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Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

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und - spürt ihr nichts vom kurzen Takt der Dreschflegel darin, und seht ihr nicht etwas von kurzem Messer, geschwungener Sense, geballter Faust als Titelvignette vor den Ausgaben plattdeutscher Lexika paradiren? - Täuscht euch nicht, sie ist noch immer die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts und schleppt die gebrochenen Ketten sichtbar mit sich umher, und pflügt und ackert jeden Frühling und jeden Herbst den alten Grimm in die alten Furchen hinein. O sie ist schrecklich treu, schrecklich dumm und gemüthlich; aber laßt euch sagen, sie hat wenig Religion, nur sehr wenig und sie kennt, wenn sie wild wird, den Teufel besser als den lieben Gott. Worüber ihr euch nicht sehr zu verwundern habt; denn als sie katholisch war, da war das Christenthum, die Messe nämlich, lateinisch und als sie lutherisch wurde, wurde das Christenthum, Predigt und Katechismus hochdeutsch. Bedenkt auch nur, betet denn gegenwärtig ein einziger Bauer oder Bauernknecht das Vaterunser und den Glauben in der Sprache, worin er seinen Gevatter bewillkommt, im Kruge Schnaps und Bier fordert oder dem Steuereinnehmer einen derben Fluch zwischen den Zähnen hinterherschickt? Wahr ist es also, diese Sprache hat nichts gelernt, allein sie hat auch nichts vergessen, es sei denn ihre alten Lieder, ihren fröhlichen Gesang und eben das Vaterunser, das sie früher doch, wie ich glaube, hat beten können.

Nehmt euch ein Bild zu Herzen, das ich euch, - das ich Allen vorhalte.

Eine Sprache, die stagnirt, ist zu vergleichen mit einem See, dem der bisherige Quellenzufluß versiegt oder abgeleitet wird. Aus dem Wasser, worüber der Geist Gottes schwebte, wird Sumpf und Moder, worüber die unreinen Geister brüten. Der Wind mag wehen woher er will, er gleitet spurlos über die schmutzige grüne Decke hin. Der Himmel ist blau und heiter oder stürmisch gefärbt, das rührt ihn nicht, keine Sonne keine Wolke spiegelt sich mehr auf der trüben Fläche. Bild der Unzufriedenheit, der Gleichgültigkeit, der Tücke, der Gefahr. Wehe dem Mann, der im

und – spürt ihr nichts vom kurzen Takt der Dreschflegel darin, und seht ihr nicht etwas von kurzem Messer, geschwungener Sense, geballter Faust als Titelvignette vor den Ausgaben plattdeutscher Lexika paradiren? – Täuscht euch nicht, sie ist noch immer die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts und schleppt die gebrochenen Ketten sichtbar mit sich umher, und pflügt und ackert jeden Frühling und jeden Herbst den alten Grimm in die alten Furchen hinein. O sie ist schrecklich treu, schrecklich dumm und gemüthlich; aber laßt euch sagen, sie hat wenig Religion, nur sehr wenig und sie kennt, wenn sie wild wird, den Teufel besser als den lieben Gott. Worüber ihr euch nicht sehr zu verwundern habt; denn als sie katholisch war, da war das Christenthum, die Messe nämlich, lateinisch und als sie lutherisch wurde, wurde das Christenthum, Predigt und Katechismus hochdeutsch. Bedenkt auch nur, betet denn gegenwärtig ein einziger Bauer oder Bauernknecht das Vaterunser und den Glauben in der Sprache, worin er seinen Gevatter bewillkommt, im Kruge Schnaps und Bier fordert oder dem Steuereinnehmer einen derben Fluch zwischen den Zähnen hinterherschickt? Wahr ist es also, diese Sprache hat nichts gelernt, allein sie hat auch nichts vergessen, es sei denn ihre alten Lieder, ihren fröhlichen Gesang und eben das Vaterunser, das sie früher doch, wie ich glaube, hat beten können.

Nehmt euch ein Bild zu Herzen, das ich euch, – das ich Allen vorhalte.

Eine Sprache, die stagnirt, ist zu vergleichen mit einem See, dem der bisherige Quellenzufluß versiegt oder abgeleitet wird. Aus dem Wasser, worüber der Geist Gottes schwebte, wird Sumpf und Moder, worüber die unreinen Geister brüten. Der Wind mag wehen woher er will, er gleitet spurlos über die schmutzige grüne Decke hin. Der Himmel ist blau und heiter oder stürmisch gefärbt, das rührt ihn nicht, keine Sonne keine Wolke spiegelt sich mehr auf der trüben Fläche. Bild der Unzufriedenheit, der Gleichgültigkeit, der Tücke, der Gefahr. Wehe dem Mann, der im

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[12/0012] und – spürt ihr nichts vom kurzen Takt der Dreschflegel darin, und seht ihr nicht etwas von kurzem Messer, geschwungener Sense, geballter Faust als Titelvignette vor den Ausgaben plattdeutscher Lexika paradiren? – Täuscht euch nicht, sie ist noch immer die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts und schleppt die gebrochenen Ketten sichtbar mit sich umher, und pflügt und ackert jeden Frühling und jeden Herbst den alten Grimm in die alten Furchen hinein. O sie ist schrecklich treu, schrecklich dumm und gemüthlich; aber laßt euch sagen, sie hat wenig Religion, nur sehr wenig und sie kennt, wenn sie wild wird, den Teufel besser als den lieben Gott. Worüber ihr euch nicht sehr zu verwundern habt; denn als sie katholisch war, da war das Christenthum, die Messe nämlich, lateinisch und als sie lutherisch wurde, wurde das Christenthum, Predigt und Katechismus hochdeutsch. Bedenkt auch nur, betet denn gegenwärtig ein einziger Bauer oder Bauernknecht das Vaterunser und den Glauben in der Sprache, worin er seinen Gevatter bewillkommt, im Kruge Schnaps und Bier fordert oder dem Steuereinnehmer einen derben Fluch zwischen den Zähnen hinterherschickt? Wahr ist es also, diese Sprache hat nichts gelernt, allein sie hat auch nichts vergessen, es sei denn ihre alten Lieder, ihren fröhlichen Gesang und eben das Vaterunser, das sie früher doch, wie ich glaube, hat beten können. Nehmt euch ein Bild zu Herzen, das ich euch, – das ich Allen vorhalte. Eine Sprache, die stagnirt, ist zu vergleichen mit einem See, dem der bisherige Quellenzufluß versiegt oder abgeleitet wird. Aus dem Wasser, worüber der Geist Gottes schwebte, wird Sumpf und Moder, worüber die unreinen Geister brüten. Der Wind mag wehen woher er will, er gleitet spurlos über die schmutzige grüne Decke hin. Der Himmel ist blau und heiter oder stürmisch gefärbt, das rührt ihn nicht, keine Sonne keine Wolke spiegelt sich mehr auf der trüben Fläche. Bild der Unzufriedenheit, der Gleichgültigkeit, der Tücke, der Gefahr. Wehe dem Mann, der im

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/12>, abgerufen am 24.04.2024.