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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 5. Thukydides.
tyrannenfamilie für vogelfrei erklärt ward. so lange die partei der ty-
rannen nicht nur ruhig in Athen bleiben durfte, sondern ihre führer
es bis zum archon bringen konnten (Hipparchos der sohn des Charmos
495/4), war ein solcher beschluss nicht möglich. wenn 507 diejenigen
als hochverräter geächtet wurden, die im gefolge des Kleomenes gekommen
waren und sich in Eleusis auch nach dem falle der burg gehalten hatten24),
so waren darunter nicht die tyrannen gewesen, denen mit dem oligarchen-
regimente des Isagoras wenig gedient war. gerade diese drohende fremd-
herrschaft zugleich und adelsherrschaft liess die bequeme tyrannenzeit
wieder im gedächtnis aufleben und den groll über die letzten jahre des
Hippias vergessen. erst die steigende demokratische richtung, nicht durch
einen seesieg, aber durch den sieg von Marathon entfesselt, führte zur
beseitigung der dynastengeschlechter, erst der Philaiden, dann der Pei-
sistratiden, dann der Alkmeoniden. 487 verfiel Hipparchos dem scherben-
gerichte. im frühjahr 480 ward gleichzeitig mit der aufhebung dieser ur-
teile den vom ostrakismos betroffenen bei strafe völliger atimie geboten
westlich von dem äussersten westcap von Euboia und dem der Argolis
zu bleiben.25) man fürchtete also ihren anschluss an Persien. und 480
erschienen Peisistratiden im gefolge des Xerxes und nahmen von den
trümmern der burg besitz (Her. VIII 52. 54). jetzt hatten sie wirklich
die acht verdient, jetzt erst hat sie sie getroffen. als das volk heimkehrte,
hat es notorisch die statuen der tyrannenmörder sofort erneuern lassen.26)
eben damals wird auch die erztafel aufgestellt sein, die das ganze ge-
schlecht des Peisistratos ächtete. sollte es eine ältere gegeben haben,
so war sie sicherlich zerstört, und wenn sie erneuert ward, so traten
mehr personen jetzt in den bann. das lässt sich auch aus Lykurgos
rede wider Leokrates 117 zeigen. er lässt den volksbeschluss verlesen,
in dem bestimmt war, dass die statue des Hipparchos Charmos' sohn27),

24) Krateros im schol. Ar. Lysistr. 273, vgl. Kydathen 71.
25) Ar. 22, 8. wir finden das gesetz befolgt von Themistokles, der in Argos,
und Thukydides des Melesias sohn, der auf Aigina lebte, aber nicht von Hyperbolos,
der nach Samos gieng. indessen kann das unter den damaligen verhältnissen nicht
befremden. seltsamer ist, dass nach Andokides 3, 3 Kimon in der Chersones lebte.
immerhin lag auch damals kein anlass vor, das veraltete gesetz wider den sohn
des tyrannen der Chersones anzuwenden, zumal der krieg ihm den Peloponnes
verschloss.
26) Dies bezeugt die parische chronik für das jahr des Adeimantos 477/6.
27) Es ist mir unverständlich, wie man bei Lykurg Ipparkhos Timarkhou dulden
kann. der redner konnte natürlich irren, aber ihm lag doch hier das psephisma vor,

I. 5. Thukydides.
tyrannenfamilie für vogelfrei erklärt ward. so lange die partei der ty-
rannen nicht nur ruhig in Athen bleiben durfte, sondern ihre führer
es bis zum archon bringen konnten (Hipparchos der sohn des Charmos
495/4), war ein solcher beschluſs nicht möglich. wenn 507 diejenigen
als hochverräter geächtet wurden, die im gefolge des Kleomenes gekommen
waren und sich in Eleusis auch nach dem falle der burg gehalten hatten24),
so waren darunter nicht die tyrannen gewesen, denen mit dem oligarchen-
regimente des Isagoras wenig gedient war. gerade diese drohende fremd-
herrschaft zugleich und adelsherrschaft lieſs die bequeme tyrannenzeit
wieder im gedächtnis aufleben und den groll über die letzten jahre des
Hippias vergessen. erst die steigende demokratische richtung, nicht durch
einen seesieg, aber durch den sieg von Marathon entfesselt, führte zur
beseitigung der dynastengeschlechter, erst der Philaiden, dann der Pei-
sistratiden, dann der Alkmeoniden. 487 verfiel Hipparchos dem scherben-
gerichte. im frühjahr 480 ward gleichzeitig mit der aufhebung dieser ur-
teile den vom ostrakismos betroffenen bei strafe völliger atimie geboten
westlich von dem äuſsersten westcap von Euboia und dem der Argolis
zu bleiben.25) man fürchtete also ihren anschluſs an Persien. und 480
erschienen Peisistratiden im gefolge des Xerxes und nahmen von den
trümmern der burg besitz (Her. VIII 52. 54). jetzt hatten sie wirklich
die acht verdient, jetzt erst hat sie sie getroffen. als das volk heimkehrte,
hat es notorisch die statuen der tyrannenmörder sofort erneuern lassen.26)
eben damals wird auch die erztafel aufgestellt sein, die das ganze ge-
schlecht des Peisistratos ächtete. sollte es eine ältere gegeben haben,
so war sie sicherlich zerstört, und wenn sie erneuert ward, so traten
mehr personen jetzt in den bann. das läſst sich auch aus Lykurgos
rede wider Leokrates 117 zeigen. er läſst den volksbeschluſs verlesen,
in dem bestimmt war, daſs die statue des Hipparchos Charmos’ sohn27),

