Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
war, die Athenienser von der Unschuld einer Phryne zu
überzeugen, stärkers und scheinbarers zu deiner Ver-
theidigung sagen können, als was er sich selbst sagte?
-- Vermuthlich würde die Vernunft allein von die-
ser sophistischen Beredsamkeit der Liebe überwältiget
worden seyn: Aber die Eyfersucht, welche ihr zu Hülfe
kam, gab den Ausschlag. Unter allen Leidenschaften ist
keine, welcher die Verwandlung des Möglichen ins
Würkliche weniger kostet als diese. Jn dem zweifelhaf-
ten Lichte, welches sie über seine Seele ausbreitete, wurde
Vermuthung zu Wahrscheinlichkeit und Wahrscheinlich-
keit zu Gewißheit; nicht anders als wenn er mit der spizfün-
digen Delicatesse eines Julius Cäsars die schöne Danae
schon darum schuldig gefunden hätte, weil sie bezüchtiget
wurde. Er verglich ihre eigene Erzählung mit des Hip-
pias seiner, und glaubte nun, da das Mißtrauen sich
seines Geistes einmal bemächtiget hatte, hundert Spuren
in der ersten wahrzunehmen, welche die Wahrheit der
leztern bekräftigten. Hier hatte sie einem Umstand eine
gekünstelte Wendung geben müssen; dort war sie, (wie
er sich zu erinnern glaubte) verlegen gewesen, was sie
aus einem andern machen sollte, der ihr unversehens
entschlüpft war.

Mit einem eben so schielenden Auge durchgieng er ihr
ganzes Betragen gegen ihn. Wie dentlich glaubte er
izt zu sehen, daß sie von dem ersten Augenblik an Ab-
sichten auf ihn gehabt habe! Tausend kleine Umstände,

welche

Agathon.
war, die Athenienſer von der Unſchuld einer Phryne zu
uͤberzeugen, ſtaͤrkers und ſcheinbarers zu deiner Ver-
theidigung ſagen koͤnnen, als was er ſich ſelbſt ſagte?
— Vermuthlich wuͤrde die Vernunft allein von die-
ſer ſophiſtiſchen Beredſamkeit der Liebe uͤberwaͤltiget
worden ſeyn: Aber die Eyferſucht, welche ihr zu Huͤlfe
kam, gab den Ausſchlag. Unter allen Leidenſchaften iſt
keine, welcher die Verwandlung des Moͤglichen ins
Wuͤrkliche weniger koſtet als dieſe. Jn dem zweifelhaf-
ten Lichte, welches ſie uͤber ſeine Seele ausbreitete, wurde
Vermuthung zu Wahrſcheinlichkeit und Wahrſcheinlich-
keit zu Gewißheit; nicht anders als wenn er mit der ſpizfuͤn-
digen Delicateſſe eines Julius Caͤſars die ſchoͤne Danae
ſchon darum ſchuldig gefunden haͤtte, weil ſie bezuͤchtiget
wurde. Er verglich ihre eigene Erzaͤhlung mit des Hip-
pias ſeiner, und glaubte nun, da das Mißtrauen ſich
ſeines Geiſtes einmal bemaͤchtiget hatte, hundert Spuren
in der erſten wahrzunehmen, welche die Wahrheit der
leztern bekraͤftigten. Hier hatte ſie einem Umſtand eine
gekuͤnſtelte Wendung geben muͤſſen; dort war ſie, (wie
er ſich zu erinnern glaubte) verlegen geweſen, was ſie
aus einem andern machen ſollte, der ihr unverſehens
entſchluͤpft war.

Mit einem eben ſo ſchielenden Auge durchgieng er ihr
ganzes Betragen gegen ihn. Wie dentlich glaubte er
izt zu ſehen, daß ſie von dem erſten Augenblik an Ab-
ſichten auf ihn gehabt habe! Tauſend kleine Umſtaͤnde,

