Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Elementen und man möchte die größten Dichter
derselben poetische Kamäleons nennen, die bald
im reichen orientalischen Talar, bald im spani¬
schen Mantel, bald als eiserne Ritter in Helm
und Panzer, bald als Moderne im Pariser Frack
auftraten und die Poesie fremder Völker und Zei¬
ten auf die täuschendste Weise nachzuahmen ver¬
standen; dadurch ward die Poesie allerdings im¬
mer poetischer und die Zahl der Poeten in einem
Poeten nahm mit den Jahren immer zu; allein
auf der andern Seite ward das Leben immer pro¬
saischer, immer fader, immer mehr platt wirklich.
Die nationale Quelle der Poesie war ver¬
trocknet und hätten die Poeten auch das poetische
Weltmeer ausgeschöpft und den Strom aller himm¬
lischen und irdischen Poesien über die schmachtende
Gegenwart ergossen, sie wäre darob um nichts
poetischer und blühender geworden, als sie war.
Eben dieser Zeitraum, den wirklich geniale und
große Dichter, wie Schiller und Goethe verherr¬
lichten, liefert uns den schlagendsten Beweis, daß
die Poesie und alles Schönste immer und ewig ein
Fremdling bleibt, wenn es aus der Fremde kommt
und nicht geboren und aufgewachsen mit den Kin¬
dern der Heimath. Und die Poesie unserer Dich¬
ter war das Mädchen aus der Fremde, wovon
Schiller singt, die erscheint, man weiß nicht wo¬

Elementen und man moͤchte die groͤßten Dichter
derſelben poetiſche Kamaͤleons nennen, die bald
im reichen orientaliſchen Talar, bald im ſpani¬
ſchen Mantel, bald als eiſerne Ritter in Helm
und Panzer, bald als Moderne im Pariſer Frack
auftraten und die Poeſie fremder Voͤlker und Zei¬
ten auf die taͤuſchendſte Weiſe nachzuahmen ver¬
ſtanden; dadurch ward die Poeſie allerdings im¬
mer poetiſcher und die Zahl der Poeten in einem
Poeten nahm mit den Jahren immer zu; allein
auf der andern Seite ward das Leben immer pro¬
ſaiſcher, immer fader, immer mehr platt wirklich.
Die nationale Quelle der Poeſie war ver¬
trocknet und haͤtten die Poeten auch das poetiſche
Weltmeer ausgeſchoͤpft und den Strom aller himm¬
liſchen und irdiſchen Poeſien uͤber die ſchmachtende
Gegenwart ergoſſen, ſie waͤre darob um nichts
poetiſcher und bluͤhender geworden, als ſie war.
Eben dieſer Zeitraum, den wirklich geniale und
große Dichter, wie Schiller und Goethe verherr¬
lichten, liefert uns den ſchlagendſten Beweis, daß
die Poeſie und alles Schoͤnſte immer und ewig ein
Fremdling bleibt, wenn es aus der Fremde kommt
und nicht geboren und aufgewachſen mit den Kin¬
dern der Heimath. Und die Poeſie unſerer Dich¬
ter war das Maͤdchen aus der Fremde, wovon
Schiller ſingt, die erſcheint, man weiß nicht wo¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0147" n="133"/>
Elementen und man mo&#x0364;chte die gro&#x0364;ßten Dichter<lb/>
der&#x017F;elben poeti&#x017F;che Kama&#x0364;leons nennen, die bald<lb/>
im reichen orientali&#x017F;chen Talar, bald im &#x017F;pani¬<lb/>
&#x017F;chen Mantel, bald als ei&#x017F;erne Ritter in Helm<lb/>
und Panzer, bald als Moderne im Pari&#x017F;er Frack<lb/>
auftraten und die Poe&#x017F;ie fremder Vo&#x0364;lker und Zei¬<lb/>
ten auf die ta&#x0364;u&#x017F;chend&#x017F;te Wei&#x017F;e nachzuahmen ver¬<lb/>
&#x017F;tanden; dadurch ward die Poe&#x017F;ie allerdings im¬<lb/>
mer poeti&#x017F;cher und die Zahl der Poeten in <hi rendition="#g">einem</hi><lb/>
Poeten nahm mit den Jahren immer zu; allein<lb/>
auf der andern Seite ward das Leben immer pro¬<lb/>
&#x017F;ai&#x017F;cher, immer fader, immer mehr platt wirklich.<lb/>
Die nationale <hi rendition="#g">Quelle der Poe&#x017F;ie</hi> war ver¬<lb/>
trocknet und ha&#x0364;tten die Poeten auch das poeti&#x017F;che<lb/>
Weltmeer ausge&#x017F;cho&#x0364;pft und den Strom aller himm¬<lb/>
li&#x017F;chen und irdi&#x017F;chen Poe&#x017F;ien u&#x0364;ber die &#x017F;chmachtende<lb/>
Gegenwart ergo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie wa&#x0364;re darob um nichts<lb/>
poeti&#x017F;cher und blu&#x0364;hender geworden, als &#x017F;ie war.<lb/>
Eben die&#x017F;er Zeitraum, den wirklich geniale und<lb/>
große Dichter, wie Schiller und Goethe verherr¬<lb/>
lichten, liefert uns den &#x017F;chlagend&#x017F;ten Beweis, daß<lb/>
die Poe&#x017F;ie und alles Scho&#x0364;n&#x017F;te immer und ewig ein<lb/>
Fremdling bleibt, wenn es aus der Fremde kommt<lb/>
und nicht geboren und aufgewach&#x017F;en mit den Kin¬<lb/>
dern der Heimath. Und die Poe&#x017F;ie un&#x017F;erer Dich¬<lb/>
ter war das Ma&#x0364;dchen aus der Fremde, wovon<lb/>
Schiller &#x017F;ingt, die er&#x017F;cheint, man weiß nicht wo¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0147] Elementen und man moͤchte die groͤßten Dichter derſelben poetiſche Kamaͤleons nennen, die bald im reichen orientaliſchen Talar, bald im ſpani¬ ſchen Mantel, bald als eiſerne Ritter in Helm und Panzer, bald als Moderne im Pariſer Frack auftraten und die Poeſie fremder Voͤlker und Zei¬ ten auf die taͤuſchendſte Weiſe nachzuahmen ver¬ ſtanden; dadurch ward die Poeſie allerdings im¬ mer poetiſcher und die Zahl der Poeten in einem Poeten nahm mit den Jahren immer zu; allein auf der andern Seite ward das Leben immer pro¬ ſaiſcher, immer fader, immer mehr platt wirklich. Die nationale Quelle der Poeſie war ver¬ trocknet und haͤtten die Poeten auch das poetiſche Weltmeer ausgeſchoͤpft und den Strom aller himm¬ liſchen und irdiſchen Poeſien uͤber die ſchmachtende Gegenwart ergoſſen, ſie waͤre darob um nichts poetiſcher und bluͤhender geworden, als ſie war. Eben dieſer Zeitraum, den wirklich geniale und große Dichter, wie Schiller und Goethe verherr¬ lichten, liefert uns den ſchlagendſten Beweis, daß die Poeſie und alles Schoͤnſte immer und ewig ein Fremdling bleibt, wenn es aus der Fremde kommt und nicht geboren und aufgewachſen mit den Kin¬ dern der Heimath. Und die Poeſie unſerer Dich¬ ter war das Maͤdchen aus der Fremde, wovon Schiller ſingt, die erſcheint, man weiß nicht wo¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/147
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/147>, abgerufen am 24.04.2024.