Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

hört, weil Prosa unsere gewöhnliche Sprache und
gleichsam unser tägliches Brod ist, weil unsere
Landstände in Prosa sprechen, weil wir unsere Per¬
son und Rechte nachdrücklicher in Prosa vertheidigen
können, als in Versen.

Doch ist dem Aesthetiker mit alledem nicht
viel geholfen; die Stagnation des Lebens ist noch
zu allgemein und vorherrschend und das grüne,
trübschmutzige Wasser ist kaum trinkbar für einen
Mülleresel, geschweige für das geflügelte Roß, das
seinen Durst in der klaren Fluth der Hippokrene
stillen will.

Also, es gibt keine Aesthetik im angegebenen
Sinn, es kann keine echte Aesthetik geben, wer
sie schriebe, müßte vorher (neue Religion, eine
neue Moral) eine neue Kunst, ein neues Leben
herbeischaffen. Weder in München, noch in Ber¬
lin wird sie ein Professor lesen, alle Gemälde,
Bildsäulen und geschnittene Steine der Könige
von Preußen und Baiern reichen nicht aus, um
einen Paragraphen der Aesthetik zu füllen, die der
neuen Geschichte, ich meine, der Zukunft ange¬
hört. Ist doch selbst jene sogenannte neue Kunst-
und Malerschule an beiden genannten Orten, nur
die Schule einer Schule, nur ein Anfang zur
Wiederholung von Kunstideen und Kunstformen,
die, wie Alles, ihre Zeit gehabt haben.

hoͤrt, weil Proſa unſere gewoͤhnliche Sprache und
gleichſam unſer taͤgliches Brod iſt, weil unſere
Landſtaͤnde in Proſa ſprechen, weil wir unſere Per¬
ſon und Rechte nachdruͤcklicher in Proſa vertheidigen
koͤnnen, als in Verſen.

Doch iſt dem Aeſthetiker mit alledem nicht
viel geholfen; die Stagnation des Lebens iſt noch
zu allgemein und vorherrſchend und das gruͤne,
truͤbſchmutzige Waſſer iſt kaum trinkbar fuͤr einen
Muͤllereſel, geſchweige fuͤr das gefluͤgelte Roß, das
ſeinen Durſt in der klaren Fluth der Hippokrene
ſtillen will.

