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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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wie verklärte Genien in einem losen, lieblichen
Durcheinander und man sieht es kaum, wo sie
ihren leichten Fuß auf den glatten Boden der
Geschichte setzen. Dichter und Künstler sind dar¬
über leicht zu trösten; allein Geschichtsforscher und
Mythologen wandern verzweifelnd in der poetischen
Götterdämmerung umher, vielfach geneckt von den
räthselhaften verzauberten Gestalten, die nicht sel¬
ten mit schelmischer Ironie sich grade vor sie hin¬
stellen, sich geduldig entkleiden, befühlen und be¬
tasten lassen, und dann auf einmal wie der Wind
aus ihren Händen entschlüpfen. Doch läßt man
sich auf die Länge nicht abschrecken. Man macht
sich an das Geschäft, die flüchtigen Wesen, so gut
es gehen will, zu klassifiziren, die einen nennt
man religiöse, die andern naturhistorische, die drit¬
ten völkerhistorische Mythen, die widerspenstigsten
Schwärmer läßt man laufen, hartnäckig widerstre¬
bende bringt man auf die Folter und von da zum
Geständniß, oder man bindet ihnen so triftige Ar¬
gumente und eine so schwerfällige Gelehrsamkeit
ans Bein, daß sie sich seufzend und abgemattet
in ihr Geschick begeben.

Sie wissen, meine Herren, auch die römische
Urgeschichte verläuft sich in Götter- und Heroen¬
dunkel. Bewunderungswürdig ist es zu sehen, mit
welchem Muth, welcher Ausdauer, welcher Vor¬

wie verklaͤrte Genien in einem loſen, lieblichen
Durcheinander und man ſieht es kaum, wo ſie
ihren leichten Fuß auf den glatten Boden der
Geſchichte ſetzen. Dichter und Kuͤnſtler ſind dar¬
uͤber leicht zu troͤſten; allein Geſchichtsforſcher und
Mythologen wandern verzweifelnd in der poetiſchen
Goͤtterdaͤmmerung umher, vielfach geneckt von den
raͤthſelhaften verzauberten Geſtalten, die nicht ſel¬
ten mit ſchelmiſcher Ironie ſich grade vor ſie hin¬
ſtellen, ſich geduldig entkleiden, befuͤhlen und be¬
taſten laſſen, und dann auf einmal wie der Wind
aus ihren Haͤnden entſchluͤpfen. Doch laͤßt man
ſich auf die Laͤnge nicht abſchrecken. Man macht
ſich an das Geſchaͤft, die fluͤchtigen Weſen, ſo gut
es gehen will, zu klaſſifiziren, die einen nennt
man religioͤſe, die andern naturhiſtoriſche, die drit¬
ten voͤlkerhiſtoriſche Mythen, die widerſpenſtigſten
Schwaͤrmer laͤßt man laufen, hartnaͤckig widerſtre¬
bende bringt man auf die Folter und von da zum
Geſtaͤndniß, oder man bindet ihnen ſo triftige Ar¬
gumente und eine ſo ſchwerfaͤllige Gelehrſamkeit
ans Bein, daß ſie ſich ſeufzend und abgemattet
in ihr Geſchick begeben.

Sie wiſſen, meine Herren, auch die roͤmiſche
Urgeſchichte verlaͤuft ſich in Goͤtter- und Heroen¬
dunkel. Bewunderungswuͤrdig iſt es zu ſehen, mit
welchem Muth, welcher Ausdauer, welcher Vor¬

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[41/0055] wie verklaͤrte Genien in einem loſen, lieblichen Durcheinander und man ſieht es kaum, wo ſie ihren leichten Fuß auf den glatten Boden der Geſchichte ſetzen. Dichter und Kuͤnſtler ſind dar¬ uͤber leicht zu troͤſten; allein Geſchichtsforſcher und Mythologen wandern verzweifelnd in der poetiſchen Goͤtterdaͤmmerung umher, vielfach geneckt von den raͤthſelhaften verzauberten Geſtalten, die nicht ſel¬ ten mit ſchelmiſcher Ironie ſich grade vor ſie hin¬ ſtellen, ſich geduldig entkleiden, befuͤhlen und be¬ taſten laſſen, und dann auf einmal wie der Wind aus ihren Haͤnden entſchluͤpfen. Doch laͤßt man ſich auf die Laͤnge nicht abſchrecken. Man macht ſich an das Geſchaͤft, die fluͤchtigen Weſen, ſo gut es gehen will, zu klaſſifiziren, die einen nennt man religioͤſe, die andern naturhiſtoriſche, die drit¬ ten voͤlkerhiſtoriſche Mythen, die widerſpenſtigſten Schwaͤrmer laͤßt man laufen, hartnaͤckig widerſtre¬ bende bringt man auf die Folter und von da zum Geſtaͤndniß, oder man bindet ihnen ſo triftige Ar¬ gumente und eine ſo ſchwerfaͤllige Gelehrſamkeit ans Bein, daß ſie ſich ſeufzend und abgemattet in ihr Geſchick begeben. Sie wiſſen, meine Herren, auch die roͤmiſche Urgeſchichte verlaͤuft ſich in Goͤtter- und Heroen¬ dunkel. Bewunderungswuͤrdig iſt es zu ſehen, mit welchem Muth, welcher Ausdauer, welcher Vor¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/55>, abgerufen am 29.03.2024.