welche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0028" n="26"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon</hi>.</hi></fw><lb/>
war, die Athenien&#x017F;er von der Un&#x017F;chuld einer Phryne zu<lb/>
u&#x0364;berzeugen, &#x017F;ta&#x0364;rkers und &#x017F;cheinbarers zu deiner Ver-<lb/>
theidigung &#x017F;agen ko&#x0364;nnen, als was er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;agte?<lb/>
&#x2014; Vermuthlich wu&#x0364;rde die Vernunft allein von die-<lb/>
&#x017F;er &#x017F;ophi&#x017F;ti&#x017F;chen Bered&#x017F;amkeit der Liebe u&#x0364;berwa&#x0364;ltiget<lb/>
worden &#x017F;eyn: Aber die Eyfer&#x017F;ucht, welche ihr zu Hu&#x0364;lfe<lb/>
kam, gab den Aus&#x017F;chlag. Unter allen Leiden&#x017F;chaften i&#x017F;t<lb/>
keine, welcher die Verwandlung des Mo&#x0364;glichen ins<lb/>
Wu&#x0364;rkliche weniger ko&#x017F;tet als die&#x017F;e. Jn dem zweifelhaf-<lb/>
ten Lichte, welches &#x017F;ie u&#x0364;ber &#x017F;eine Seele ausbreitete, wurde<lb/>
Vermuthung zu Wahr&#x017F;cheinlichkeit und Wahr&#x017F;cheinlich-<lb/>
keit zu Gewißheit; nicht anders als wenn er mit der &#x017F;pizfu&#x0364;n-<lb/>
digen Delicate&#x017F;&#x017F;e eines Julius Ca&#x0364;&#x017F;ars die &#x017F;cho&#x0364;ne Danae<lb/>
&#x017F;chon darum &#x017F;chuldig gefunden ha&#x0364;tte, weil &#x017F;ie bezu&#x0364;chtiget<lb/>
wurde. Er verglich ihre eigene Erza&#x0364;hlung mit des Hip-<lb/>
pias &#x017F;einer, und glaubte nun, da das Mißtrauen &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;eines Gei&#x017F;tes einmal bema&#x0364;chtiget hatte, hundert Spuren<lb/>
in der er&#x017F;ten wahrzunehmen, welche die Wahrheit der<lb/>
leztern bekra&#x0364;ftigten. Hier hatte &#x017F;ie einem Um&#x017F;tand eine<lb/>
geku&#x0364;n&#x017F;telte Wendung geben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; dort war &#x017F;ie, (wie<lb/>
er &#x017F;ich zu erinnern glaubte) verlegen gewe&#x017F;en, was &#x017F;ie<lb/>
aus einem andern machen &#x017F;ollte, der ihr unver&#x017F;ehens<lb/>
ent&#x017F;chlu&#x0364;pft war.</p><lb/>
            <p>Mit einem eben &#x017F;o &#x017F;chielenden Auge durchgieng er ihr<lb/>
ganzes Betragen gegen ihn. Wie dentlich glaubte er<lb/>
izt zu &#x017F;ehen, daß &#x017F;ie von dem er&#x017F;ten Augenblik an Ab-<lb/>
&#x017F;ichten auf ihn gehabt habe! Tau&#x017F;end kleine Um&#x017F;ta&#x0364;nde,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">welche</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0028] Agathon. war, die Athenienſer von der Unſchuld einer Phryne zu uͤberzeugen, ſtaͤrkers und ſcheinbarers zu deiner Ver- theidigung ſagen koͤnnen, als was er ſich ſelbſt ſagte? — Vermuthlich wuͤrde die Vernunft allein von die- ſer ſophiſtiſchen Beredſamkeit der Liebe uͤberwaͤltiget worden ſeyn: Aber die Eyferſucht, welche ihr zu Huͤlfe kam, gab den Ausſchlag. Unter allen Leidenſchaften iſt keine, welcher die Verwandlung des Moͤglichen ins Wuͤrkliche weniger koſtet als dieſe. Jn dem zweifelhaf- ten Lichte, welches ſie uͤber ſeine Seele ausbreitete, wurde Vermuthung zu Wahrſcheinlichkeit und Wahrſcheinlich- keit zu Gewißheit; nicht anders als wenn er mit der ſpizfuͤn- digen Delicateſſe eines Julius Caͤſars die ſchoͤne Danae ſchon darum ſchuldig gefunden haͤtte, weil ſie bezuͤchtiget wurde. Er verglich ihre eigene Erzaͤhlung mit des Hip- pias ſeiner, und glaubte nun, da das Mißtrauen ſich ſeines Geiſtes einmal bemaͤchtiget hatte, hundert Spuren in der erſten wahrzunehmen, welche die Wahrheit der leztern bekraͤftigten. Hier hatte ſie einem Umſtand eine gekuͤnſtelte Wendung geben muͤſſen; dort war ſie, (wie er ſich zu erinnern glaubte) verlegen geweſen, was ſie aus einem andern machen ſollte, der ihr unverſehens entſchluͤpft war. Mit einem eben ſo ſchielenden Auge durchgieng er ihr ganzes Betragen gegen ihn. Wie dentlich glaubte er izt zu ſehen, daß ſie von dem erſten Augenblik an Ab- ſichten auf ihn gehabt habe! Tauſend kleine Umſtaͤnde, welche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/28
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/28>, abgerufen am 29.03.2024.