Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

schwanger von Witz und Phantasie, goß er eine
Fluth von Gedanken und Gefühlen aufs Papier
hin, so wie er jedesmal im Moment angeregt und
aufgelegt war, ohne sich eben, zum Behuf einer
konzipirten Kunstidee, viel um die Stelle zu be¬
kümmern, wo er sein Genie leuchten ließ. Mei¬
stens gibt er zu viel und erdrückt, im Laufe eines
Satzes fällt ihm Hunderterlei ein, was als Pa¬
renthese oder zwischen Kommaten eingeschlossen
wird und so gleichen seine Perioden dem Zickzack
der Blitze und sind nicht selten, wie diese, taube
Schläge, die wohl erschüttern, aber nur momen¬
tan und keine Nachwirkung zurücklassen. Börne,
an Gemüth ihm ähnlich, ist ihm hierin ganz ent¬
gegengesetzt, jeder Satz ein abgeschlossener Ge¬
danke, Schlag um Schlag eine neue Behauptung,
Schritt vor Schritt ein Stück Weges zurückge¬
legt, Stoß um Stoß irgend eine träge Masse
von Vorurtheilen und Dummheiten verdrängt.
Absicht und Kunst, wie bei Goethe, sind selten
an seiner Darstellung zu merken, er drängt und
fährt nur so darein und kümmert sich nicht um
das, was die Leute dazu sagen. Man sollte mei¬
nen, daß Heine dies auch nur so thut, allein
man würde sich irren. Vergleichen Sie den Hei¬
neschen Stil mit dem Börneschen, so werden Sie
die Absichtlichkeit der Heineschen Darstellung als

ſchwanger von Witz und Phantaſie, goß er eine
Fluth von Gedanken und Gefuͤhlen aufs Papier
hin, ſo wie er jedesmal im Moment angeregt und
aufgelegt war, ohne ſich eben, zum Behuf einer
konzipirten Kunſtidee, viel um die Stelle zu be¬
kuͤmmern, wo er ſein Genie leuchten ließ. Mei¬
ſtens gibt er zu viel und erdruͤckt, im Laufe eines
Satzes faͤllt ihm Hunderterlei ein, was als Pa¬
rentheſe oder zwiſchen Kommaten eingeſchloſſen
wird und ſo gleichen ſeine Perioden dem Zickzack
der Blitze und ſind nicht ſelten, wie dieſe, taube
Schlaͤge, die wohl erſchuͤttern, aber nur momen¬
tan und keine Nachwirkung zuruͤcklaſſen. Boͤrne,
an Gemuͤth ihm aͤhnlich, iſt ihm hierin ganz ent¬
gegengeſetzt, jeder Satz ein abgeſchloſſener Ge¬
danke, Schlag um Schlag eine neue Behauptung,
Schritt vor Schritt ein Stuͤck Weges zuruͤckge¬
legt, Stoß um Stoß irgend eine traͤge Maſſe
von Vorurtheilen und Dummheiten verdraͤngt.
