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Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

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rief ich im Zorn aus; allein ich mußte mir einen Augenblick darauf selbst sagen, daß diese Anmuthung an einen Süddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang und daß doch zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem Zugeständnisse lag. Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht über Voß als Dichter und Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung vor dessen großen, zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach übertriebener, philologischer Bewunderung und niedersächsischem Patriotismus roch. Ich fand, daß er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr Zwang angethan, daß er zu roh und willkührlich an ihr gezimmert und losgehämmert und daß kein Deutscher, selbst Voß nicht, solche Wörter, Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwärtig lautet mein Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voß bestätigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine Liebe nicht völlig inne, daher erschloß sie ihm nicht ihr eigenes Herz, ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfräuliche Natur, die Blüthe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im zärtlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber durch Willkühr und Zwang ihr abgewinnen kann.

Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung äußert, der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter Niedersachsen, welchen Einfluß er auch übe auf die intellektuellen wahren oder erträumten Bedürfnisse, auf die verfeinerte Civilisation, Bildung oder Verbildung der Zeit - ich schattire absichtlich diese Ausdrücke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber beschränkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit angehört gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen läßt - der Gebrauch sei ein guter und treflicher in Rücksicht auf den Charakter

rief ich im Zorn aus; allein ich mußte mir einen Augenblick darauf selbst sagen, daß diese Anmuthung an einen Süddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang und daß doch zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem Zugeständnisse lag. Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht über Voß als Dichter und Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung vor dessen großen, zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach übertriebener, philologischer Bewunderung und niedersächsischem Patriotismus roch. Ich fand, daß er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr Zwang angethan, daß er zu roh und willkührlich an ihr gezimmert und losgehämmert und daß kein Deutscher, selbst Voß nicht, solche Wörter, Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwärtig lautet mein Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voß bestätigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine Liebe nicht völlig inne, daher erschloß sie ihm nicht ihr eigenes Herz, ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfräuliche Natur, die Blüthe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im zärtlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber durch Willkühr und Zwang ihr abgewinnen kann.

Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung äußert, der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter Niedersachsen, welchen Einfluß er auch übe auf die intellektuellen wahren oder erträumten Bedürfnisse, auf die verfeinerte Civilisation, Bildung oder Verbildung der Zeit – ich schattire absichtlich diese Ausdrücke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber beschränkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit angehört gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen läßt – der Gebrauch sei ein guter und treflicher in Rücksicht auf den Charakter

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[29/0029] rief ich im Zorn aus; allein ich mußte mir einen Augenblick darauf selbst sagen, daß diese Anmuthung an einen Süddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang und daß doch zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem Zugeständnisse lag. Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht über Voß als Dichter und Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung vor dessen großen, zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach übertriebener, philologischer Bewunderung und niedersächsischem Patriotismus roch. Ich fand, daß er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr Zwang angethan, daß er zu roh und willkührlich an ihr gezimmert und losgehämmert und daß kein Deutscher, selbst Voß nicht, solche Wörter, Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwärtig lautet mein Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voß bestätigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine Liebe nicht völlig inne, daher erschloß sie ihm nicht ihr eigenes Herz, ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfräuliche Natur, die Blüthe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im zärtlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber durch Willkühr und Zwang ihr abgewinnen kann. Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung äußert, der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter Niedersachsen, welchen Einfluß er auch übe auf die intellektuellen wahren oder erträumten Bedürfnisse, auf die verfeinerte Civilisation, Bildung oder Verbildung der Zeit – ich schattire absichtlich diese Ausdrücke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber beschränkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit angehört gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen läßt – der Gebrauch sei ein guter und treflicher in Rücksicht auf den Charakter

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/29>, abgerufen am 19.04.2024.