Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und in diesem Fall sowohl dem Charakter als der
Schönheit des individuellen Naturprodukts Abbruch
thut. Verständigen wir uns zunächst über diesen
so wichtigen Akt, der die Produkte der Natur von
den Produkten der Kunst charakteristisch unter¬
scheidet.

Das Bedeutende in Natur und Kunst
ist eben die individuelle Bestimmtheit der Natur-
und Kunstprodukte, ihr Charakter, ihr Begriff.

Je entschiedener sich dieser Begriff ausgespro¬
chen bei einer Pflanze, einem Thier, einem Men¬
schen, desto vollkommener ist das Produkt. So
stellen wir den Schmetterling höher, als die Raupe,
denn, obwohl schon an der Raupe und deren Ver¬
puppung die Ringe, Flügel, Einschnitte und an¬
dere Gliederungen des künftigen Schmetterlings
wirklich vorhanden sind, so sind sie es doch nur
der Anlage und Tendenz nach, ihre Entfaltung
bleibt der höhern Lebensstufe des Schmetterlings
vorbehalten. Eben so übertrifft die Palme an
Charakter und Schönheit, nicht nur an Größe
und Dicke, den Grashalm, obgleich dieser von den
Naturforschern zu den Palmenarten gezählt wird
und eine noch unentwickelte Palme im Kleinen
vorstellt. Durch dasselbe Prinzip berechtigt spre¬
chen wir sowohl im Pflanzenreich als im Thier¬
reich von höhern und niedern Bildungen, je nach¬

und in dieſem Fall ſowohl dem Charakter als der
Schoͤnheit des individuellen Naturprodukts Abbruch
thut. Verſtaͤndigen wir uns zunaͤchſt uͤber dieſen
ſo wichtigen Akt, der die Produkte der Natur von
den Produkten der Kunſt charakteriſtiſch unter¬
ſcheidet.

Das Bedeutende in Natur und Kunſt
iſt eben die individuelle Beſtimmtheit der Natur-
und Kunſtprodukte, ihr Charakter, ihr Begriff.

Je entſchiedener ſich dieſer Begriff ausgeſpro¬
chen bei einer Pflanze, einem Thier, einem Men¬
ſchen, deſto vollkommener iſt das Produkt. So
ſtellen wir den Schmetterling hoͤher, als die Raupe,
denn, obwohl ſchon an der Raupe und deren Ver¬
puppung die Ringe, Fluͤgel, Einſchnitte und an¬
dere Gliederungen des kuͤnftigen Schmetterlings
wirklich vorhanden ſind, ſo ſind ſie es doch nur
der Anlage und Tendenz nach, ihre Entfaltung
bleibt der hoͤhern Lebensſtufe des Schmetterlings
vorbehalten. Eben ſo uͤbertrifft die Palme an
Charakter und Schoͤnheit, nicht nur an Groͤße
und Dicke, den Grashalm, obgleich dieſer von den
Naturforſchern zu den Palmenarten gezaͤhlt wird
und eine noch unentwickelte Palme im Kleinen
vorſtellt. Durch daſſelbe Prinzip berechtigt ſpre¬
chen wir ſowohl im Pflanzenreich als im Thier¬
reich von hoͤhern und niedern Bildungen, je nach¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0205" n="191"/>
und in die&#x017F;em Fall &#x017F;owohl dem Charakter als der<lb/>
Scho&#x0364;nheit des individuellen Naturprodukts Abbruch<lb/>
thut. Ver&#x017F;ta&#x0364;ndigen wir uns zuna&#x0364;ch&#x017F;t u&#x0364;ber die&#x017F;en<lb/>
&#x017F;o wichtigen Akt, der die Produkte der Natur von<lb/>
den Produkten der Kun&#x017F;t charakteri&#x017F;ti&#x017F;ch unter¬<lb/>
&#x017F;cheidet.</p><lb/>
        <p>Das <hi rendition="#g">Bedeutende</hi> in Natur und Kun&#x017F;t<lb/>
i&#x017F;t eben die individuelle Be&#x017F;timmtheit der Natur-<lb/>
und Kun&#x017F;tprodukte, ihr Charakter, ihr Begriff.</p><lb/>
        <p>Je ent&#x017F;chiedener &#x017F;ich die&#x017F;er Begriff ausge&#x017F;pro¬<lb/>
chen bei einer Pflanze, einem Thier, einem Men¬<lb/>
&#x017F;chen, de&#x017F;to vollkommener i&#x017F;t das Produkt. So<lb/>
&#x017F;tellen wir den Schmetterling ho&#x0364;her, als die Raupe,<lb/>
denn, obwohl &#x017F;chon an der Raupe und deren Ver¬<lb/>
puppung die Ringe, Flu&#x0364;gel, Ein&#x017F;chnitte und an¬<lb/>
dere Gliederungen des ku&#x0364;nftigen Schmetterlings<lb/>
wirklich <hi rendition="#g">vorhanden</hi> &#x017F;ind, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie es doch nur<lb/>
der Anlage und Tendenz nach, ihre Entfaltung<lb/>
bleibt der ho&#x0364;hern Lebens&#x017F;tufe des Schmetterlings<lb/>
vorbehalten. Eben &#x017F;o u&#x0364;bertrifft die Palme an<lb/>
Charakter und Scho&#x0364;nheit, nicht nur an Gro&#x0364;ße<lb/>
und Dicke, den Grashalm, obgleich die&#x017F;er von den<lb/>
Naturfor&#x017F;chern zu den Palmenarten geza&#x0364;hlt wird<lb/>
und eine noch unentwickelte Palme im Kleinen<lb/>
vor&#x017F;tellt. Durch da&#x017F;&#x017F;elbe Prinzip berechtigt &#x017F;pre¬<lb/>
chen wir &#x017F;owohl im Pflanzenreich als im Thier¬<lb/>
reich von ho&#x0364;hern und niedern Bildungen, je nach¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0205] und in dieſem Fall ſowohl dem Charakter als der Schoͤnheit des individuellen Naturprodukts Abbruch thut. Verſtaͤndigen wir uns zunaͤchſt uͤber dieſen ſo wichtigen Akt, der die Produkte der Natur von den Produkten der Kunſt charakteriſtiſch unter¬ ſcheidet. Das Bedeutende in Natur und Kunſt iſt eben die individuelle Beſtimmtheit der Natur- und Kunſtprodukte, ihr Charakter, ihr Begriff. Je entſchiedener ſich dieſer Begriff ausgeſpro¬ chen bei einer Pflanze, einem Thier, einem Men¬ ſchen, deſto vollkommener iſt das Produkt. So ſtellen wir den Schmetterling hoͤher, als die Raupe, denn, obwohl ſchon an der Raupe und deren Ver¬ puppung die Ringe, Fluͤgel, Einſchnitte und an¬ dere Gliederungen des kuͤnftigen Schmetterlings wirklich vorhanden ſind, ſo ſind ſie es doch nur der Anlage und Tendenz nach, ihre Entfaltung bleibt der hoͤhern Lebensſtufe des Schmetterlings vorbehalten. Eben ſo uͤbertrifft die Palme an Charakter und Schoͤnheit, nicht nur an Groͤße und Dicke, den Grashalm, obgleich dieſer von den Naturforſchern zu den Palmenarten gezaͤhlt wird und eine noch unentwickelte Palme im Kleinen vorſtellt. Durch daſſelbe Prinzip berechtigt ſpre¬ chen wir ſowohl im Pflanzenreich als im Thier¬ reich von hoͤhern und niedern Bildungen, je nach¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/205
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/205>, abgerufen am 19.04.2024.