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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
für uns der sicherste terminus post quem für seine flucht. aber sehr
wol kann der also gefeierte in Argos gelebt haben, ungekränkt an gut
und ehre, zu nutzen seines vaterlandes auf 10 jahre des landes verwiesen.
unter Praxiergos 471/0, ol. 77, 2, setzt Diodor seine flucht; auf dasselbe
jahr führt die überlieferung des Eusebius, die seinen tod 5 jahre später
ansetzt, was zu der zeit der schlacht am Eurymedon gut stimmt, die (wie
wir sehen werden) mit dieser fabel in connex steht. auf dasselbe jahr führt
der ansatz des Cicero, der Themistokles 20 jahre nach Coriolan setzt
(Lael. 42). alle diese ansätze lassen eine gewisse freiheit, aber daran
kann kein zweifel sein, dass sie alle auf dieselbe feste tradition zurück-
gehn, und nichts andres in der chronik Apollodors stand, nichts andres
in allen schulen gelehrt ward. es ist also schwer diese angabe zu ver-
werfen, da man doch in der lage war, das datum der verurteilung aus
den acten zu constatiren. die anklageschrift, eine eisangelie von Leobotes
Alkmeons sohn aus Agryle37), war durch Krateros veröffentlicht. zunächst
also sind wir verpflichtet, davon auszugehen, dass Themistokles 471/0 ver-
urteilt und aus Argos geflohen ist.

Die anregung zu der klage auf hochverrat kam durch eine sparta-
nische gesandtschaft, welche der verbündeten stadt die compromittirenden

geben muss es ja doch zwischen 478 und 473 sein), so ist das für seinen inhalt
irrelevant. wie soll denn der dichter ahnen, wen ihm der archon als choregen zu-
weisen wird, wenn er seine dramen einreicht? Aischylos hat bekanntlich auch ein-
mal den Perikles zum choregen gehabt: da wiederholen sich die unberechtigten
schlüsse der modernen.
37) Westermann hat aus dem überlieferten LeotesArkhieus am anfange des achten
Themistoklesbriefes Leobotes Agruleus hergestellt, und diese nebenform des de-
motikons existirt allerdings. berechtigt ist die gute conjectur nur, wenn die daneben
stehenden namen Lusandros Skambonides und Pronapes Prasieus auch ächt sind.
sie haben guten attischen klang, und die möglichkeit, dass der rhetor die eisangelie
las und in ihr drei ankläger fand, wie in der des Sokrates, ist nicht zu bestreiten.
dass er drei namen erfinden konnte, freilich auch nicht, und Erkhieus liegt näher als
Agruleus. ein leichtes versehen Plutarchs verschuldet allein, dass Kimon unter die an-
kläger gekommen ist, denn das steht nicht im Themistokles und nicht im Kimon, sondern
im Aristeides 25, und Plutarch, der ebenda Leobotes mit seinem vater verwechselt,
hat seine frühere angabe im kopf, dass Kimon den Epikrates von Acharnai verfolgt
hat, weil er dem Themistokles seine schätze nachsandte. es kam ihm nur darauf an
hervorzuheben, dass Aristeides sich an der verfolgung des Themistokles nicht be-
teiligte, und das führen auch mehrere Themistoklesbriefe aus, ohne dass Kimon er-
scheint, so schön dies gegenstück gepasst hätte. Kimon war proxenos der Spartaner,
gewiss, und vielleicht hat einer der gesandten bei ihm logirt; aber was tut das?
überhaupt wird mit der proxenie von historikern viel unfug getrieben: in Athen
hatten zweifellos eine ganze reihe notabilitäten den spartanischen orden.

I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
für uns der sicherste terminus post quem für seine flucht. aber sehr
wol kann der also gefeierte in Argos gelebt haben, ungekränkt an gut
und ehre, zu nutzen seines vaterlandes auf 10 jahre des landes verwiesen.
unter Praxiergos 471/0, ol. 77, 2, setzt Diodor seine flucht; auf dasselbe
jahr führt die überlieferung des Eusebius, die seinen tod 5 jahre später
ansetzt, was zu der zeit der schlacht am Eurymedon gut stimmt, die (wie
wir sehen werden) mit dieser fabel in connex steht. auf dasselbe jahr führt
der ansatz des Cicero, der Themistokles 20 jahre nach Coriolan setzt
(Lael. 42). alle diese ansätze lassen eine gewisse freiheit, aber daran
kann kein zweifel sein, daſs sie alle auf dieselbe feste tradition zurück-
gehn, und nichts andres in der chronik Apollodors stand, nichts andres
in allen schulen gelehrt ward. es ist also schwer diese angabe zu ver-
werfen, da man doch in der lage war, das datum der verurteilung aus
den acten zu constatiren. die anklageschrift, eine eisangelie von Leobotes
Alkmeons sohn aus Agryle37), war durch Krateros veröffentlicht. zunächst
also sind wir verpflichtet, davon auszugehen, daſs Themistokles 471/0 ver-
urteilt und aus Argos geflohen ist.

