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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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in Sentimentalität, und wenn er einmal eine starke
Lanze einlegte und gegen einen bestimmten Feind
zu Felde zog, so war ihm dieser eher das Nach¬
druckergesindel, und sonstige deutsche Schofel und
Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Lan¬
desübel, die der Patriot aufs Korn nehmen soll.
Das lag in seiner Zeit; in der unsrigen hat sich
der Witz einen Kampfplatz aufgesucht, wo er mit
der Freiheit vereint gegen verrostete Helme und
Kaputzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen
schon Splitter und Stücke genug auf dem Boden,
welche seine Schärfe und Kraft beurkunden.

Man läßt den Witz nicht mehr auf seine
eigne Hand und nach den Grillen der Phantasie
hinlaufen, er ist nicht mehr ein ungesatteltes flüch¬
tiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts
und links ausschlägt und blos mit Lust und Be¬
wunderung über seine Kühnheit erfüllt, es sitzt ihm
ein Reiter auf dem Nacken, auf dessen Wink
und Führung es die verhaßten Barrieren überspringt
und niederreitet, welche die Dummheit und die Un¬
verschämtheit vor dem Genuß der Welt aufgeschla¬
gen hat. Der Witz unserer neuen Prosa ist nicht
mehr ein reiner Phantasiewitz, sondern Charakter¬
witz, er ist unserer heutigen Prosa, ich meine,
unserm heutigen Bürgerstande, unsere bürgerliche
Freiheit. Der Adel hat sich oft mit der Poesie

in Sentimentalitaͤt, und wenn er einmal eine ſtarke
Lanze einlegte und gegen einen beſtimmten Feind
zu Felde zog, ſo war ihm dieſer eher das Nach¬
druckergeſindel, und ſonſtige deutſche Schofel und
Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Lan¬
desuͤbel, die der Patriot aufs Korn nehmen ſoll.
Das lag in ſeiner Zeit; in der unſrigen hat ſich
der Witz einen Kampfplatz aufgeſucht, wo er mit
der Freiheit vereint gegen verroſtete Helme und
Kaputzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen
ſchon Splitter und Stuͤcke genug auf dem Boden,
welche ſeine Schaͤrfe und Kraft beurkunden.

Man laͤßt den Witz nicht mehr auf ſeine
eigne Hand und nach den Grillen der Phantaſie
hinlaufen, er iſt nicht mehr ein ungeſatteltes fluͤch¬
tiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts
und links ausſchlaͤgt und blos mit Luſt und Be¬
wunderung uͤber ſeine Kuͤhnheit erfuͤllt, es ſitzt ihm
ein Reiter auf dem Nacken, auf deſſen Wink
und Fuͤhrung es die verhaßten Barrieren uͤberſpringt
und niederreitet, welche die Dummheit und die Un¬
verſchaͤmtheit vor dem Genuß der Welt aufgeſchla¬
gen hat. Der Witz unſerer neuen Proſa iſt nicht
mehr ein reiner Phantaſiewitz, ſondern Charakter¬
witz, er iſt unſerer heutigen Proſa, ich meine,
unſerm heutigen Buͤrgerſtande, unſere buͤrgerliche
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[306/0320] in Sentimentalitaͤt, und wenn er einmal eine ſtarke Lanze einlegte und gegen einen beſtimmten Feind zu Felde zog, ſo war ihm dieſer eher das Nach¬ druckergeſindel, und ſonſtige deutſche Schofel und Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Lan¬ desuͤbel, die der Patriot aufs Korn nehmen ſoll. Das lag in ſeiner Zeit; in der unſrigen hat ſich der Witz einen Kampfplatz aufgeſucht, wo er mit der Freiheit vereint gegen verroſtete Helme und Kaputzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen ſchon Splitter und Stuͤcke genug auf dem Boden, welche ſeine Schaͤrfe und Kraft beurkunden. Man laͤßt den Witz nicht mehr auf ſeine eigne Hand und nach den Grillen der Phantaſie hinlaufen, er iſt nicht mehr ein ungeſatteltes fluͤch¬ tiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts und links ausſchlaͤgt und blos mit Luſt und Be¬ wunderung uͤber ſeine Kuͤhnheit erfuͤllt, es ſitzt ihm ein Reiter auf dem Nacken, auf deſſen Wink und Fuͤhrung es die verhaßten Barrieren uͤberſpringt und niederreitet, welche die Dummheit und die Un¬ verſchaͤmtheit vor dem Genuß der Welt aufgeſchla¬ gen hat. Der Witz unſerer neuen Proſa iſt nicht mehr ein reiner Phantaſiewitz, ſondern Charakter¬ witz, er iſt unſerer heutigen Proſa, ich meine, unſerm heutigen Buͤrgerſtande, unſere buͤrgerliche Freiheit. Der Adel hat ſich oft mit der Poeſie

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/320>, abgerufen am 19.04.2024.