Alſo, es gibt keine Aeſthetik im angegebenen
Sinn, es kann keine echte Aeſthetik geben, wer
ſie ſchriebe, muͤßte vorher (neue Religion, eine
neue Moral) eine neue Kunſt, ein neues Leben
herbeiſchaffen. Weder in Muͤnchen, noch in Ber¬
lin wird ſie ein Profeſſor leſen, alle Gemaͤlde,
Bildſaͤulen und geſchnittene Steine der Koͤnige
von Preußen und Baiern reichen nicht aus, um
einen Paragraphen der Aeſthetik zu fuͤllen, die der
neuen Geſchichte, ich meine, der Zukunft ange¬
hoͤrt. Iſt doch ſelbſt jene ſogenannte neue Kunſt-
und Malerſchule an beiden genannten Orten, nur
die Schule einer Schule, nur ein Anfang zur
Wiederholung von Kunſtideen und Kunſtformen,
die, wie Alles, ihre Zeit gehabt haben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0149" n="135"/>
ho&#x0364;rt, weil Pro&#x017F;a un&#x017F;ere gewo&#x0364;hnliche Sprache und<lb/>
gleich&#x017F;am un&#x017F;er ta&#x0364;gliches Brod i&#x017F;t, weil un&#x017F;ere<lb/>
Land&#x017F;ta&#x0364;nde in Pro&#x017F;a &#x017F;prechen, weil wir un&#x017F;ere Per¬<lb/>
&#x017F;on und Rechte nachdru&#x0364;cklicher in Pro&#x017F;a vertheidigen<lb/>
ko&#x0364;nnen, als in Ver&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Doch i&#x017F;t dem Ae&#x017F;thetiker mit alledem nicht<lb/>
viel geholfen; die Stagnation des Lebens i&#x017F;t noch<lb/>
zu allgemein und vorherr&#x017F;chend und das gru&#x0364;ne,<lb/>
tru&#x0364;b&#x017F;chmutzige Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t kaum trinkbar fu&#x0364;r einen<lb/>
Mu&#x0364;llere&#x017F;el, ge&#x017F;chweige fu&#x0364;r das geflu&#x0364;gelte Roß, das<lb/>
&#x017F;einen Dur&#x017F;t in der klaren Fluth der Hippokrene<lb/>
&#x017F;tillen will.</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o, es gibt keine Ae&#x017F;thetik im angegebenen<lb/>
Sinn, es kann keine echte Ae&#x017F;thetik geben, wer<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chriebe, mu&#x0364;ßte vorher (neue Religion, eine<lb/>
neue Moral) eine neue Kun&#x017F;t, ein neues Leben<lb/>
herbei&#x017F;chaffen. Weder in Mu&#x0364;nchen, noch in Ber¬<lb/>
lin wird &#x017F;ie ein Profe&#x017F;&#x017F;or le&#x017F;en, alle Gema&#x0364;lde,<lb/>
Bild&#x017F;a&#x0364;ulen und ge&#x017F;chnittene Steine der Ko&#x0364;nige<lb/>
von Preußen und Baiern reichen nicht aus, um<lb/>
einen Paragraphen der Ae&#x017F;thetik zu fu&#x0364;llen, die der<lb/>
neuen Ge&#x017F;chichte, ich meine, der Zukunft ange¬<lb/>
ho&#x0364;rt. I&#x017F;t doch &#x017F;elb&#x017F;t jene &#x017F;ogenannte neue Kun&#x017F;t-<lb/>
und Maler&#x017F;chule an beiden genannten Orten, nur<lb/>
die Schule einer Schule, nur ein Anfang zur<lb/>
Wiederholung von Kun&#x017F;tideen und Kun&#x017F;tformen,<lb/>
die, wie Alles, ihre Zeit gehabt haben.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0149] hoͤrt, weil Proſa unſere gewoͤhnliche Sprache und gleichſam unſer taͤgliches Brod iſt, weil unſere Landſtaͤnde in Proſa ſprechen, weil wir unſere Per¬ ſon und Rechte nachdruͤcklicher in Proſa vertheidigen koͤnnen, als in Verſen. Doch iſt dem Aeſthetiker mit alledem nicht viel geholfen; die Stagnation des Lebens iſt noch zu allgemein und vorherrſchend und das gruͤne, truͤbſchmutzige Waſſer iſt kaum trinkbar fuͤr einen Muͤllereſel, geſchweige fuͤr das gefluͤgelte Roß, das ſeinen Durſt in der klaren Fluth der Hippokrene ſtillen will. Alſo, es gibt keine Aeſthetik im angegebenen Sinn, es kann keine echte Aeſthetik geben, wer ſie ſchriebe, muͤßte vorher (neue Religion, eine neue Moral) eine neue Kunſt, ein neues Leben herbeiſchaffen. Weder in Muͤnchen, noch in Ber¬ lin wird ſie ein Profeſſor leſen, alle Gemaͤlde, Bildſaͤulen und geſchnittene Steine der Koͤnige von Preußen und Baiern reichen nicht aus, um einen Paragraphen der Aeſthetik zu fuͤllen, die der neuen Geſchichte, ich meine, der Zukunft ange¬ hoͤrt. Iſt doch ſelbſt jene ſogenannte neue Kunſt- und Malerſchule an beiden genannten Orten, nur die Schule einer Schule, nur ein Anfang zur Wiederholung von Kunſtideen und Kunſtformen, die, wie Alles, ihre Zeit gehabt haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/149
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/149>, abgerufen am 18.04.2024.