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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Sünde nicht groß wird, und daß ihre eunuchische
Tendenz sich selbst vernichtet.

Eine männlichere und edlere Moral wird sich
herbilden aus dem Schooße der Zeit, eine Moral,
die dem neuen Zeitalter so innig angehören wird,
wie die christkatholische dem Mittelalter. Jene
hab' ich im Sinn, wenn ich behaupte, die echte
Moral müsse mitten in das Gebiet der Aesthetik
verpflanzt werden. Wohin sich die heutige akade¬
mische stellt und wo sie am Ende bleibt, kann
uns gleichgültig sein. Mitten in der Aesthetik
wird die Moral ihren Platz haben, wenn die Zeit
erlaubt, die eine wie die andere in ihren lebendig
geschichtlichen Zügen aufzustellen; denn aus einem
Grundgefühl müssen beide entsprießen, ein Geist
muß sie beide beseelen, eine That muß sie beide
vereinigen. Es gibt vielerlei schöne Künste -- die
Kunst, sein eignes Leben zu gestalten und ihm eine
würdige, zeitentsprechende Form zu geben, die
Moral wird eine derselben und zwar die schönste
und edelste von allen. Man werfe mir nicht ent¬
gegen, daß der Meister der Lebekunst, der Bild¬
ner seiner eigenen Persönlichkeit schon deswegen
himmelweit vom Bildner einer Statue, vom Ver¬
fertiger eines Gemäldes verschieden sei, daß Jenem
eine moralische Gottheit, ein Gewissen, das ihn
lohne und strafe, im Herzen throne, während die¬

Suͤnde nicht groß wird, und daß ihre eunuchiſche
Tendenz ſich ſelbſt vernichtet.

Eine maͤnnlichere und edlere Moral wird ſich
herbilden aus dem Schooße der Zeit, eine Moral,
die dem neuen Zeitalter ſo innig angehoͤren wird,
wie die chriſtkatholiſche dem Mittelalter. Jene
hab' ich im Sinn, wenn ich behaupte, die echte
Moral muͤſſe mitten in das Gebiet der Aeſthetik
verpflanzt werden. Wohin ſich die heutige akade¬
miſche ſtellt und wo ſie am Ende bleibt, kann
uns gleichguͤltig ſein. Mitten in der Aeſthetik
wird die Moral ihren Platz haben, wenn die Zeit
erlaubt, die eine wie die andere in ihren lebendig
geſchichtlichen Zuͤgen aufzuſtellen; denn aus einem
Grundgefuͤhl muͤſſen beide entſprießen, ein Geiſt
muß ſie beide beſeelen, eine That muß ſie beide
vereinigen. Es gibt vielerlei ſchoͤne Kuͤnſte — die
Kunſt, ſein eignes Leben zu geſtalten und ihm eine
wuͤrdige, zeitentſprechende Form zu geben, die
Moral wird eine derſelben und zwar die ſchoͤnſte
und edelſte von allen. Man werfe mir nicht ent¬
gegen, daß der Meiſter der Lebekunſt, der Bild¬
ner ſeiner eigenen Perſoͤnlichkeit ſchon deswegen
himmelweit vom Bildner einer Statue, vom Ver¬
fertiger eines Gemaͤldes verſchieden ſei, daß Jenem
eine moraliſche Gottheit, ein Gewiſſen, das ihn
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[170/0184] Suͤnde nicht groß wird, und daß ihre eunuchiſche Tendenz ſich ſelbſt vernichtet. Eine maͤnnlichere und edlere Moral wird ſich herbilden aus dem Schooße der Zeit, eine Moral, die dem neuen Zeitalter ſo innig angehoͤren wird, wie die chriſtkatholiſche dem Mittelalter. Jene hab' ich im Sinn, wenn ich behaupte, die echte Moral muͤſſe mitten in das Gebiet der Aeſthetik verpflanzt werden. Wohin ſich die heutige akade¬ miſche ſtellt und wo ſie am Ende bleibt, kann uns gleichguͤltig ſein. Mitten in der Aeſthetik wird die Moral ihren Platz haben, wenn die Zeit erlaubt, die eine wie die andere in ihren lebendig geſchichtlichen Zuͤgen aufzuſtellen; denn aus einem Grundgefuͤhl muͤſſen beide entſprießen, ein Geiſt muß ſie beide beſeelen, eine That muß ſie beide vereinigen. Es gibt vielerlei ſchoͤne Kuͤnſte — die Kunſt, ſein eignes Leben zu geſtalten und ihm eine wuͤrdige, zeitentſprechende Form zu geben, die Moral wird eine derſelben und zwar die ſchoͤnſte und edelſte von allen. Man werfe mir nicht ent¬ gegen, daß der Meiſter der Lebekunſt, der Bild¬ ner ſeiner eigenen Perſoͤnlichkeit ſchon deswegen himmelweit vom Bildner einer Statue, vom Ver¬ fertiger eines Gemaͤldes verſchieden ſei, daß Jenem eine moraliſche Gottheit, ein Gewiſſen, das ihn lohne und ſtrafe, im Herzen throne, waͤhrend die¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/184>, abgerufen am 19.04.2024.