Die anregung zu der klage auf hochverrat kam durch eine sparta-
nische gesandtschaft, welche der verbündeten stadt die compromittirenden

geben muſs es ja doch zwischen 478 und 473 sein), so ist das für seinen inhalt
irrelevant. wie soll denn der dichter ahnen, wen ihm der archon als choregen zu-
weisen wird, wenn er seine dramen einreicht? Aischylos hat bekanntlich auch ein-
mal den Perikles zum choregen gehabt: da wiederholen sich die unberechtigten
schlüsse der modernen.
37) Westermann hat aus dem überlieferten ΛεώτηςἈϱχιεύς am anfange des achten
Themistoklesbriefes Λεωβώτης Ἀγϱυλεύς hergestellt, und diese nebenform des de-
motikons existirt allerdings. berechtigt ist die gute conjectur nur, wenn die daneben
stehenden namen Λύσανδϱος Σκαμβωνίδης und Πϱονάπης Πϱασιεύς auch ächt sind.
sie haben guten attischen klang, und die möglichkeit, daſs der rhetor die eisangelie
las und in ihr drei ankläger fand, wie in der des Sokrates, ist nicht zu bestreiten.
daſs er drei namen erfinden konnte, freilich auch nicht, und Ἑϱχιεύς liegt näher als
Ἀγϱυλεύς. ein leichtes versehen Plutarchs verschuldet allein, daſs Kimon unter die an-
kläger gekommen ist, denn das steht nicht im Themistokles und nicht im Kimon, sondern
im Aristeides 25, und Plutarch, der ebenda Leobotes mit seinem vater verwechselt,
hat seine frühere angabe im kopf, daſs Kimon den Epikrates von Acharnai verfolgt
hat, weil er dem Themistokles seine schätze nachsandte. es kam ihm nur darauf an
hervorzuheben, daſs Aristeides sich an der verfolgung des Themistokles nicht be-
teiligte, und das führen auch mehrere Themistoklesbriefe aus, ohne daſs Kimon er-
scheint, so schön dies gegenstück gepaſst hätte. Kimon war proxenos der Spartaner,
gewiſs, und vielleicht hat einer der gesandten bei ihm logirt; aber was tut das?
überhaupt wird mit der proxenie von historikern viel unfug getrieben: in Athen
hatten zweifellos eine ganze reihe notabilitäten den spartanischen orden.
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[144/0158] I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts. für uns der sicherste terminus post quem für seine flucht. aber sehr wol kann der also gefeierte in Argos gelebt haben, ungekränkt an gut und ehre, zu nutzen seines vaterlandes auf 10 jahre des landes verwiesen. unter Praxiergos 471/0, ol. 77, 2, setzt Diodor seine flucht; auf dasselbe jahr führt die überlieferung des Eusebius, die seinen tod 5 jahre später ansetzt, was zu der zeit der schlacht am Eurymedon gut stimmt, die (wie wir sehen werden) mit dieser fabel in connex steht. auf dasselbe jahr führt der ansatz des Cicero, der Themistokles 20 jahre nach Coriolan setzt (Lael. 42). alle diese ansätze lassen eine gewisse freiheit, aber daran kann kein zweifel sein, daſs sie alle auf dieselbe feste tradition zurück- gehn, und nichts andres in der chronik Apollodors stand, nichts andres in allen schulen gelehrt ward. es ist also schwer diese angabe zu ver- werfen, da man doch in der lage war, das datum der verurteilung aus den acten zu constatiren. die anklageschrift, eine eisangelie von Leobotes Alkmeons sohn aus Agryle 37), war durch Krateros veröffentlicht. zunächst also sind wir verpflichtet, davon auszugehen, daſs Themistokles 471/0 ver- urteilt und aus Argos geflohen ist. Die anregung zu der klage auf hochverrat kam durch eine sparta- nische gesandtschaft, welche der verbündeten stadt die compromittirenden 36) 37) Westermann hat aus dem überlieferten ΛεώτηςἈϱχιεύς am anfange des achten Themistoklesbriefes Λεωβώτης Ἀγϱυλεύς hergestellt, und diese nebenform des de- motikons existirt allerdings. berechtigt ist die gute conjectur nur, wenn die daneben stehenden namen Λύσανδϱος Σκαμβωνίδης und Πϱονάπης Πϱασιεύς auch ächt sind. sie haben guten attischen klang, und die möglichkeit, daſs der rhetor die eisangelie las und in ihr drei ankläger fand, wie in der des Sokrates, ist nicht zu bestreiten. daſs er drei namen erfinden konnte, freilich auch nicht, und Ἑϱχιεύς liegt näher als Ἀγϱυλεύς. ein leichtes versehen Plutarchs verschuldet allein, daſs Kimon unter die an- kläger gekommen ist, denn das steht nicht im Themistokles und nicht im Kimon, sondern im Aristeides 25, und Plutarch, der ebenda Leobotes mit seinem vater verwechselt, hat seine frühere angabe im kopf, daſs Kimon den Epikrates von Acharnai verfolgt hat, weil er dem Themistokles seine schätze nachsandte. es kam ihm nur darauf an hervorzuheben, daſs Aristeides sich an der verfolgung des Themistokles nicht be- teiligte, und das führen auch mehrere Themistoklesbriefe aus, ohne daſs Kimon er- scheint, so schön dies gegenstück gepaſst hätte. Kimon war proxenos der Spartaner, gewiſs, und vielleicht hat einer der gesandten bei ihm logirt; aber was tut das? überhaupt wird mit der proxenie von historikern viel unfug getrieben: in Athen hatten zweifellos eine ganze reihe notabilitäten den spartanischen orden. 36) geben muſs es ja doch zwischen 478 und 473 sein), so ist das für seinen inhalt irrelevant. wie soll denn der dichter ahnen, wen ihm der archon als choregen zu- weisen wird, wenn er seine dramen einreicht? Aischylos hat bekanntlich auch ein- mal den Perikles zum choregen gehabt: da wiederholen sich die unberechtigten schlüsse der modernen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/158>, abgerufen am 19.04.2024.