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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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leistungen ein richtiges Urtheil fällen. Wirkt und
schafft der Künstler blind, so unterscheidet er sich
durch nichts von der Natur, als durch die Un¬
vollkommenheit seines Werkes, verglichen mit dem¬
selben Werk der Natur. Will er sich aber mit
Bewußtsein der Natur blos unterordnen, so wird
es ihm nicht darauf ankommen, welchen Gegen¬
stand er für die Kunst bearbeitet, er wird mit
knechtischer Treue diesen Gegenstand wiedergeben,
verdoppeln, Abschreiber der Natur aber kein Künst¬
ler sein. Künstler ist er nur dann, wenn er
Seelen erfaßt, wenn er seelische Schönheit in
ihrer Verkörperung darstellt, wenn er alles Kör¬
perliche nur als Symbol des Geistigen betrachtet
und solche Symbolik aus seinem Kunstwerk klär¬
lich durchblicken läßt. Jenen im Innern der
Dinge wirksamen, durch körperliche Sinnbilder
zum Auge sprechenden Naturgeist soll er in sich
lebendig machen und erst nach lebendiger Ergrei¬
fung desselben zur Nachahmung des Naturwerkes
schreiten. Dann hat er etwas Künstlerisches ge¬
schaffen, das weder Natur noch Ideal ist; denn
es ist etwas Höheres als die Natur, etwas Wahr¬
hafteres als Ideal, als eine Grille, die willkühr¬
liche Schönheiten willkührlich zusammenrafft.

Es bedarf nämlich wohl keiner besondern Er¬
wähnung und Ausführung, daß für die Kunst das

leiſtungen ein richtiges Urtheil faͤllen. Wirkt und
ſchafft der Kuͤnſtler blind, ſo unterſcheidet er ſich
durch nichts von der Natur, als durch die Un¬
vollkommenheit ſeines Werkes, verglichen mit dem¬
ſelben Werk der Natur. Will er ſich aber mit
Bewußtſein der Natur blos unterordnen, ſo wird
es ihm nicht darauf ankommen, welchen Gegen¬
ſtand er fuͤr die Kunſt bearbeitet, er wird mit
knechtiſcher Treue dieſen Gegenſtand wiedergeben,
verdoppeln, Abſchreiber der Natur aber kein Kuͤnſt¬
ler ſein. Kuͤnſtler iſt er nur dann, wenn er
Seelen erfaßt, wenn er ſeeliſche Schoͤnheit in
ihrer Verkoͤrperung darſtellt, wenn er alles Koͤr¬
perliche nur als Symbol des Geiſtigen betrachtet
und ſolche Symbolik aus ſeinem Kunſtwerk klaͤr¬
lich durchblicken laͤßt. Jenen im Innern der
Dinge wirkſamen, durch koͤrperliche Sinnbilder
zum Auge ſprechenden Naturgeiſt ſoll er in ſich
lebendig machen und erſt nach lebendiger Ergrei¬
fung deſſelben zur Nachahmung des Naturwerkes
ſchreiten. Dann hat er etwas Kuͤnſtleriſches ge¬
ſchaffen, das weder Natur noch Ideal iſt; denn
es iſt etwas Hoͤheres als die Natur, etwas Wahr¬
hafteres als Ideal, als eine Grille, die willkuͤhr¬
liche Schoͤnheiten willkuͤhrlich zuſammenrafft.

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[203/0217] leiſtungen ein richtiges Urtheil faͤllen. Wirkt und ſchafft der Kuͤnſtler blind, ſo unterſcheidet er ſich durch nichts von der Natur, als durch die Un¬ vollkommenheit ſeines Werkes, verglichen mit dem¬ ſelben Werk der Natur. Will er ſich aber mit Bewußtſein der Natur blos unterordnen, ſo wird es ihm nicht darauf ankommen, welchen Gegen¬ ſtand er fuͤr die Kunſt bearbeitet, er wird mit knechtiſcher Treue dieſen Gegenſtand wiedergeben, verdoppeln, Abſchreiber der Natur aber kein Kuͤnſt¬ ler ſein. Kuͤnſtler iſt er nur dann, wenn er Seelen erfaßt, wenn er ſeeliſche Schoͤnheit in ihrer Verkoͤrperung darſtellt, wenn er alles Koͤr¬ perliche nur als Symbol des Geiſtigen betrachtet und ſolche Symbolik aus ſeinem Kunſtwerk klaͤr¬ lich durchblicken laͤßt. Jenen im Innern der Dinge wirkſamen, durch koͤrperliche Sinnbilder zum Auge ſprechenden Naturgeiſt ſoll er in ſich lebendig machen und erſt nach lebendiger Ergrei¬ fung deſſelben zur Nachahmung des Naturwerkes ſchreiten. Dann hat er etwas Kuͤnſtleriſches ge¬ ſchaffen, das weder Natur noch Ideal iſt; denn es iſt etwas Hoͤheres als die Natur, etwas Wahr¬ hafteres als Ideal, als eine Grille, die willkuͤhr¬ liche Schoͤnheiten willkuͤhrlich zuſammenrafft. Es bedarf naͤmlich wohl keiner beſondern Er¬ waͤhnung und Ausfuͤhrung, daß fuͤr die Kunſt das

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/217>, abgerufen am 29.03.2024.