Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Künste aber mitsammt den Schönheiten der Na¬
tur, schönen Weibern, schönen Blumen den gan¬
zen Inbegriff des Schönen ausfüllen.

Unsere Aesthetiker, wenn sie die Frage, was
ist die Schönheit, aufwerfen, haben dabei fast
nur die Proportionen des Gesichts und der mensch¬
lichen Gestalt vor Augen, und wenn sie diese be¬
sondere Schönheit in eine Definition gezwängt ha¬
ben, so glauben sie die Weihe der Aesthetik damit
ertheilt zu haben, noch dazu schlug der Gott der
Schönheit die Meisten mit Blindheit.

Uebereinstimmung der Theile erklären Viele
als das Mysterium der Schönheit; wobei noch
dazu die kläglichste Verirrung zur Einseitigkeit
hinzutritt; denn die Theile eines Kamschadalen
stimmen eben so gut überein, wie die Theile
eines Antinous und überhaupt ist Proportion
nichts weiter, als Maaß. Man kann alle Ver¬
hältnisse beobachten, jede Figur in so und so
viel Kopflängen eintheilen, ohne doch eine schöne
Gestalt zu Stande zu bringen. Die Schönheit
liegt auch da wieder in etwas, was in der Defi¬
nition nicht liegt. Andere sprachen von der An¬
gemessenheit jedes einzelnen Theils zum Zweck des
Ganzen. Aber Polyphems großes Stirnauge ist
eben so gut zum Sehen geschickt, als Apolls, und
so zweckmäßig auch und harmonisch mit dem gan¬

10 *

Kuͤnſte aber mitſammt den Schoͤnheiten der Na¬
tur, ſchoͤnen Weibern, ſchoͤnen Blumen den gan¬
zen Inbegriff des Schoͤnen ausfuͤllen.

Unſere Aeſthetiker, wenn ſie die Frage, was
iſt die Schoͤnheit, aufwerfen, haben dabei faſt
nur die Proportionen des Geſichts und der menſch¬
lichen Geſtalt vor Augen, und wenn ſie dieſe be¬
ſondere Schoͤnheit in eine Definition gezwaͤngt ha¬
ben, ſo glauben ſie die Weihe der Aeſthetik damit
ertheilt zu haben, noch dazu ſchlug der Gott der
Schoͤnheit die Meiſten mit Blindheit.

Uebereinſtimmung der Theile erklaͤren Viele
als das Myſterium der Schoͤnheit; wobei noch
dazu die klaͤglichſte Verirrung zur Einſeitigkeit
hinzutritt; denn die Theile eines Kamſchadalen
ſtimmen eben ſo gut uͤberein, wie die Theile
eines Antinous und uͤberhaupt iſt Proportion
nichts weiter, als Maaß. Man kann alle Ver¬
haͤltniſſe beobachten, jede Figur in ſo und ſo
viel Kopflaͤngen eintheilen, ohne doch eine ſchoͤne
Geſtalt zu Stande zu bringen. Die Schoͤnheit
liegt auch da wieder in etwas, was in der Defi¬
nition nicht liegt. Andere ſprachen von der An¬
gemeſſenheit jedes einzelnen Theils zum Zweck des
Ganzen. Aber Polyphems großes Stirnauge iſt
eben ſo gut zum Sehen geſchickt, als Apolls, und
ſo zweckmaͤßig auch und harmoniſch mit dem gan¬

