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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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wir schon behaupten können, daß wir unendlich
viel mehr wissen und lernen, als z. B. unsere
Nachbarn überm Rhein und selbst die Engländer,
so möchten wir uns schwerlich mit Recht, wenn
wir im Leben mit ihnen zusammenstoßen, mehr
Bildung beilegen dürfen, als ihnen. Gutmüthig
scheinen wir den Fremden, und das ist Alles, was
sie Gutes von uns sagen. Hören wir dagegen
unsere Philosophen, so liegt die Unvollkommenheit
unserer Bildung darin, daß wir noch nicht tief
genug in die Paragraphen ihrer Philosophie ein¬
gedrungen sind, und, während der Franzose, der
Engländer, die äußere Form und Fassung an uns
vermißt, vermißt ein Hegel noch die erste, noth¬
wendige philosophische Grundbildung bei den Ge¬
bildeten der Nation. Wenn wir uns nun keines¬
wegs dazu verstehen können, in eine uns fremde
oberflächliche Form und Feinheit nach Franzosen¬
art Werth zu setzen; auch nicht mit Allgemein¬
heit das tiefere philosophische Bedürfniß fühlen, so
müssen wir doch anerkennen, daß uns selbst noch
jenes schöne Mittel zwischen dem Allerinnersten und
Aeußersten, zwischen dem mysteriösen Grund der
Philosophie und der mit Leichtsinn und Flitter¬
gold belegten Oberfläche des Lebens nicht so recht
inwohne, so daß wir sagen könnten, wir lebten
darin, wie die Vögel in der Luft, und wie die

wir ſchon behaupten koͤnnen, daß wir unendlich
viel mehr wiſſen und lernen, als z. B. unſere
Nachbarn uͤberm Rhein und ſelbſt die Englaͤnder,
ſo moͤchten wir uns ſchwerlich mit Recht, wenn
wir im Leben mit ihnen zuſammenſtoßen, mehr
Bildung beilegen duͤrfen, als ihnen. Gutmuͤthig
ſcheinen wir den Fremden, und das iſt Alles, was
ſie Gutes von uns ſagen. Hoͤren wir dagegen
unſere Philoſophen, ſo liegt die Unvollkommenheit
unſerer Bildung darin, daß wir noch nicht tief
genug in die Paragraphen ihrer Philoſophie ein¬
gedrungen ſind, und, waͤhrend der Franzoſe, der
Englaͤnder, die aͤußere Form und Faſſung an uns
vermißt, vermißt ein Hegel noch die erſte, noth¬
wendige philoſophiſche Grundbildung bei den Ge¬
bildeten der Nation. Wenn wir uns nun keines¬
wegs dazu verſtehen koͤnnen, in eine uns fremde
oberflaͤchliche Form und Feinheit nach Franzoſen¬
art Werth zu ſetzen; auch nicht mit Allgemein¬
heit das tiefere philoſophiſche Beduͤrfniß fuͤhlen, ſo
muͤſſen wir doch anerkennen, daß uns ſelbſt noch
jenes ſchoͤne Mittel zwiſchen dem Allerinnerſten und
Aeußerſten, zwiſchen dem myſterioͤſen Grund der
Philoſophie und der mit Leichtſinn und Flitter¬
gold belegten Oberflaͤche des Lebens nicht ſo recht
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[64/0078] wir ſchon behaupten koͤnnen, daß wir unendlich viel mehr wiſſen und lernen, als z. B. unſere Nachbarn uͤberm Rhein und ſelbſt die Englaͤnder, ſo moͤchten wir uns ſchwerlich mit Recht, wenn wir im Leben mit ihnen zuſammenſtoßen, mehr Bildung beilegen duͤrfen, als ihnen. Gutmuͤthig ſcheinen wir den Fremden, und das iſt Alles, was ſie Gutes von uns ſagen. Hoͤren wir dagegen unſere Philoſophen, ſo liegt die Unvollkommenheit unſerer Bildung darin, daß wir noch nicht tief genug in die Paragraphen ihrer Philoſophie ein¬ gedrungen ſind, und, waͤhrend der Franzoſe, der Englaͤnder, die aͤußere Form und Faſſung an uns vermißt, vermißt ein Hegel noch die erſte, noth¬ wendige philoſophiſche Grundbildung bei den Ge¬ bildeten der Nation. Wenn wir uns nun keines¬ wegs dazu verſtehen koͤnnen, in eine uns fremde oberflaͤchliche Form und Feinheit nach Franzoſen¬ art Werth zu ſetzen; auch nicht mit Allgemein¬ heit das tiefere philoſophiſche Beduͤrfniß fuͤhlen, ſo muͤſſen wir doch anerkennen, daß uns ſelbſt noch jenes ſchoͤne Mittel zwiſchen dem Allerinnerſten und Aeußerſten, zwiſchen dem myſterioͤſen Grund der Philoſophie und der mit Leichtſinn und Flitter¬ gold belegten Oberflaͤche des Lebens nicht ſo recht inwohne, ſo daß wir ſagen koͤnnten, wir lebten darin, wie die Voͤgel in der Luft, und wie die

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/78>, abgerufen am 29.03.2024.