Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sich leicht und rein hinzustellen und sich aus dem
trüben unästhetischen Fahrwasser gemeiner Ansich¬
ten immer glücklich herauszuziehen. Schon habe
ich mit wenig Worten unserer Schulen, Akademien
und Brodstudien als solcher Erwähnung gethan,
die im schneidendsten Kontraste ständen mit indi¬
vidueller und volksthümlicher Bildung, der Grund¬
bedingung charakteristischer Schönheit und ihres
Verstehens und Auffassens. Doch unterliegen nicht
geringerem Tadel unsere Ansichten und Studien
jener allgemeineren Wissenschaften, welche den
Schlußstein unserer höheren Geistesbildung aus¬
machen sollten und ich will darunter nur die der
Philosophie und der Geschichte mit Namen auf¬
führen, vom Studium und der wissenschaftlichen
Aneignung der Religion aber gänzlich schweigen.

Beginnen wir von der Geschichte. Welche
unleidliche, leblose Ansicht machen wir uns über
dieselbe. Ueberall, wo wir zurückgehen auf die
frühsten Zeiten eines Volkes, ist es leicht zu mer¬
ken, wie Poesie und Historie ungetrennt von
einem Gemüth aufbewahrt und von einem begei¬
sterten Munde verkündet wurde. Beide vereinigen
sich darin, das Leben mit allen seinen Aeußerun¬
gen aufzufassen und darzustellen. Erst eine spä¬
tere gelehrte Ansicht mußte sie trennen, welche die
Historie auf kritische Wahrheit beschränkt, die epi¬

ſich leicht und rein hinzuſtellen und ſich aus dem
truͤben unaͤſthetiſchen Fahrwaſſer gemeiner Anſich¬
ten immer gluͤcklich herauszuziehen. Schon habe
ich mit wenig Worten unſerer Schulen, Akademien
und Brodſtudien als ſolcher Erwaͤhnung gethan,
die im ſchneidendſten Kontraſte ſtaͤnden mit indi¬
vidueller und volksthuͤmlicher Bildung, der Grund¬
bedingung charakteriſtiſcher Schoͤnheit und ihres
Verſtehens und Auffaſſens. Doch unterliegen nicht
geringerem Tadel unſere Anſichten und Studien
jener allgemeineren Wiſſenſchaften, welche den
Schlußſtein unſerer hoͤheren Geiſtesbildung aus¬
machen ſollten und ich will darunter nur die der
Philoſophie und der Geſchichte mit Namen auf¬
fuͤhren, vom Studium und der wiſſenſchaftlichen
Aneignung der Religion aber gaͤnzlich ſchweigen.

