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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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den Palast zu Warschau stürmten und nach der
Flucht und dem Tode von wenig feilen Kreaturen
einer Morgenröthe zujauchzten, welche die gespreng¬
ten Ketten einer großen und edelmüthigen Nation
beleuchtete, dieses Ereigniß und alle die glänzen¬
den Thaten und Opfer, die es nach sich zog --
fand es so allgemeinen Anklang, riß es so allge¬
mein und wahrhaft die Gemüther hin, oder hörte
man nicht, wo Zwölf zusammenstanden, den Ei¬
nen verabscheuen, den Andern bewundern und Ze¬
hen mit den Händen klatschen, als wohnten sie
nur im Theater der Welt der Aufführung eines
schönen Stückes bei.

Ich führe eben dieses tragische, uns so nahe
liegende Beispiel an, um zu zeigen, was es für
eine Bewandtniß habe mit unsern ästhetischen Ge¬
fühlen, wenn auch die glühendste Thatenschönheit
sich vor unsern Blicken aufthut. Hier sehen Sie
eine That, von deren Schönheit man durchdrun¬
gen sein muß, wenn man einen Tropfen Römer¬
blut, einen Hauch aus Timoleons Seele in sich
spürt, wenn nicht Alles Lüge und Schulgeschwätz
ist, was wir der alten Geschichte nachrühmen,
der kontrastirendsten Beurtheilung anheim fallen,
nach den Extremen der Bewunderung und des Ab¬
scheus hingetrieben und bei der Menge entweder
dumpfes Staunen, stupides Ergötzen, oder eine

den Palaſt zu Warſchau ſtuͤrmten und nach der
Flucht und dem Tode von wenig feilen Kreaturen
einer Morgenroͤthe zujauchzten, welche die geſpreng¬
ten Ketten einer großen und edelmuͤthigen Nation
beleuchtete, dieſes Ereigniß und alle die glaͤnzen¬
den Thaten und Opfer, die es nach ſich zog —
fand es ſo allgemeinen Anklang, riß es ſo allge¬
mein und wahrhaft die Gemuͤther hin, oder hoͤrte
man nicht, wo Zwoͤlf zuſammenſtanden, den Ei¬
nen verabſcheuen, den Andern bewundern und Ze¬
hen mit den Haͤnden klatſchen, als wohnten ſie
nur im Theater der Welt der Auffuͤhrung eines
ſchoͤnen Stuͤckes bei.

Ich fuͤhre eben dieſes tragiſche, uns ſo nahe
liegende Beiſpiel an, um zu zeigen, was es fuͤr
eine Bewandtniß habe mit unſern aͤſthetiſchen Ge¬
fuͤhlen, wenn auch die gluͤhendſte Thatenſchoͤnheit
ſich vor unſern Blicken aufthut. Hier ſehen Sie
eine That, von deren Schoͤnheit man durchdrun¬
gen ſein muß, wenn man einen Tropfen Roͤmer¬
blut, einen Hauch aus Timoleons Seele in ſich
ſpuͤrt, wenn nicht Alles Luͤge und Schulgeſchwaͤtz
iſt, was wir der alten Geſchichte nachruͤhmen,
der kontraſtirendſten Beurtheilung anheim fallen,
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ſcheus hingetrieben und bei der Menge entweder
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[142/0156] den Palaſt zu Warſchau ſtuͤrmten und nach der Flucht und dem Tode von wenig feilen Kreaturen einer Morgenroͤthe zujauchzten, welche die geſpreng¬ ten Ketten einer großen und edelmuͤthigen Nation beleuchtete, dieſes Ereigniß und alle die glaͤnzen¬ den Thaten und Opfer, die es nach ſich zog — fand es ſo allgemeinen Anklang, riß es ſo allge¬ mein und wahrhaft die Gemuͤther hin, oder hoͤrte man nicht, wo Zwoͤlf zuſammenſtanden, den Ei¬ nen verabſcheuen, den Andern bewundern und Ze¬ hen mit den Haͤnden klatſchen, als wohnten ſie nur im Theater der Welt der Auffuͤhrung eines ſchoͤnen Stuͤckes bei. Ich fuͤhre eben dieſes tragiſche, uns ſo nahe liegende Beiſpiel an, um zu zeigen, was es fuͤr eine Bewandtniß habe mit unſern aͤſthetiſchen Ge¬ fuͤhlen, wenn auch die gluͤhendſte Thatenſchoͤnheit ſich vor unſern Blicken aufthut. Hier ſehen Sie eine That, von deren Schoͤnheit man durchdrun¬ gen ſein muß, wenn man einen Tropfen Roͤmer¬ blut, einen Hauch aus Timoleons Seele in ſich ſpuͤrt, wenn nicht Alles Luͤge und Schulgeſchwaͤtz iſt, was wir der alten Geſchichte nachruͤhmen, der kontraſtirendſten Beurtheilung anheim fallen, nach den Extremen der Bewunderung und des Ab¬ ſcheus hingetrieben und bei der Menge entweder dumpfes Staunen, ſtupides Ergoͤtzen, oder eine

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/156>, abgerufen am 29.03.2024.