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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Achtes Buch, viertes Capitel.
aufzumuntern, mit der Fakel des Genie in gewisse
dunkle Gegenden der Moral-Philosophie einzudringen,
welche zu beträchtlichem Abbruch des allgemeinen Besten,
noch manches Jahr-Tausend unbekanntes Land bleiben
werden, wenn es auf die vortreflichen Leute ankommen
sollte, durch deren unermüdeten Eifer seit geraumen
Jahren die deutschen Pressen unter einem in alle mög-
liche Formen gegossenen Mischmasch unbestimmter und
nicht selten willkührlicher Begriffe, schwärmerischer Em-
pfindungen, andächtiger Wortspiele, grotesker Cha-
ractern, und schwülstiger Declamationen zu seufzen ge-
zwungen werden. Für diejenigen, welche unsern from-
men Wunsch zu erfüllen geschikt sind, uns darüber deut-
licher zu erklären, oder ihnen den Weg zur Entdekung
dieser moralischen Terra incognita genauer andeuten zu
wollen, als es hie und da in dieser Geschichte geschehen
seyn mag, würde einer Vermessenheit gleich sehen, wo-
zu uns die Empfindung unsrer eignen Schwäche oder
vielleicht unsre Trägheit wenig innerliche Versuchung
läßt. Wir lassen es also bey diesem kleinen Winke be-
wenden, und begnügen uns, da wir nunmehr, allem
Ansehen nach, unsern Helden aus der grössesten der Ge-
fahren, worinn seine Tugend jemals geschwebt hat, oder
künftig gerathen mag, glüklich herausgeführt haben,
einige Betrachtungen darüber anzustellen -- doch
nein; wir bedenken uns besser -- was für Betrach-
tungen könnten wir anstellen, daß nicht diejenige welche
Agathon selbst, sobald er Musse dazu hatte, über sein

Abentheur
C 5

Achtes Buch, viertes Capitel.
aufzumuntern, mit der Fakel des Genie in gewiſſe
dunkle Gegenden der Moral-Philoſophie einzudringen,
welche zu betraͤchtlichem Abbruch des allgemeinen Beſten,
noch manches Jahr-Tauſend unbekanntes Land bleiben
werden, wenn es auf die vortreflichen Leute ankommen
ſollte, durch deren unermuͤdeten Eifer ſeit geraumen
Jahren die deutſchen Preſſen unter einem in alle moͤg-
liche Formen gegoſſenen Miſchmaſch unbeſtimmter und
nicht ſelten willkuͤhrlicher Begriffe, ſchwaͤrmeriſcher Em-
pfindungen, andaͤchtiger Wortſpiele, grotesker Cha-
ractern, und ſchwuͤlſtiger Declamationen zu ſeufzen ge-
zwungen werden. Fuͤr diejenigen, welche unſern from-
men Wunſch zu erfuͤllen geſchikt ſind, uns daruͤber deut-
licher zu erklaͤren, oder ihnen den Weg zur Entdekung
dieſer moraliſchen Terra incognita genauer andeuten zu
wollen, als es hie und da in dieſer Geſchichte geſchehen
ſeyn mag, wuͤrde einer Vermeſſenheit gleich ſehen, wo-
zu uns die Empfindung unſrer eignen Schwaͤche oder
vielleicht unſre Traͤgheit wenig innerliche Verſuchung
laͤßt. Wir laſſen es alſo bey dieſem kleinen Winke be-
wenden, und begnuͤgen uns, da wir nunmehr, allem
Anſehen nach, unſern Helden aus der groͤſſeſten der Ge-
fahren, worinn ſeine Tugend jemals geſchwebt hat, oder
kuͤnftig gerathen mag, gluͤklich herausgefuͤhrt haben,
einige Betrachtungen daruͤber anzuſtellen — doch
nein; wir bedenken uns beſſer — was fuͤr Betrach-
tungen koͤnnten wir anſtellen, daß nicht diejenige welche
Agathon ſelbſt, ſobald er Muſſe dazu hatte, uͤber ſein

Abentheur
C 5
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[41/0043] Achtes Buch, viertes Capitel. aufzumuntern, mit der Fakel des Genie in gewiſſe dunkle Gegenden der Moral-Philoſophie einzudringen, welche zu betraͤchtlichem Abbruch des allgemeinen Beſten, noch manches Jahr-Tauſend unbekanntes Land bleiben werden, wenn es auf die vortreflichen Leute ankommen ſollte, durch deren unermuͤdeten Eifer ſeit geraumen Jahren die deutſchen Preſſen unter einem in alle moͤg- liche Formen gegoſſenen Miſchmaſch unbeſtimmter und nicht ſelten willkuͤhrlicher Begriffe, ſchwaͤrmeriſcher Em- pfindungen, andaͤchtiger Wortſpiele, grotesker Cha- ractern, und ſchwuͤlſtiger Declamationen zu ſeufzen ge- zwungen werden. Fuͤr diejenigen, welche unſern from- men Wunſch zu erfuͤllen geſchikt ſind, uns daruͤber deut- licher zu erklaͤren, oder ihnen den Weg zur Entdekung dieſer moraliſchen Terra incognita genauer andeuten zu wollen, als es hie und da in dieſer Geſchichte geſchehen ſeyn mag, wuͤrde einer Vermeſſenheit gleich ſehen, wo- zu uns die Empfindung unſrer eignen Schwaͤche oder vielleicht unſre Traͤgheit wenig innerliche Verſuchung laͤßt. Wir laſſen es alſo bey dieſem kleinen Winke be- wenden, und begnuͤgen uns, da wir nunmehr, allem Anſehen nach, unſern Helden aus der groͤſſeſten der Ge- fahren, worinn ſeine Tugend jemals geſchwebt hat, oder kuͤnftig gerathen mag, gluͤklich herausgefuͤhrt haben, einige Betrachtungen daruͤber anzuſtellen — doch nein; wir bedenken uns beſſer — was fuͤr Betrach- tungen koͤnnten wir anſtellen, daß nicht diejenige welche Agathon ſelbſt, ſobald er Muſſe dazu hatte, uͤber ſein Abentheur C 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/43>, abgerufen am 28.03.2024.