Beginnen wir von der Geſchichte. Welche
unleidliche, lebloſe Anſicht machen wir uns uͤber
dieſelbe. Ueberall, wo wir zuruͤckgehen auf die
fruͤhſten Zeiten eines Volkes, iſt es leicht zu mer¬
ken, wie Poeſie und Hiſtorie ungetrennt von
einem Gemuͤth aufbewahrt und von einem begei¬
ſterten Munde verkuͤndet wurde. Beide vereinigen
ſich darin, das Leben mit allen ſeinen Aeußerun¬
gen aufzufaſſen und darzuſtellen. Erſt eine ſpaͤ¬
tere gelehrte Anſicht mußte ſie trennen, welche die
Hiſtorie auf kritiſche Wahrheit beſchraͤnkt, die epi¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="39"/>
&#x017F;ich leicht und rein hinzu&#x017F;tellen und &#x017F;ich aus dem<lb/>
tru&#x0364;ben una&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Fahrwa&#x017F;&#x017F;er gemeiner An&#x017F;ich¬<lb/>
ten immer glu&#x0364;cklich herauszuziehen. Schon habe<lb/>
ich mit wenig Worten un&#x017F;erer Schulen, Akademien<lb/>
und Brod&#x017F;tudien als &#x017F;olcher Erwa&#x0364;hnung gethan,<lb/>
die im &#x017F;chneidend&#x017F;ten Kontra&#x017F;te &#x017F;ta&#x0364;nden mit indi¬<lb/>
vidueller und volksthu&#x0364;mlicher Bildung, der Grund¬<lb/>
bedingung charakteri&#x017F;ti&#x017F;cher Scho&#x0364;nheit und ihres<lb/>
Ver&#x017F;tehens und Auffa&#x017F;&#x017F;ens. Doch unterliegen nicht<lb/>
geringerem Tadel un&#x017F;ere An&#x017F;ichten und Studien<lb/>
jener allgemeineren Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, welche den<lb/>
Schluß&#x017F;tein un&#x017F;erer ho&#x0364;heren Gei&#x017F;tesbildung aus¬<lb/>
machen &#x017F;ollten und ich will darunter nur die der<lb/>
Philo&#x017F;ophie und der Ge&#x017F;chichte mit Namen auf¬<lb/>
fu&#x0364;hren, vom Studium und der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen<lb/>
Aneignung der Religion aber ga&#x0364;nzlich &#x017F;chweigen.</p><lb/>
        <p>Beginnen wir von der Ge&#x017F;chichte. Welche<lb/>
unleidliche, leblo&#x017F;e An&#x017F;icht machen wir uns u&#x0364;ber<lb/>
die&#x017F;elbe. Ueberall, wo wir zuru&#x0364;ckgehen auf die<lb/>
fru&#x0364;h&#x017F;ten Zeiten eines Volkes, i&#x017F;t es leicht zu mer¬<lb/>
ken, wie Poe&#x017F;ie und Hi&#x017F;torie ungetrennt von<lb/>
einem Gemu&#x0364;th aufbewahrt und von einem begei¬<lb/>
&#x017F;terten Munde verku&#x0364;ndet wurde. Beide vereinigen<lb/>
&#x017F;ich darin, das Leben mit allen &#x017F;einen Aeußerun¬<lb/>
gen aufzufa&#x017F;&#x017F;en und darzu&#x017F;tellen. Er&#x017F;t eine &#x017F;pa&#x0364;¬<lb/>
tere gelehrte An&#x017F;icht mußte &#x017F;ie trennen, welche die<lb/>
Hi&#x017F;torie auf kriti&#x017F;che Wahrheit be&#x017F;chra&#x0364;nkt, die epi¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0053] ſich leicht und rein hinzuſtellen und ſich aus dem truͤben unaͤſthetiſchen Fahrwaſſer gemeiner Anſich¬ ten immer gluͤcklich herauszuziehen. Schon habe ich mit wenig Worten unſerer Schulen, Akademien und Brodſtudien als ſolcher Erwaͤhnung gethan, die im ſchneidendſten Kontraſte ſtaͤnden mit indi¬ vidueller und volksthuͤmlicher Bildung, der Grund¬ bedingung charakteriſtiſcher Schoͤnheit und ihres Verſtehens und Auffaſſens. Doch unterliegen nicht geringerem Tadel unſere Anſichten und Studien jener allgemeineren Wiſſenſchaften, welche den Schlußſtein unſerer hoͤheren Geiſtesbildung aus¬ machen ſollten und ich will darunter nur die der Philoſophie und der Geſchichte mit Namen auf¬ fuͤhren, vom Studium und der wiſſenſchaftlichen Aneignung der Religion aber gaͤnzlich ſchweigen. Beginnen wir von der Geſchichte. Welche unleidliche, lebloſe Anſicht machen wir uns uͤber dieſelbe. Ueberall, wo wir zuruͤckgehen auf die fruͤhſten Zeiten eines Volkes, iſt es leicht zu mer¬ ken, wie Poeſie und Hiſtorie ungetrennt von einem Gemuͤth aufbewahrt und von einem begei¬ ſterten Munde verkuͤndet wurde. Beide vereinigen ſich darin, das Leben mit allen ſeinen Aeußerun¬ gen aufzufaſſen und darzuſtellen. Erſt eine ſpaͤ¬ tere gelehrte Anſicht mußte ſie trennen, welche die Hiſtorie auf kritiſche Wahrheit beſchraͤnkt, die epi¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/53
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/53>, abgerufen am 24.04.2024.