Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

diesem Fehler sehr unterworfen. Walter Scott
wird nicht selten aus einem Dichter Maler, Archi¬
tekt, Kleiderseller. Der echte Dichter schildert,
wie Lessing sich ausdrückt, Bewegung, Handlung
und nur andeutungsweise durch diese Körper.
Zwingen, wie derselbe Lessing bemerkt, den Ho¬
mer besondere Umstände, unseren Blick auf ein¬
zelne körperliche Gegenstände zu lenken, so wird
doch kein Gemälde daraus, dem der Maler mit
dem Pinsel folgen könnte; Homer weiß diesen Ge¬
genstand in eine Folge von Augenblicken zu ver¬
setzen und uns auf diese Art seine Genesis vor
Augen zu legen. Will er uns z. B. den Wagen
der Juno sehen lassen, so muß Hebe ihn Stück
für Stück zusammensetzen, wir sehen die Räder,
die Achsen, den Sitz, die Deichsel u. s. w. nicht
sowohl, wie es beisammen ist, sondern wie es un¬
ter den Händen der Hebe zusammenkommt. Will
er uns zeigen, wie Agamemnon bekleidet gewesen,
so muß der König vor unsern Augen Mantel,
Stiefel, Schwert anthun und wenn er damit fer¬
tig ist, ergreift er das Zepter. So ist auch die
Beschreibung des Zepters eine Geschichte des Zep¬
ters, die Beschreibung des Achilleischen Schildes
eine Reihe von Geschichten. Für ein Ding hat
Homer gewöhnlich nur einen Zug. Ein Schiff

dieſem Fehler ſehr unterworfen. Walter Scott
wird nicht ſelten aus einem Dichter Maler, Archi¬
tekt, Kleiderſeller. Der echte Dichter ſchildert,
wie Leſſing ſich ausdruͤckt, Bewegung, Handlung
und nur andeutungsweiſe durch dieſe Koͤrper.
Zwingen, wie derſelbe Leſſing bemerkt, den Ho¬
mer beſondere Umſtaͤnde, unſeren Blick auf ein¬
zelne koͤrperliche Gegenſtaͤnde zu lenken, ſo wird
doch kein Gemaͤlde daraus, dem der Maler mit
dem Pinſel folgen koͤnnte; Homer weiß dieſen Ge¬
genſtand in eine Folge von Augenblicken zu ver¬
ſetzen und uns auf dieſe Art ſeine Geneſis vor
Augen zu legen. Will er uns z. B. den Wagen
der Juno ſehen laſſen, ſo muß Hebe ihn Stuͤck
fuͤr Stuͤck zuſammenſetzen, wir ſehen die Raͤder,
die Achſen, den Sitz, die Deichſel u. ſ. w. nicht
ſowohl, wie es beiſammen iſt, ſondern wie es un¬
ter den Haͤnden der Hebe zuſammenkommt. Will
er uns zeigen, wie Agamemnon bekleidet geweſen,
ſo muß der Koͤnig vor unſern Augen Mantel,
Stiefel, Schwert anthun und wenn er damit fer¬
tig iſt, ergreift er das Zepter. So iſt auch die
Beſchreibung des Zepters eine Geſchichte des Zep¬
ters, die Beſchreibung des Achilleiſchen Schildes
eine Reihe von Geſchichten. Fuͤr ein Ding hat
Homer gewoͤhnlich nur einen Zug. Ein Schiff

