Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ßer That bewegt, leider keine Macht über uns
ausübt, und daß nur das Luftigere der Kunst un¬
sere Gemüther bewegt, und zur passiven Mitem¬
pfindung anreizt.

Ueber das Schöne in Kunst und Dichtung
findet daher eine leidliche Verständigung in der
Regel Statt, auch theilen wir beim Anblick schö¬
ner Gemälde und Gedichte miteinander so ziem¬
lich denselben Eindruck; allein im Gebiet des
Thatsächlichen zerfallen die Meinungen und Ge¬
fühle und hier, wo das Schöne unmittelbar aus
der Quelle sprudelt, wo es vom göttlichen Athem
noch gleichsam warm angehaucht ist, hier läßt es
so Viele kalt; hier wird es von so Vielen ver¬
schmäht. Plato wollte keine Dichter in seine Re¬
publik aufnehmen, sondern nur handelnde Männer,
unsere Gesetzgeber wollen keine Männer, nur Dich¬
ter im Staat, keine Thaten, nur die Schatten
derselben, keine andern Schönheiten, als gereimte
und gemalte.

Eben daher ist uns denn auch der Begriff
der Schönheit so zusammengeschrumpft, daß der
Name: ein schöner Geist, eben nur einen Belle¬
tristen von Fach andeutet, der Ausdruck einer
schönen That uns an ein gegebenes Almosen
und an Alles eher, als an eine heroische Hand¬
lung erinnert; die schönen Wissenschaften und

ßer That bewegt, leider keine Macht uͤber uns
ausuͤbt, und daß nur das Luftigere der Kunſt un¬
ſere Gemuͤther bewegt, und zur paſſiven Mitem¬
pfindung anreizt.

Ueber das Schoͤne in Kunſt und Dichtung
findet daher eine leidliche Verſtaͤndigung in der
Regel Statt, auch theilen wir beim Anblick ſchoͤ¬
ner Gemaͤlde und Gedichte miteinander ſo ziem¬
lich denſelben Eindruck; allein im Gebiet des
Thatſaͤchlichen zerfallen die Meinungen und Ge¬
fuͤhle und hier, wo das Schoͤne unmittelbar aus
der Quelle ſprudelt, wo es vom goͤttlichen Athem
noch gleichſam warm angehaucht iſt, hier laͤßt es
ſo Viele kalt; hier wird es von ſo Vielen ver¬
ſchmaͤht. Plato wollte keine Dichter in ſeine Re¬
publik aufnehmen, ſondern nur handelnde Maͤnner,
unſere Geſetzgeber wollen keine Maͤnner, nur Dich¬
ter im Staat, keine Thaten, nur die Schatten
derſelben, keine andern Schoͤnheiten, als gereimte
und gemalte.

Eben daher iſt uns denn auch der Begriff
der Schoͤnheit ſo zuſammengeſchrumpft, daß der
Name: ein ſchoͤner Geiſt, eben nur einen Belle¬
triſten von Fach andeutet, der Ausdruck einer
ſchoͤnen That uns an ein gegebenes Almoſen
und an Alles eher, als an eine heroiſche Hand¬
lung erinnert; die ſchoͤnen Wiſſenſchaften und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0160" n="146"/>
ßer That bewegt, leider keine Macht u&#x0364;ber uns<lb/>
ausu&#x0364;bt, und daß nur das Luftigere der Kun&#x017F;t un¬<lb/>
&#x017F;ere Gemu&#x0364;ther bewegt, und zur pa&#x017F;&#x017F;iven Mitem¬<lb/>
pfindung anreizt.</p><lb/>
        <p>Ueber das Scho&#x0364;ne in Kun&#x017F;t und Dichtung<lb/>
findet daher eine leidliche Ver&#x017F;ta&#x0364;ndigung in der<lb/>
Regel Statt, auch theilen wir beim Anblick &#x017F;cho&#x0364;¬<lb/>
ner Gema&#x0364;lde und Gedichte miteinander &#x017F;o ziem¬<lb/>
lich den&#x017F;elben Eindruck; allein im Gebiet des<lb/>
That&#x017F;a&#x0364;chlichen zerfallen die Meinungen und Ge¬<lb/>
fu&#x0364;hle und hier, wo das Scho&#x0364;ne unmittelbar aus<lb/>
der Quelle &#x017F;prudelt, wo es vom go&#x0364;ttlichen Athem<lb/>
noch gleich&#x017F;am warm angehaucht i&#x017F;t, hier la&#x0364;ßt es<lb/>
&#x017F;o Viele kalt; hier wird es von &#x017F;o Vielen ver¬<lb/>
&#x017F;chma&#x0364;ht. Plato wollte keine Dichter in &#x017F;eine Re¬<lb/>
publik aufnehmen, &#x017F;ondern nur handelnde Ma&#x0364;nner,<lb/>
un&#x017F;ere Ge&#x017F;etzgeber wollen keine Ma&#x0364;nner, nur Dich¬<lb/>
ter im Staat, keine Thaten, nur die Schatten<lb/>
der&#x017F;elben, keine andern Scho&#x0364;nheiten, als gereimte<lb/>
und gemalte.</p><lb/>
        <p>Eben daher i&#x017F;t uns denn auch der Begriff<lb/>
der Scho&#x0364;nheit &#x017F;o zu&#x017F;ammenge&#x017F;chrumpft, daß der<lb/>
Name: ein <hi rendition="#g">&#x017F;cho&#x0364;ner Gei&#x017F;t</hi>, eben nur einen Belle¬<lb/>
tri&#x017F;ten von Fach andeutet, der Ausdruck einer<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;cho&#x0364;nen</hi> That uns an ein gegebenes Almo&#x017F;en<lb/>
und an Alles eher, als an eine heroi&#x017F;che Hand¬<lb/>
lung erinnert; die &#x017F;cho&#x0364;nen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0160] ßer That bewegt, leider keine Macht uͤber uns ausuͤbt, und daß nur das Luftigere der Kunſt un¬ ſere Gemuͤther bewegt, und zur paſſiven Mitem¬ pfindung anreizt. Ueber das Schoͤne in Kunſt und Dichtung findet daher eine leidliche Verſtaͤndigung in der Regel Statt, auch theilen wir beim Anblick ſchoͤ¬ ner Gemaͤlde und Gedichte miteinander ſo ziem¬ lich denſelben Eindruck; allein im Gebiet des Thatſaͤchlichen zerfallen die Meinungen und Ge¬ fuͤhle und hier, wo das Schoͤne unmittelbar aus der Quelle ſprudelt, wo es vom goͤttlichen Athem noch gleichſam warm angehaucht iſt, hier laͤßt es ſo Viele kalt; hier wird es von ſo Vielen ver¬ ſchmaͤht. Plato wollte keine Dichter in ſeine Re¬ publik aufnehmen, ſondern nur handelnde Maͤnner, unſere Geſetzgeber wollen keine Maͤnner, nur Dich¬ ter im Staat, keine Thaten, nur die Schatten derſelben, keine andern Schoͤnheiten, als gereimte und gemalte. Eben daher iſt uns denn auch der Begriff der Schoͤnheit ſo zuſammengeſchrumpft, daß der Name: ein ſchoͤner Geiſt, eben nur einen Belle¬ triſten von Fach andeutet, der Ausdruck einer ſchoͤnen That uns an ein gegebenes Almoſen und an Alles eher, als an eine heroiſche Hand¬ lung erinnert; die ſchoͤnen Wiſſenſchaften und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/160
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/160>, abgerufen am 29.03.2024.