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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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der schönsten Strahlen aus dem Leben dieser wun¬
derbaren Zeit.

War, frage ich mit Herder, war jene An¬
dacht des Mittelalters, ich spreche nur von der
reinen und uneigennützigen, von der hohen, mysti¬
schen Andacht und nicht von der pfäffischen mit
ihrem Klingklang und ihrer Selbstsucht, jene An¬
dacht, welche die ungeheuren Dome baute, welche
sich unermeßlichen und unnennbaren Gefühlen hin¬
gab, war sie rein menschlich, oder lag nicht etwas
Uebertriebenes, Ungestaltetes und Falsches darin?
Ich glaube, ja. Das Unermeßliche, sagt Herder,
hat kein Maß, das Unendliche keinen Ausdruck.
Je länger man an diesen Tiefen schwindelt, desto
mehr verwirret sich die Zunge, Du sagst nichts,
wenn Du vorhattest, etwas Unaussprechliches zu
sagen.

Und jene Frauenliebe, jene Galanterie der
Liebe, war sie nicht ein falscher Geschmack, war
es die Sprache des Herzens, der rein menschliche
Erguß des Gefühls und natürlicher Neigungen,
welche in diesen Bildern, Schwüren, Worten,
Witzen und Wendungen der mittelaltrigen Ge¬
dichte (das Nibelungenlied ist überall auszunehmen)
spielt. -- Ich denke ja, und dasselbe denke ich
von der übertriebenen Ritterwürde. Alles Geklirr,

der ſchoͤnſten Strahlen aus dem Leben dieſer wun¬
derbaren Zeit.

War, frage ich mit Herder, war jene An¬
dacht des Mittelalters, ich ſpreche nur von der
reinen und uneigennuͤtzigen, von der hohen, myſti¬
ſchen Andacht und nicht von der pfaͤffiſchen mit
ihrem Klingklang und ihrer Selbſtſucht, jene An¬
dacht, welche die ungeheuren Dome baute, welche
ſich unermeßlichen und unnennbaren Gefuͤhlen hin¬
gab, war ſie rein menſchlich, oder lag nicht etwas
Uebertriebenes, Ungeſtaltetes und Falſches darin?
Ich glaube, ja. Das Unermeßliche, ſagt Herder,
hat kein Maß, das Unendliche keinen Ausdruck.
Je laͤnger man an dieſen Tiefen ſchwindelt, deſto
mehr verwirret ſich die Zunge, Du ſagſt nichts,
wenn Du vorhatteſt, etwas Unausſprechliches zu
ſagen.

Und jene Frauenliebe, jene Galanterie der
Liebe, war ſie nicht ein falſcher Geſchmack, war
es die Sprache des Herzens, der rein menſchliche
Erguß des Gefuͤhls und natuͤrlicher Neigungen,
welche in dieſen Bildern, Schwuͤren, Worten,
Witzen und Wendungen der mittelaltrigen Ge¬
dichte (das Nibelungenlied iſt uͤberall auszunehmen)
ſpielt. — Ich denke ja, und daſſelbe denke ich
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[26/0040] der ſchoͤnſten Strahlen aus dem Leben dieſer wun¬ derbaren Zeit. War, frage ich mit Herder, war jene An¬ dacht des Mittelalters, ich ſpreche nur von der reinen und uneigennuͤtzigen, von der hohen, myſti¬ ſchen Andacht und nicht von der pfaͤffiſchen mit ihrem Klingklang und ihrer Selbſtſucht, jene An¬ dacht, welche die ungeheuren Dome baute, welche ſich unermeßlichen und unnennbaren Gefuͤhlen hin¬ gab, war ſie rein menſchlich, oder lag nicht etwas Uebertriebenes, Ungeſtaltetes und Falſches darin? Ich glaube, ja. Das Unermeßliche, ſagt Herder, hat kein Maß, das Unendliche keinen Ausdruck. Je laͤnger man an dieſen Tiefen ſchwindelt, deſto mehr verwirret ſich die Zunge, Du ſagſt nichts, wenn Du vorhatteſt, etwas Unausſprechliches zu ſagen. Und jene Frauenliebe, jene Galanterie der Liebe, war ſie nicht ein falſcher Geſchmack, war es die Sprache des Herzens, der rein menſchliche Erguß des Gefuͤhls und natuͤrlicher Neigungen, welche in dieſen Bildern, Schwuͤren, Worten, Witzen und Wendungen der mittelaltrigen Ge¬ dichte (das Nibelungenlied iſt uͤberall auszunehmen) ſpielt. — Ich denke ja, und daſſelbe denke ich von der uͤbertriebenen Ritterwuͤrde. Alles Geklirr,

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/40>, abgerufen am 19.04.2024.