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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die oligarchische grundschrift.
die verderbliche appellation an das gericht galt nicht, sondern der
Areopag entschied. ein rat, zu dem alle berechtigt waren, ward auch
ausgelost, aber nicht jetzt, wo die faulpelze sich zu den diäten drängen,
die anständigen leute sich zurückhalten, kommt das ganze volk in ihm
zu seinem gleichen rechte, sondern damals, wo jeder in festem turnus
hineinkam, und die tätige teilnahme durch strafen für die versäumnis
erzwungen ward: das müssen wir wieder herstellen. -- eine revision der
bestehenden verfassung, die mit der rückkehr zu den ordnungen der
väter ernst macht, sieht so und so aus."

An dieser stelle könnte der verfassungsentwurf der 100 nomotheten
von 411 stehn, und die ganze schrift würde geeignet sein, ihn zu be-
gründen. aber es ist ein wesentliches moment der drakontischen ver-
fassung, der rat der 400, erst in der provisorischen verfassung von 411
benutzt, die abschaffung der solonischen beschränkungen der freien ver-
erbung ist erst von den 30 beliebt, endlich hat Aristoteles die ganze
reihe der urkunden von 411 offenbar aus derselben quelle, also ist der
fortgang der schrift vielmehr so zu denken.

"In dem sinne haben die gesetzgeber von 411 die revision geplant.
denn den vorwurf staatsfeindlicher gesinnung verdienen sie nicht: die
anträge, auf grund deren die nomotheten erwählt wurden, und die ledig-
lich provisorische einsetzung der 400 gibt zu keinen solchen ausstellungen
anlass, man sehe nur die acten. schlechte leute, wie die hochverräter
Phrynichos und Antiphon, haben die gute unternehmung scheitern lassen,
und die sie gestürzt haben, sind eben dieselben, die für die patrios
politeia nachdrücklich eingetreten waren, aber zu einer gesetzwidrig-
keit ihre hand nicht boten, Aristokrates und Theramenes. in diese
bahnen müssen wir zurückkehren."

Ich habe nur ein par bindeglieder zwischen die sätze geschoben,
deren herkunft aus oligarchischer quelle sich herausgestellt hat, und
dann die tendenz zum ausdruck gebracht, die ein bindeglied zwischen
der historischen kritik der demokratie und den verfassungsplänen bildet.
das ist der satz, die patrios politeia ist das richtige, die solonische
verfassung mit ihren consequenzen ist das falsche. es ist nun offenbar,
dass dieser satz sowol 411 wie 404 das programm der gemässigten ge-
wesen ist, der oligarchen wie der demokraten. als verteidiger der
patrios politeia fanden sich gegen die günstlinge des Lysandros leute
wie Archinos und Phormisios mit Theramenes zusammen (34, 3). sie
verstanden nur etwas verschiedenes darunter. Kleitophon nannte die
gesetze des Kleisthenes patrioi (29, 3), dagegen bezeichneten die

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Die oligarchische grundschrift.
die verderbliche appellation an das gericht galt nicht, sondern der
Areopag entschied. ein rat, zu dem alle berechtigt waren, ward auch
ausgelost, aber nicht jetzt, wo die faulpelze sich zu den diäten drängen,
die anständigen leute sich zurückhalten, kommt das ganze volk in ihm
zu seinem gleichen rechte, sondern damals, wo jeder in festem turnus
hineinkam, und die tätige teilnahme durch strafen für die versäumnis
erzwungen ward: das müssen wir wieder herstellen. — eine revision der
bestehenden verfassung, die mit der rückkehr zu den ordnungen der
väter ernst macht, sieht so und so aus.”

An dieser stelle könnte der verfassungsentwurf der 100 nomotheten
von 411 stehn, und die ganze schrift würde geeignet sein, ihn zu be-
gründen. aber es ist ein wesentliches moment der drakontischen ver-
fassung, der rat der 400, erst in der provisorischen verfassung von 411
benutzt, die abschaffung der solonischen beschränkungen der freien ver-
erbung ist erst von den 30 beliebt, endlich hat Aristoteles die ganze
reihe der urkunden von 411 offenbar aus derselben quelle, also ist der
fortgang der schrift vielmehr so zu denken.

