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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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greisen alma mater, die als Ahnfrau unserer
Universitäten ihr faltenreiches, mottenzerfressenes
Gewand auf dem Boden der Aula einherschleift,
und ihre alten Liebhaber-Pedanten durch junge
und frische zu rekrutiren sucht. Zittert vor ihrer
dürren Umarmung, vor dem Kuß ihrer gespen¬
stischen grauen Lippen, denn sie saugt euch das
Blut langsam aus den Adern und schrumpft die
Hochgefühle eurer Brust zu jenem Minimum
zusammen, das etwa einem alten ausgedörrten
Wilhelm Traugott Krug oder Christian Daniel
Beck kaum verschlägt, um damit den letzten
Athemzug für den Himmel zu bestreiten. Denkt
daran, daß alle große Deutsche der neuern Zeit
nur zu ihrem Unglück deutsche Universitätslehrer
geworden sind, daß ein Fichte, Schelling, Nie¬
buhr, Schleiermacher, geborene Tribunen des
Volks, für das Volk und ihren eigenen höheren
Ruhm verloren gegangen sind. Fichte's Reden an
die deutsche Nation verhallten nicht blos deswe¬
gen in den Wind, weil die Nation taub war,
sondern weil zwischen ihr und ihm eine Scheide¬
wand aufgerichtet war, die selbst Fichte's eherne
Stimme nicht zu durchdringen vermochte.

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greiſen alma mater, die als Ahnfrau unſerer
Univerſitaͤten ihr faltenreiches, mottenzerfreſſenes
Gewand auf dem Boden der Aula einherſchleift,
und ihre alten Liebhaber-Pedanten durch junge
und friſche zu rekrutiren ſucht. Zittert vor ihrer
duͤrren Umarmung, vor dem Kuß ihrer geſpen¬
ſtiſchen grauen Lippen, denn ſie ſaugt euch das
Blut langſam aus den Adern und ſchrumpft die
Hochgefuͤhle eurer Bruſt zu jenem Minimum
zuſammen, das etwa einem alten ausgedoͤrrten
Wilhelm Traugott Krug oder Chriſtian Daniel
Beck kaum verſchlaͤgt, um damit den letzten
Athemzug fuͤr den Himmel zu beſtreiten. Denkt
daran, daß alle große Deutſche der neuern Zeit
nur zu ihrem Ungluͤck deutſche Univerſitaͤtslehrer
geworden ſind, daß ein Fichte, Schelling, Nie¬
buhr, Schleiermacher, geborene Tribunen des
Volks, fuͤr das Volk und ihren eigenen hoͤheren
Ruhm verloren gegangen ſind. Fichte's Reden an
die deutſche Nation verhallten nicht blos deswe¬
gen in den Wind, weil die Nation taub war,
ſondern weil zwiſchen ihr und ihm eine Scheide¬
wand aufgerichtet war, die ſelbſt Fichte's eherne
Stimme nicht zu durchdringen vermochte.

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[IX/0013] greiſen alma mater, die als Ahnfrau unſerer Univerſitaͤten ihr faltenreiches, mottenzerfreſſenes Gewand auf dem Boden der Aula einherſchleift, und ihre alten Liebhaber-Pedanten durch junge und friſche zu rekrutiren ſucht. Zittert vor ihrer duͤrren Umarmung, vor dem Kuß ihrer geſpen¬ ſtiſchen grauen Lippen, denn ſie ſaugt euch das Blut langſam aus den Adern und ſchrumpft die Hochgefuͤhle eurer Bruſt zu jenem Minimum zuſammen, das etwa einem alten ausgedoͤrrten Wilhelm Traugott Krug oder Chriſtian Daniel Beck kaum verſchlaͤgt, um damit den letzten Athemzug fuͤr den Himmel zu beſtreiten. Denkt daran, daß alle große Deutſche der neuern Zeit nur zu ihrem Ungluͤck deutſche Univerſitaͤtslehrer geworden ſind, daß ein Fichte, Schelling, Nie¬ buhr, Schleiermacher, geborene Tribunen des Volks, fuͤr das Volk und ihren eigenen hoͤheren Ruhm verloren gegangen ſind. Fichte's Reden an die deutſche Nation verhallten nicht blos deswe¬ gen in den Wind, weil die Nation taub war, ſondern weil zwiſchen ihr und ihm eine Scheide¬ wand aufgerichtet war, die ſelbſt Fichte's eherne Stimme nicht zu durchdringen vermochte. **

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/13>, abgerufen am 29.03.2024.