Abſicht und Kunſt, wie bei Goethe, ſind ſelten
an ſeiner Darſtellung zu merken, er draͤngt und
faͤhrt nur ſo darein und kuͤmmert ſich nicht um
das, was die Leute dazu ſagen. Man ſollte mei¬
nen, daß Heine dies auch nur ſo thut, allein
man wuͤrde ſich irren. Vergleichen Sie den Hei¬
neſchen Stil mit dem Boͤrneſchen, ſo werden Sie
die Abſichtlichkeit der Heineſchen Darſtellung als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0308" n="294"/>
&#x017F;chwanger von Witz und Phanta&#x017F;ie, goß er eine<lb/>
Fluth von Gedanken und Gefu&#x0364;hlen aufs Papier<lb/>
hin, &#x017F;o wie er jedesmal im Moment angeregt und<lb/>
aufgelegt war, ohne &#x017F;ich eben, zum Behuf einer<lb/>
konzipirten Kun&#x017F;tidee, viel um die Stelle zu be¬<lb/>
ku&#x0364;mmern, wo er &#x017F;ein Genie leuchten ließ. Mei¬<lb/>
&#x017F;tens gibt er zu viel und erdru&#x0364;ckt, im Laufe eines<lb/>
Satzes fa&#x0364;llt ihm Hunderterlei ein, was als Pa¬<lb/>
renthe&#x017F;e oder zwi&#x017F;chen Kommaten einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wird und &#x017F;o gleichen &#x017F;eine Perioden dem Zickzack<lb/>
der Blitze und &#x017F;ind nicht &#x017F;elten, wie die&#x017F;e, taube<lb/>
Schla&#x0364;ge, die wohl er&#x017F;chu&#x0364;ttern, aber nur momen¬<lb/>
tan und keine Nachwirkung zuru&#x0364;ckla&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#g">Bo&#x0364;rne</hi>,<lb/>
an Gemu&#x0364;th ihm a&#x0364;hnlich, i&#x017F;t ihm hierin ganz ent¬<lb/>
gegenge&#x017F;etzt, jeder Satz ein abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener Ge¬<lb/>
danke, Schlag um Schlag eine neue Behauptung,<lb/>
Schritt vor Schritt ein Stu&#x0364;ck Weges zuru&#x0364;ckge¬<lb/>
legt, Stoß um Stoß irgend eine tra&#x0364;ge Ma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
von Vorurtheilen und Dummheiten verdra&#x0364;ngt.<lb/>
Ab&#x017F;icht und Kun&#x017F;t, wie bei Goethe, &#x017F;ind &#x017F;elten<lb/>
an &#x017F;einer Dar&#x017F;tellung zu merken, er dra&#x0364;ngt und<lb/>
fa&#x0364;hrt nur &#x017F;o darein und ku&#x0364;mmert &#x017F;ich nicht um<lb/>
das, was die Leute dazu &#x017F;agen. Man &#x017F;ollte mei¬<lb/>
nen, daß <hi rendition="#g">Heine</hi> dies auch nur &#x017F;o thut, allein<lb/>
man wu&#x0364;rde &#x017F;ich irren. Vergleichen Sie den Hei¬<lb/>
ne&#x017F;chen Stil mit dem Bo&#x0364;rne&#x017F;chen, &#x017F;o werden Sie<lb/>
die Ab&#x017F;ichtlichkeit der Heine&#x017F;chen Dar&#x017F;tellung als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0308] ſchwanger von Witz und Phantaſie, goß er eine Fluth von Gedanken und Gefuͤhlen aufs Papier hin, ſo wie er jedesmal im Moment angeregt und aufgelegt war, ohne ſich eben, zum Behuf einer konzipirten Kunſtidee, viel um die Stelle zu be¬ kuͤmmern, wo er ſein Genie leuchten ließ. Mei¬ ſtens gibt er zu viel und erdruͤckt, im Laufe eines Satzes faͤllt ihm Hunderterlei ein, was als Pa¬ rentheſe oder zwiſchen Kommaten eingeſchloſſen wird und ſo gleichen ſeine Perioden dem Zickzack der Blitze und ſind nicht ſelten, wie dieſe, taube Schlaͤge, die wohl erſchuͤttern, aber nur momen¬ tan und keine Nachwirkung zuruͤcklaſſen. Boͤrne, an Gemuͤth ihm aͤhnlich, iſt ihm hierin ganz ent¬ gegengeſetzt, jeder Satz ein abgeſchloſſener Ge¬ danke, Schlag um Schlag eine neue Behauptung, Schritt vor Schritt ein Stuͤck Weges zuruͤckge¬ legt, Stoß um Stoß irgend eine traͤge Maſſe von Vorurtheilen und Dummheiten verdraͤngt. Abſicht und Kunſt, wie bei Goethe, ſind ſelten an ſeiner Darſtellung zu merken, er draͤngt und faͤhrt nur ſo darein und kuͤmmert ſich nicht um das, was die Leute dazu ſagen. Man ſollte mei¬ nen, daß Heine dies auch nur ſo thut, allein man wuͤrde ſich irren. Vergleichen Sie den Hei¬ neſchen Stil mit dem Boͤrneſchen, ſo werden Sie die Abſichtlichkeit der Heineſchen Darſtellung als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/308
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/308>, abgerufen am 20.04.2024.