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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die geschichte der 400.

Wie überall ist von Aristoteles die genaue zeitbestimmung gegeben,
aber nirgend ist sie so genau wie hier. am 14 Thargelion des Kallias
trat der alte rat ab, am 22 der neue an, der sich vier monate hielt,
von denen zwei in das neue jahr fielen, das später nach Theopompos
hiess. also anfang Boedromion hat die versammlung statt gefunden, von
der Thukydides 8, 97 erzählt, ende Metageitnion fiel Euboia nach der
schlacht bei Eretria ab. das ist eine sehr wesentliche verschiebung
gegenüber der herrschenden ansicht, die den 400 reichliche vier monate,
vom Elaphebolion des Kallias bis in den Hekatombaion des Theopompos
gab und geben musste. denn sie war genötigt, dem Thukydides wesent-
lich zu folgen. darin liegt schon, dass Aristoteles veranlassung hatte,
ihn zu berichtigen.

Ferner fügt Aristoteles die friedensbedingungen hinzu, die von den
400 den Lakedaimoniern gemacht wurden. das sind nicht die der letzten
gesandtschaft, die mit fug und recht als landesverrat angesehen und von
Antiphon und Archeptolemos mit dem tode gebüsst sind (Thuk. 8, 90. 91),
sondern die welche dem Agis gemacht wurden (Th. 71) und von Laispodias
und genossen nach Sparta überbracht werden sollten (Th. 86). man
vermisst ihre mitteilung bei Thukydides; er hat sie eben selbst nicht zu-
verlässig erfahren. Aristoteles war also in der lage, ihn zu ergänzen.

Die revolution der 400 selbst erzählt Aristoteles eigentlich nicht,
sondern er gibt eine anzahl actenstücke, nur ein wenig verkürzt und
stilistisch umgeformt und durch kurze übergänge verbunden. nach einer
kurzen einleitung über die motive, die das volk zur annahme der oli-
garchie bewogen, unter denen ebenso wie in der Politik5) die rücksicht
auf Persien als das wichtigste bezeichnet wird, während über den von
Thukydides so nachdrücklich hervorgehobenen terrorismus der clubbisten
kein wort fällt, folgt der erste beschluss (A), der auf antrag des Pytho-
doros gefasst ward, obwol die empfehlende rede vor dem volke Melobios

mussten diejenigen der 400, die ihren frieden mit dem demos machten, also Thera-
menes an der spitze, auf sie alle schuld wälzen: das ward also die officiell an-
genommene ansicht, der Aristoteles sich angeschlossen hat. aber was Phrynichos
angeht, so wissen wir ja durch den redner für Polystratos, dass er gesellschaftlich
vom schlage der Hyperbolos und Kleophon war, auch schon durch geldstrafen in
vermögensverfall geraten, also in Aristoteles sinne gewiss einer der schlechten
prostatai tou demou sein musste.
5) V 1304b ton demon exepatesan phaskontes ton basilea khremata parexein
pros ton polemon -- pseusamenoi de katekhein epeironto ten politeian. man kann
das aus Thuk. 8, 53 herleiten, braucht es aber nicht. jedenfalls stimmen unsere
gewährsmänner überein.
Die geschichte der 400.

Wie überall ist von Aristoteles die genaue zeitbestimmung gegeben,
aber nirgend ist sie so genau wie hier. am 14 Thargelion des Kallias
trat der alte rat ab, am 22 der neue an, der sich vier monate hielt,
von denen zwei in das neue jahr fielen, das später nach Theopompos
hieſs. also anfang Boedromion hat die versammlung statt gefunden, von
der Thukydides 8, 97 erzählt, ende Metageitnion fiel Euboia nach der
schlacht bei Eretria ab. das ist eine sehr wesentliche verschiebung
gegenüber der herrschenden ansicht, die den 400 reichliche vier monate,
vom Elaphebolion des Kallias bis in den Hekatombaion des Theopompos
gab und geben muſste. denn sie war genötigt, dem Thukydides wesent-
lich zu folgen. darin liegt schon, daſs Aristoteles veranlassung hatte,
ihn zu berichtigen.

Ferner fügt Aristoteles die friedensbedingungen hinzu, die von den
400 den Lakedaimoniern gemacht wurden. das sind nicht die der letzten
gesandtschaft, die mit fug und recht als landesverrat angesehen und von
Antiphon und Archeptolemos mit dem tode gebüſst sind (Thuk. 8, 90. 91),
sondern die welche dem Agis gemacht wurden (Th. 71) und von Laispodias
und genossen nach Sparta überbracht werden sollten (Th. 86). man
vermiſst ihre mitteilung bei Thukydides; er hat sie eben selbst nicht zu-
verlässig erfahren. Aristoteles war also in der lage, ihn zu ergänzen.