24) Krateros im schol. Ar. Lysistr. 273, vgl. Kydathen 71.
25) Ar. 22, 8. wir finden das gesetz befolgt von Themistokles, der in Argos,
und Thukydides des Melesias sohn, der auf Aigina lebte, aber nicht von Hyperbolos,
der nach Samos gieng. indessen kann das unter den damaligen verhältnissen nicht
befremden. seltsamer ist, daſs nach Andokides 3, 3 Kimon in der Chersones lebte.
immerhin lag auch damals kein anlaſs vor, das veraltete gesetz wider den sohn
des tyrannen der Chersones anzuwenden, zumal der krieg ihm den Peloponnes
verschloſs.
26) Dies bezeugt die parische chronik für das jahr des Adeimantos 477/6.
27) Es ist mir unverständlich, wie man bei Lykurg Ἵππαϱχος Τιμάϱχου dulden
kann. der redner konnte natürlich irren, aber ihm lag doch hier das psephisma vor,
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[114/0128] I. 5. Thukydides. tyrannenfamilie für vogelfrei erklärt ward. so lange die partei der ty- rannen nicht nur ruhig in Athen bleiben durfte, sondern ihre führer es bis zum archon bringen konnten (Hipparchos der sohn des Charmos 495/4), war ein solcher beschluſs nicht möglich. wenn 507 diejenigen als hochverräter geächtet wurden, die im gefolge des Kleomenes gekommen waren und sich in Eleusis auch nach dem falle der burg gehalten hatten 24), so waren darunter nicht die tyrannen gewesen, denen mit dem oligarchen- regimente des Isagoras wenig gedient war. gerade diese drohende fremd- herrschaft zugleich und adelsherrschaft lieſs die bequeme tyrannenzeit wieder im gedächtnis aufleben und den groll über die letzten jahre des Hippias vergessen. erst die steigende demokratische richtung, nicht durch einen seesieg, aber durch den sieg von Marathon entfesselt, führte zur beseitigung der dynastengeschlechter, erst der Philaiden, dann der Pei- sistratiden, dann der Alkmeoniden. 487 verfiel Hipparchos dem scherben- gerichte. im frühjahr 480 ward gleichzeitig mit der aufhebung dieser ur- teile den vom ostrakismos betroffenen bei strafe völliger atimie geboten westlich von dem äuſsersten westcap von Euboia und dem der Argolis zu bleiben. 25) man fürchtete also ihren anschluſs an Persien. und 480 erschienen Peisistratiden im gefolge des Xerxes und nahmen von den trümmern der burg besitz (Her. VIII 52. 54). jetzt hatten sie wirklich die acht verdient, jetzt erst hat sie sie getroffen. als das volk heimkehrte, hat es notorisch die statuen der tyrannenmörder sofort erneuern lassen. 26) eben damals wird auch die erztafel aufgestellt sein, die das ganze ge- schlecht des Peisistratos ächtete. sollte es eine ältere gegeben haben, so war sie sicherlich zerstört, und wenn sie erneuert ward, so traten mehr personen jetzt in den bann. das läſst sich auch aus Lykurgos rede wider Leokrates 117 zeigen. er läſst den volksbeschluſs verlesen, in dem bestimmt war, daſs die statue des Hipparchos Charmos’ sohn 27), 24) Krateros im schol. Ar. Lysistr. 273, vgl. Kydathen 71. 25) Ar. 22, 8. wir finden das gesetz befolgt von Themistokles, der in Argos, und Thukydides des Melesias sohn, der auf Aigina lebte, aber nicht von Hyperbolos, der nach Samos gieng. indessen kann das unter den damaligen verhältnissen nicht befremden. seltsamer ist, daſs nach Andokides 3, 3 Kimon in der Chersones lebte. immerhin lag auch damals kein anlaſs vor, das veraltete gesetz wider den sohn des tyrannen der Chersones anzuwenden, zumal der krieg ihm den Peloponnes verschloſs. 26) Dies bezeugt die parische chronik für das jahr des Adeimantos 477/6. 27) Es ist mir unverständlich, wie man bei Lykurg Ἵππαϱχος Τιμάϱχου dulden kann. der redner konnte natürlich irren, aber ihm lag doch hier das psephisma vor,

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/128>, abgerufen am 20.04.2024.