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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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grade das Eigenthümlichste unserer Gesinnungs-
und Denkweise unmittelbar hervorbricht.

Folgen Sie mir, meine Herren, in das Ge¬
biet der Geschichte. Es müßte Schuld meiner
Darstellung sein, oder es wird aus den wenigen
großen welthistorischen Zügen, welche ich anzufüh¬
ren gedenke, in Ihrer Seele der Begriff der Aest¬
hetik in höchster Potenz sich als der Begriff des¬
sen lebendig machen und erweitern, was man in
neuerer Zeit so passend Weltanschauung genannt
hat, eine Bezeichnung, die ebenfalls nur der deut¬
schen Sprache, oder vielmehr dem deutschen Ge¬
danken eigenthümlich ist.

Erkennen und Handeln sind die beiden Pole
unseres Geistes. Das ästhetische Element tritt
zwischen beide in die Mitte, es ist ein Denken
und zugleich ein Fühlen, das in jedem Moment
beim Künstler ins Handeln umschlägt. Alle ästhe¬
tischen Urtheile sind von diesem Gefühl begleitet,
sie sind nichts ohne dasselbe, das
bald anziehend bald abstoßend, bald beifällig, bald
mißfällig das Gemüth in elektrischen Strömungen
lebendig erhält. Was uns nur als schön oder
häßlich, als gut oder böse anmuthet oder wider¬
steht, ist ästhetischer Natur, hat seine Wurzel im
sinnlich-geistigen Urgrund unseres Wesens, und er¬
kennt in dieser Unmittelbarkeit keinen höheren Rich¬

grade das Eigenthuͤmlichſte unſerer Geſinnungs-
und Denkweiſe unmittelbar hervorbricht.

Folgen Sie mir, meine Herren, in das Ge¬
biet der Geſchichte. Es muͤßte Schuld meiner
Darſtellung ſein, oder es wird aus den wenigen
großen welthiſtoriſchen Zuͤgen, welche ich anzufuͤh¬
ren gedenke, in Ihrer Seele der Begriff der Aeſt¬
hetik in hoͤchſter Potenz ſich als der Begriff deſ¬
ſen lebendig machen und erweitern, was man in
neuerer Zeit ſo paſſend Weltanſchauung genannt
hat, eine Bezeichnung, die ebenfalls nur der deut¬
ſchen Sprache, oder vielmehr dem deutſchen Ge¬
danken eigenthuͤmlich iſt.

Erkennen und Handeln ſind die beiden Pole
unſeres Geiſtes. Das aͤſthetiſche Element tritt
zwiſchen beide in die Mitte, es iſt ein Denken
und zugleich ein Fuͤhlen, das in jedem Moment
beim Kuͤnſtler ins Handeln umſchlaͤgt. Alle aͤſthe¬
tiſchen Urtheile ſind von dieſem Gefuͤhl begleitet,
ſie ſind nichts ohne daſſelbe, das
bald anziehend bald abſtoßend, bald beifaͤllig, bald
mißfaͤllig das Gemuͤth in elektriſchen Stroͤmungen
lebendig erhaͤlt. Was uns nur als ſchoͤn oder
haͤßlich, als gut oder boͤſe anmuthet oder wider¬
ſteht, iſt aͤſthetiſcher Natur, hat ſeine Wurzel im
ſinnlich-geiſtigen Urgrund unſeres Weſens, und er¬
kennt in dieſer Unmittelbarkeit keinen hoͤheren Rich¬

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[88/0102] grade das Eigenthuͤmlichſte unſerer Geſinnungs- und Denkweiſe unmittelbar hervorbricht. Folgen Sie mir, meine Herren, in das Ge¬ biet der Geſchichte. Es muͤßte Schuld meiner Darſtellung ſein, oder es wird aus den wenigen großen welthiſtoriſchen Zuͤgen, welche ich anzufuͤh¬ ren gedenke, in Ihrer Seele der Begriff der Aeſt¬ hetik in hoͤchſter Potenz ſich als der Begriff deſ¬ ſen lebendig machen und erweitern, was man in neuerer Zeit ſo paſſend Weltanſchauung genannt hat, eine Bezeichnung, die ebenfalls nur der deut¬ ſchen Sprache, oder vielmehr dem deutſchen Ge¬ danken eigenthuͤmlich iſt. Erkennen und Handeln ſind die beiden Pole unſeres Geiſtes. Das aͤſthetiſche Element tritt zwiſchen beide in die Mitte, es iſt ein Denken und zugleich ein Fuͤhlen, das in jedem Moment beim Kuͤnſtler ins Handeln umſchlaͤgt. Alle aͤſthe¬ tiſchen Urtheile ſind von dieſem Gefuͤhl begleitet, ſie ſind nichts ohne daſſelbe, das bald anziehend bald abſtoßend, bald beifaͤllig, bald mißfaͤllig das Gemuͤth in elektriſchen Stroͤmungen lebendig erhaͤlt. Was uns nur als ſchoͤn oder haͤßlich, als gut oder boͤſe anmuthet oder wider¬ ſteht, iſt aͤſthetiſcher Natur, hat ſeine Wurzel im ſinnlich-geiſtigen Urgrund unſeres Weſens, und er¬ kennt in dieſer Unmittelbarkeit keinen hoͤheren Rich¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/102>, abgerufen am 20.04.2024.