Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

mus hell und offen vor mir liegen sehe. Ist das
nun, wie ich's besser fühle als aussprechen kann,
hervorstechender Charakterzug der Geschichte, so
sind mir Homer's göttliche Gesänge tausendmal
geschichtlicher, als die assyrische, ägyptische, persi¬
sche Historie, ja, Homer's Achilles hat in meinen
Augen mehr Fleisch und Bein, als Cyrus und der
große Alexander. Alexander -- welche Verkehrheit,
von einer Geschichte Alexanders zu sprechen. Wis¬
sen wir nicht, daß es der einzige große Schmerz
des Welteroberers war, keinen würdigen Geschicht¬
schreiber, keinen Homer zu besitzen? Dessenunge¬
achtet haben wir eine Geschichte von ihm? Was
man unter Gevattern Geschichte nennt, in der
That aber so wenig eine, so sehr keine, daß man
heutigen Tags nicht weiß, soll man ihn einen jun¬
gen Gott oder einen wahnsinnigen Melech nen¬
nen. Wer zeichnet uns das lebendige Alexander¬
gesicht? Plutarch von Chäronea, Quintus Cur¬
tius, Schlosser von Heidelberg, oder die allgemeine
Welthistorie, so in England durch eine Gesellschaft
von Gelehrten u. s. w. -- o über den armen
großen Alexander!

Geschichtliche Wahrheit ist lebendige Harmo¬
nie zwischen Leib und Seele der Geschichte, zwi¬
schen Gedanke und That. Wie in Tönen die

mus hell und offen vor mir liegen ſehe. Iſt das
nun, wie ich's beſſer fuͤhle als ausſprechen kann,
hervorſtechender Charakterzug der Geſchichte, ſo
ſind mir Homer's goͤttliche Geſaͤnge tauſendmal
geſchichtlicher, als die aſſyriſche, aͤgyptiſche, perſi¬
ſche Hiſtorie, ja, Homer's Achilles hat in meinen
Augen mehr Fleiſch und Bein, als Cyrus und der
große Alexander. Alexander — welche Verkehrheit,
von einer Geſchichte Alexanders zu ſprechen. Wiſ¬
ſen wir nicht, daß es der einzige große Schmerz
des Welteroberers war, keinen wuͤrdigen Geſchicht¬
ſchreiber, keinen Homer zu beſitzen? Deſſenunge¬
achtet haben wir eine Geſchichte von ihm? Was
man unter Gevattern Geſchichte nennt, in der
That aber ſo wenig eine, ſo ſehr keine, daß man
heutigen Tags nicht weiß, ſoll man ihn einen jun¬
gen Gott oder einen wahnſinnigen Melech nen¬
nen. Wer zeichnet uns das lebendige Alexander¬
geſicht? Plutarch von Chaͤronea, Quintus Cur¬
tius, Schloſſer von Heidelberg, oder die allgemeine
Welthiſtorie, ſo in England durch eine Geſellſchaft
von Gelehrten u. ſ. w. — o uͤber den armen
großen Alexander!

Geſchichtliche Wahrheit iſt lebendige Harmo¬
nie zwiſchen Leib und Seele der Geſchichte, zwi¬
ſchen Gedanke und That. Wie in Toͤnen die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="44"/>
mus hell und offen vor mir liegen &#x017F;ehe. I&#x017F;t das<lb/>
nun, wie ich's be&#x017F;&#x017F;er fu&#x0364;hle als aus&#x017F;prechen kann,<lb/>
hervor&#x017F;techender Charakterzug der Ge&#x017F;chichte, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ind mir Homer's go&#x0364;ttliche Ge&#x017F;a&#x0364;nge tau&#x017F;endmal<lb/>
ge&#x017F;chichtlicher, als die a&#x017F;&#x017F;yri&#x017F;che, a&#x0364;gypti&#x017F;che, per&#x017F;<lb/>
&#x017F;che Hi&#x017F;torie, ja, Homer's Achilles hat in meinen<lb/>
Augen mehr Flei&#x017F;ch und Bein, als Cyrus und der<lb/>
große Alexander. Alexander &#x2014; welche Verkehrheit,<lb/>
von einer Ge&#x017F;chichte Alexanders zu &#x017F;prechen. Wi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en wir nicht, daß es der einzige große Schmerz<lb/>
des Welteroberers war, keinen wu&#x0364;rdigen Ge&#x017F;chicht¬<lb/>
&#x017F;chreiber, keinen Homer zu be&#x017F;itzen? De&#x017F;&#x017F;enunge¬<lb/>
achtet haben wir eine Ge&#x017F;chichte von ihm? Was<lb/>
man unter Gevattern Ge&#x017F;chichte nennt, in der<lb/>
That aber &#x017F;o wenig eine, &#x017F;o &#x017F;ehr keine, daß man<lb/>
heutigen Tags nicht weiß, &#x017F;oll man ihn einen jun¬<lb/>
gen Gott oder einen wahn&#x017F;innigen Melech nen¬<lb/>
nen. Wer zeichnet uns das lebendige Alexander¬<lb/>
ge&#x017F;icht? Plutarch von Cha&#x0364;ronea, Quintus Cur¬<lb/>
tius, Schlo&#x017F;&#x017F;er von Heidelberg, oder die allgemeine<lb/>
Welthi&#x017F;torie, &#x017F;o in England durch eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
von Gelehrten u. &#x017F;. w. &#x2014; o u&#x0364;ber den armen<lb/>
großen Alexander!</p><lb/>
        <p>Ge&#x017F;chichtliche Wahrheit i&#x017F;t lebendige Harmo¬<lb/>
nie zwi&#x017F;chen Leib und Seele der Ge&#x017F;chichte, zwi¬<lb/>
&#x017F;chen Gedanke und That. Wie in To&#x0364;nen die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0058] mus hell und offen vor mir liegen ſehe. Iſt das nun, wie ich's beſſer fuͤhle als ausſprechen kann, hervorſtechender Charakterzug der Geſchichte, ſo ſind mir Homer's goͤttliche Geſaͤnge tauſendmal geſchichtlicher, als die aſſyriſche, aͤgyptiſche, perſi¬ ſche Hiſtorie, ja, Homer's Achilles hat in meinen Augen mehr Fleiſch und Bein, als Cyrus und der große Alexander. Alexander — welche Verkehrheit, von einer Geſchichte Alexanders zu ſprechen. Wiſ¬ ſen wir nicht, daß es der einzige große Schmerz des Welteroberers war, keinen wuͤrdigen Geſchicht¬ ſchreiber, keinen Homer zu beſitzen? Deſſenunge¬ achtet haben wir eine Geſchichte von ihm? Was man unter Gevattern Geſchichte nennt, in der That aber ſo wenig eine, ſo ſehr keine, daß man heutigen Tags nicht weiß, ſoll man ihn einen jun¬ gen Gott oder einen wahnſinnigen Melech nen¬ nen. Wer zeichnet uns das lebendige Alexander¬ geſicht? Plutarch von Chaͤronea, Quintus Cur¬ tius, Schloſſer von Heidelberg, oder die allgemeine Welthiſtorie, ſo in England durch eine Geſellſchaft von Gelehrten u. ſ. w. — o uͤber den armen großen Alexander! Geſchichtliche Wahrheit iſt lebendige Harmo¬ nie zwiſchen Leib und Seele der Geſchichte, zwi¬ ſchen Gedanke und That. Wie in Toͤnen die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/58
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/58>, abgerufen am 25.04.2024.