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Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

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Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und Schreibung stimmen buchstäblich überein*). Anders in Mittel- und Süd-Deutschland. Göthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwärtig hört man's der Sprache der Gebildeten Süd-Deutschlands ab, in welcher Provinz sie zu Hause gehören. Daher kann man wol behaupten, daß mancher niedersächsische Handwerker reiner hochdeutsch spricht, als der Würzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von Gottsched mit dem Privilegium der Klassizität begabt worden ist. Allein man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine lebendige ist, da der Norden sein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des Worts aus Büchern, zumal aus der lutherischen Bibelübersetzung gelernt, nicht aber wie Mittel- und Süd-Deutschland durch lebendig uralte Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.

Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller Beschränktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im höheren Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden Hauptdialekten des Nordens und Südens, schon ohnehin im Sächsischen sich berührend eine Sprache schuf,

*) Doch auch mit Ausnahme gewisser örtlicher und provinzieller Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der Lokaltinten nicht enthalten.

Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und Schreibung stimmen buchstäblich überein*). Anders in Mittel- und Süd-Deutschland. Göthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwärtig hört man’s der Sprache der Gebildeten Süd-Deutschlands ab, in welcher Provinz sie zu Hause gehören. Daher kann man wol behaupten, daß mancher niedersächsische Handwerker reiner hochdeutsch spricht, als der Würzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von Gottsched mit dem Privilegium der Klassizität begabt worden ist. Allein man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine lebendige ist, da der Norden sein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des Worts aus Büchern, zumal aus der lutherischen Bibelübersetzung gelernt, nicht aber wie Mittel- und Süd-Deutschland durch lebendig uralte Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.

Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller Beschränktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im höheren Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden Hauptdialekten des Nordens und Südens, schon ohnehin im Sächsischen sich berührend eine Sprache schuf,

*) Doch auch mit Ausnahme gewisser örtlicher und provinzieller Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der Lokaltinten nicht enthalten.
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[7/0007] Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und Schreibung stimmen buchstäblich überein *). Anders in Mittel- und Süd-Deutschland. Göthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwärtig hört man’s der Sprache der Gebildeten Süd-Deutschlands ab, in welcher Provinz sie zu Hause gehören. Daher kann man wol behaupten, daß mancher niedersächsische Handwerker reiner hochdeutsch spricht, als der Würzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von Gottsched mit dem Privilegium der Klassizität begabt worden ist. Allein man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine lebendige ist, da der Norden sein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des Worts aus Büchern, zumal aus der lutherischen Bibelübersetzung gelernt, nicht aber wie Mittel- und Süd-Deutschland durch lebendig uralte Tradition von Mund zu Mund empfangen hat. Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller Beschränktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im höheren Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden Hauptdialekten des Nordens und Südens, schon ohnehin im Sächsischen sich berührend eine Sprache schuf, *) Doch auch mit Ausnahme gewisser örtlicher und provinzieller Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der Lokaltinten nicht enthalten.

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/7>, abgerufen am 28.03.2024.