10 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0161" n="147"/>
Ku&#x0364;n&#x017F;te aber mit&#x017F;ammt den Scho&#x0364;nheiten der Na¬<lb/>
tur, &#x017F;cho&#x0364;nen Weibern, &#x017F;cho&#x0364;nen Blumen den gan¬<lb/>
zen Inbegriff des Scho&#x0364;nen ausfu&#x0364;llen.</p><lb/>
        <p>Un&#x017F;ere Ae&#x017F;thetiker, wenn &#x017F;ie die Frage, was<lb/>
i&#x017F;t die Scho&#x0364;nheit, aufwerfen, haben dabei fa&#x017F;t<lb/>
nur die Proportionen des Ge&#x017F;ichts und der men&#x017F;ch¬<lb/>
lichen Ge&#x017F;talt vor Augen, und wenn &#x017F;ie die&#x017F;e be¬<lb/>
&#x017F;ondere Scho&#x0364;nheit in eine Definition gezwa&#x0364;ngt ha¬<lb/>
ben, &#x017F;o glauben &#x017F;ie die Weihe der Ae&#x017F;thetik damit<lb/>
ertheilt zu haben, noch dazu &#x017F;chlug der Gott der<lb/>
Scho&#x0364;nheit die Mei&#x017F;ten mit Blindheit.</p><lb/>
        <p>Ueberein&#x017F;timmung der Theile erkla&#x0364;ren Viele<lb/>
als das My&#x017F;terium der Scho&#x0364;nheit; wobei noch<lb/>
dazu die kla&#x0364;glich&#x017F;te Verirrung zur Ein&#x017F;eitigkeit<lb/>
hinzutritt; denn die Theile eines Kam&#x017F;chadalen<lb/>
&#x017F;timmen eben &#x017F;o gut u&#x0364;berein, wie die Theile<lb/>
eines Antinous und u&#x0364;berhaupt i&#x017F;t Proportion<lb/>
nichts weiter, als Maaß. Man kann alle Ver¬<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e beobachten, jede Figur in &#x017F;o und &#x017F;o<lb/>
viel Kopfla&#x0364;ngen eintheilen, ohne doch eine &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Ge&#x017F;talt zu Stande zu bringen. Die Scho&#x0364;nheit<lb/>
liegt auch da wieder in etwas, was in der Defi¬<lb/>
nition nicht liegt. <hi rendition="#g">Andere</hi> &#x017F;prachen von der An¬<lb/>
geme&#x017F;&#x017F;enheit jedes einzelnen Theils zum Zweck des<lb/>
Ganzen. Aber Polyphems großes Stirnauge i&#x017F;t<lb/>
eben &#x017F;o gut zum Sehen ge&#x017F;chickt, als Apolls, und<lb/>
&#x017F;o zweckma&#x0364;ßig auch und harmoni&#x017F;ch mit dem gan¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0161] Kuͤnſte aber mitſammt den Schoͤnheiten der Na¬ tur, ſchoͤnen Weibern, ſchoͤnen Blumen den gan¬ zen Inbegriff des Schoͤnen ausfuͤllen. Unſere Aeſthetiker, wenn ſie die Frage, was iſt die Schoͤnheit, aufwerfen, haben dabei faſt nur die Proportionen des Geſichts und der menſch¬ lichen Geſtalt vor Augen, und wenn ſie dieſe be¬ ſondere Schoͤnheit in eine Definition gezwaͤngt ha¬ ben, ſo glauben ſie die Weihe der Aeſthetik damit ertheilt zu haben, noch dazu ſchlug der Gott der Schoͤnheit die Meiſten mit Blindheit. Uebereinſtimmung der Theile erklaͤren Viele als das Myſterium der Schoͤnheit; wobei noch dazu die klaͤglichſte Verirrung zur Einſeitigkeit hinzutritt; denn die Theile eines Kamſchadalen ſtimmen eben ſo gut uͤberein, wie die Theile eines Antinous und uͤberhaupt iſt Proportion nichts weiter, als Maaß. Man kann alle Ver¬ haͤltniſſe beobachten, jede Figur in ſo und ſo viel Kopflaͤngen eintheilen, ohne doch eine ſchoͤne Geſtalt zu Stande zu bringen. Die Schoͤnheit liegt auch da wieder in etwas, was in der Defi¬ nition nicht liegt. Andere ſprachen von der An¬ gemeſſenheit jedes einzelnen Theils zum Zweck des Ganzen. Aber Polyphems großes Stirnauge iſt eben ſo gut zum Sehen geſchickt, als Apolls, und ſo zweckmaͤßig auch und harmoniſch mit dem gan¬ 10 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/161
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/161>, abgerufen am 20.04.2024.