ὀϱνιϑοκάπηλος πόδεια πϱοσῳδία im Hesych, die zum teil verkannt sind. allerdings wird man so gut wie alles auf die πολιτεῖαι zurückführen, auſser den drei anführungen Galens, der für δυσανίας (die verdorbene stelle in Hippokr. epid. 3, 11, die ich in meinem Hippol. 193 verbessert habe, vgl. Hesych. Λυσανίας) den Kritias ἐν τῷ πεϱὶ φύσεως ἔϱωτος ἢ ἀϱετῶν citirt, während Harpokration dafür Antiphon anführt, und im commentar zu κατ̕ ἰητϱεῖον (XVIIIb 656 Kühn), übrigens durch vermittelung seines mitschülers Ἰφικιανός(?) aus einem stoiker Simias, Κϱιτίας ἐν πϱώτῳ ἀφοϱισμῷ (d. i. ἀφοϱισμῶν) und ἐν ὁμιλιῶν πϱοτέϱῳ, neben dem sophisten Antiphon, dem sokratiker Aischines und rednern. aber ein ἀφοϱισμός ist doch wol was Dion (26, 3) von ihm anführt, daſs die schön- heit am knaben das weibliche, am mädchen das männliche sei (das erinnert an den ἀφοϱισμός, κϱεῶν ἥδιστα τὰ μὴ κϱέα von Philoxenos bei Plutarch de aud. poet. anfang). die Homilien citirt auch Herodian dict. sol. 946 Lentz. daſs solche sophistischen spiele ihm zuzutrauen sind, der ἰδιώτης ἐν φιλοσόφοις, φιλόσοφος ἐν ἰδιώταις war, dürfen wir auf Platons zeugnis hin glauben (Tim. 20a mit schol.). sehr naiv aber wäre es, wenn wir verlangten, daſs der spätere tyrann sein herz ausgeschüttet hätte und als apostel seiner scrupellosen immoralität aufgetreten wäre: die gottlosigkeit bekennt ja nicht er in seiner tragoedie, sondern Sisyphos, und er gibt auch in der lehre, daſs die götter die erfindung eines staatsmannes wären, fremde speculation, nicht anders als in den lehren über physik und ethik, die wir noch im Peirithoos erkennen. ich würde es für unberechtigt halten, selbst sokra-

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/189>, abgerufen am 29.03.2024.