“In dem sinne haben die gesetzgeber von 411 die revision geplant.
denn den vorwurf staatsfeindlicher gesinnung verdienen sie nicht: die
anträge, auf grund deren die nomotheten erwählt wurden, und die ledig-
lich provisorische einsetzung der 400 gibt zu keinen solchen ausstellungen
anlaſs, man sehe nur die acten. schlechte leute, wie die hochverräter
Phrynichos und Antiphon, haben die gute unternehmung scheitern lassen,
und die sie gestürzt haben, sind eben dieselben, die für die πάτϱιος
πολιτεία nachdrücklich eingetreten waren, aber zu einer gesetzwidrig-
keit ihre hand nicht boten, Aristokrates und Theramenes. in diese
bahnen müssen wir zurückkehren.”

Ich habe nur ein par bindeglieder zwischen die sätze geschoben,
deren herkunft aus oligarchischer quelle sich herausgestellt hat, und
dann die tendenz zum ausdruck gebracht, die ein bindeglied zwischen
der historischen kritik der demokratie und den verfassungsplänen bildet.
das ist der satz, die πάτϱιος πολιτεία ist das richtige, die solonische
verfassung mit ihren consequenzen ist das falsche. es ist nun offenbar,
daſs dieser satz sowol 411 wie 404 das programm der gemäſsigten ge-
wesen ist, der oligarchen wie der demokraten. als verteidiger der
πάτϱιος πολιτεία fanden sich gegen die günstlinge des Lysandros leute
wie Archinos und Phormisios mit Theramenes zusammen (34, 3). sie
verstanden nur etwas verschiedenes darunter. Kleitophon nannte die
gesetze des Kleisthenes πάτϱιοι (29, 3), dagegen bezeichneten die

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[163/0177] Die oligarchische grundschrift. die verderbliche appellation an das gericht galt nicht, sondern der Areopag entschied. ein rat, zu dem alle berechtigt waren, ward auch ausgelost, aber nicht jetzt, wo die faulpelze sich zu den diäten drängen, die anständigen leute sich zurückhalten, kommt das ganze volk in ihm zu seinem gleichen rechte, sondern damals, wo jeder in festem turnus hineinkam, und die tätige teilnahme durch strafen für die versäumnis erzwungen ward: das müssen wir wieder herstellen. — eine revision der bestehenden verfassung, die mit der rückkehr zu den ordnungen der väter ernst macht, sieht so und so aus.” An dieser stelle könnte der verfassungsentwurf der 100 nomotheten von 411 stehn, und die ganze schrift würde geeignet sein, ihn zu be- gründen. aber es ist ein wesentliches moment der drakontischen ver- fassung, der rat der 400, erst in der provisorischen verfassung von 411 benutzt, die abschaffung der solonischen beschränkungen der freien ver- erbung ist erst von den 30 beliebt, endlich hat Aristoteles die ganze reihe der urkunden von 411 offenbar aus derselben quelle, also ist der fortgang der schrift vielmehr so zu denken. “In dem sinne haben die gesetzgeber von 411 die revision geplant. denn den vorwurf staatsfeindlicher gesinnung verdienen sie nicht: die anträge, auf grund deren die nomotheten erwählt wurden, und die ledig- lich provisorische einsetzung der 400 gibt zu keinen solchen ausstellungen anlaſs, man sehe nur die acten. schlechte leute, wie die hochverräter Phrynichos und Antiphon, haben die gute unternehmung scheitern lassen, und die sie gestürzt haben, sind eben dieselben, die für die πάτϱιος πολιτεία nachdrücklich eingetreten waren, aber zu einer gesetzwidrig- keit ihre hand nicht boten, Aristokrates und Theramenes. in diese bahnen müssen wir zurückkehren.” Ich habe nur ein par bindeglieder zwischen die sätze geschoben, deren herkunft aus oligarchischer quelle sich herausgestellt hat, und dann die tendenz zum ausdruck gebracht, die ein bindeglied zwischen der historischen kritik der demokratie und den verfassungsplänen bildet. das ist der satz, die πάτϱιος πολιτεία ist das richtige, die solonische verfassung mit ihren consequenzen ist das falsche. es ist nun offenbar, daſs dieser satz sowol 411 wie 404 das programm der gemäſsigten ge- wesen ist, der oligarchen wie der demokraten. als verteidiger der πάτϱιος πολιτεία fanden sich gegen die günstlinge des Lysandros leute wie Archinos und Phormisios mit Theramenes zusammen (34, 3). sie verstanden nur etwas verschiedenes darunter. Kleitophon nannte die gesetze des Kleisthenes πάτϱιοι (29, 3), dagegen bezeichneten die 11*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/177>, abgerufen am 28.03.2024.