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p xml:id="p-0223" next="p-0225"><pb facs="#f0224" n="210"/>
die&#x017F;em Fehler &#x017F;ehr unterworfen. Walter Scott<lb/>
wird nicht &#x017F;elten aus einem Dichter Maler, Archi¬<lb/>
tekt, Kleider&#x017F;eller. Der echte Dichter &#x017F;childert,<lb/>
wie Le&#x017F;&#x017F;ing &#x017F;ich ausdru&#x0364;ckt, Bewegung, Handlung<lb/>
und nur andeutungswei&#x017F;e durch die&#x017F;e <hi rendition="#g">Ko&#x0364;rper</hi>.<lb/>
Zwingen, wie der&#x017F;elbe Le&#x017F;&#x017F;ing bemerkt, den Ho¬<lb/>
mer be&#x017F;ondere Um&#x017F;ta&#x0364;nde, un&#x017F;eren Blick auf ein¬<lb/>
zelne ko&#x0364;rperliche Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zu lenken, &#x017F;o wird<lb/>
doch kein Gema&#x0364;lde daraus, dem der Maler mit<lb/>
dem Pin&#x017F;el folgen ko&#x0364;nnte; Homer weiß die&#x017F;en Ge¬<lb/>
gen&#x017F;tand in eine Folge von Augenblicken zu ver¬<lb/>
&#x017F;etzen und uns auf die&#x017F;e Art &#x017F;eine Gene&#x017F;is vor<lb/>
Augen zu legen. Will er uns z. B. den Wagen<lb/>
der Juno &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o muß Hebe ihn Stu&#x0364;ck<lb/>
fu&#x0364;r Stu&#x0364;ck zu&#x017F;ammen&#x017F;etzen, wir &#x017F;ehen die Ra&#x0364;der,<lb/>
die Ach&#x017F;en, den Sitz, die Deich&#x017F;el u. &#x017F;. w. nicht<lb/>
&#x017F;owohl, wie es bei&#x017F;ammen i&#x017F;t, &#x017F;ondern wie es un¬<lb/>
ter den Ha&#x0364;nden der Hebe zu&#x017F;ammenkommt. Will<lb/>
er uns zeigen, wie Agamemnon bekleidet gewe&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;o muß der Ko&#x0364;nig vor un&#x017F;ern Augen Mantel,<lb/>
Stiefel, Schwert anthun und wenn er damit fer¬<lb/>
tig i&#x017F;t, ergreift er das Zepter. So i&#x017F;t auch die<lb/>
Be&#x017F;chreibung des Zepters eine Ge&#x017F;chichte des Zep¬<lb/>
ters, die Be&#x017F;chreibung des Achillei&#x017F;chen Schildes<lb/>
eine Reihe von Ge&#x017F;chichten. Fu&#x0364;r <hi rendition="#g">ein</hi> Ding hat<lb/>
Homer gewo&#x0364;hnlich nur <hi rendition="#g">einen</hi> Zug. Ein Schiff<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0224] dieſem Fehler ſehr unterworfen. Walter Scott wird nicht ſelten aus einem Dichter Maler, Archi¬ tekt, Kleiderſeller. Der echte Dichter ſchildert, wie Leſſing ſich ausdruͤckt, Bewegung, Handlung und nur andeutungsweiſe durch dieſe Koͤrper. Zwingen, wie derſelbe Leſſing bemerkt, den Ho¬ mer beſondere Umſtaͤnde, unſeren Blick auf ein¬ zelne koͤrperliche Gegenſtaͤnde zu lenken, ſo wird doch kein Gemaͤlde daraus, dem der Maler mit dem Pinſel folgen koͤnnte; Homer weiß dieſen Ge¬ genſtand in eine Folge von Augenblicken zu ver¬ ſetzen und uns auf dieſe Art ſeine Geneſis vor Augen zu legen. Will er uns z. B. den Wagen der Juno ſehen laſſen, ſo muß Hebe ihn Stuͤck fuͤr Stuͤck zuſammenſetzen, wir ſehen die Raͤder, die Achſen, den Sitz, die Deichſel u. ſ. w. nicht ſowohl, wie es beiſammen iſt, ſondern wie es un¬ ter den Haͤnden der Hebe zuſammenkommt. Will er uns zeigen, wie Agamemnon bekleidet geweſen, ſo muß der Koͤnig vor unſern Augen Mantel, Stiefel, Schwert anthun und wenn er damit fer¬ tig iſt, ergreift er das Zepter. So iſt auch die Beſchreibung des Zepters eine Geſchichte des Zep¬ ters, die Beſchreibung des Achilleiſchen Schildes eine Reihe von Geſchichten. Fuͤr ein Ding hat Homer gewoͤhnlich nur einen Zug. Ein Schiff

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/224
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/224>, abgerufen am 19.04.2024.