Die revolution der 400 selbst erzählt Aristoteles eigentlich nicht,
sondern er gibt eine anzahl actenstücke, nur ein wenig verkürzt und
stilistisch umgeformt und durch kurze übergänge verbunden. nach einer
kurzen einleitung über die motive, die das volk zur annahme der oli-
garchie bewogen, unter denen ebenso wie in der Politik5) die rücksicht
auf Persien als das wichtigste bezeichnet wird, während über den von
Thukydides so nachdrücklich hervorgehobenen terrorismus der clubbisten
kein wort fällt, folgt der erste beschluſs (A), der auf antrag des Pytho-
doros gefaſst ward, obwol die empfehlende rede vor dem volke Melobios

muſsten diejenigen der 400, die ihren frieden mit dem demos machten, also Thera-
menes an der spitze, auf sie alle schuld wälzen: das ward also die officiell an-
genommene ansicht, der Aristoteles sich angeschlossen hat. aber was Phrynichos
angeht, so wissen wir ja durch den redner für Polystratos, daſs er gesellschaftlich
vom schlage der Hyperbolos und Kleophon war, auch schon durch geldstrafen in
vermögensverfall geraten, also in Aristoteles sinne gewiſs einer der schlechten
πϱοστάται τοῦ δήμου sein muſste.
5) V 1304b τὸν δῆμον ἐξηπάτησαν φάσκοντες τὸν βασιλέα χϱήματα παϱέξειν
πϱὸς τὸν πόλεμον — ψευσάμενοι δὲ κατέχειν ἐπειϱῶντο τὴν πολιτείαν. man kann
das aus Thuk. 8, 53 herleiten, braucht es aber nicht. jedenfalls stimmen unsere
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[101/0115] Die geschichte der 400. Wie überall ist von Aristoteles die genaue zeitbestimmung gegeben, aber nirgend ist sie so genau wie hier. am 14 Thargelion des Kallias trat der alte rat ab, am 22 der neue an, der sich vier monate hielt, von denen zwei in das neue jahr fielen, das später nach Theopompos hieſs. also anfang Boedromion hat die versammlung statt gefunden, von der Thukydides 8, 97 erzählt, ende Metageitnion fiel Euboia nach der schlacht bei Eretria ab. das ist eine sehr wesentliche verschiebung gegenüber der herrschenden ansicht, die den 400 reichliche vier monate, vom Elaphebolion des Kallias bis in den Hekatombaion des Theopompos gab und geben muſste. denn sie war genötigt, dem Thukydides wesent- lich zu folgen. darin liegt schon, daſs Aristoteles veranlassung hatte, ihn zu berichtigen. Ferner fügt Aristoteles die friedensbedingungen hinzu, die von den 400 den Lakedaimoniern gemacht wurden. das sind nicht die der letzten gesandtschaft, die mit fug und recht als landesverrat angesehen und von Antiphon und Archeptolemos mit dem tode gebüſst sind (Thuk. 8, 90. 91), sondern die welche dem Agis gemacht wurden (Th. 71) und von Laispodias und genossen nach Sparta überbracht werden sollten (Th. 86). man vermiſst ihre mitteilung bei Thukydides; er hat sie eben selbst nicht zu- verlässig erfahren. Aristoteles war also in der lage, ihn zu ergänzen. Die revolution der 400 selbst erzählt Aristoteles eigentlich nicht, sondern er gibt eine anzahl actenstücke, nur ein wenig verkürzt und stilistisch umgeformt und durch kurze übergänge verbunden. nach einer kurzen einleitung über die motive, die das volk zur annahme der oli- garchie bewogen, unter denen ebenso wie in der Politik 5) die rücksicht auf Persien als das wichtigste bezeichnet wird, während über den von Thukydides so nachdrücklich hervorgehobenen terrorismus der clubbisten kein wort fällt, folgt der erste beschluſs (A), der auf antrag des Pytho- doros gefaſst ward, obwol die empfehlende rede vor dem volke Melobios 4) 5) V 1304b τὸν δῆμον ἐξηπάτησαν φάσκοντες τὸν βασιλέα χϱήματα παϱέξειν πϱὸς τὸν πόλεμον — ψευσάμενοι δὲ κατέχειν ἐπειϱῶντο τὴν πολιτείαν. man kann das aus Thuk. 8, 53 herleiten, braucht es aber nicht. jedenfalls stimmen unsere gewährsmänner überein. 4) muſsten diejenigen der 400, die ihren frieden mit dem demos machten, also Thera- menes an der spitze, auf sie alle schuld wälzen: das ward also die officiell an- genommene ansicht, der Aristoteles sich angeschlossen hat. aber was Phrynichos angeht, so wissen wir ja durch den redner für Polystratos, daſs er gesellschaftlich vom schlage der Hyperbolos und Kleophon war, auch schon durch geldstrafen in vermögensverfall geraten, also in Aristoteles sinne gewiſs einer der schlechten πϱοστάται τοῦ δήμου sein muſste.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/115>, abgerufen am 19.04.2024.