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Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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die grünen Bäume. Damit fing sie wieder zu singen an, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern. Den Kranz setzte sie auf den Kopf und machte nun mit dem Oberkörper allerhand Biegungen und Schwenkungen nach dem Takt des Liedes. Dann ging dasselbe plötzlich in eine Tanzmelodie über, die einem herumziehenden Leierkasten abgelauscht sein mochte. Sie drehte sich mehrmals trällernd um sich selbst, entfernte sich so mehr und mehr von Ansas, der das ihm bekannte Stück mitzupfeifen anfing, und verschwand hinter den Hopfenstangen an der Stallecke.

Am nächsten Morgen machte Wanags sich zum Kirchgänge fertig, wartete aber ruhig in seiner Hausthür, bis die Nachbarn vorüberkamen. Es war sonst gar nicht seine Gewohnheit, sich ihnen anzuschließen, sondern er ging am liebsten allein, und sie nahmen's für Vornehmthuerei. Freilich hatte er diesmal auch nur Grita in Gedanken, der er einen Blumenstrauß aus seinem Garten reichen wollte, um ihr zu beweisen, daß er nicht geprahlt habe. Es war ihm recht lieb, sie ihrem Großvater voraus aus dem Nachbarhause treten und ohne Begleitung über die Dorfstraße gehen zu sehen; so konnte er hoffen, mit ihr eine Strecke allein zu bleiben. Weßhalb ihn diese Aussicht froh stimmte, hätte er sich selbst nicht zu sagen gewußt, nur daß sie ihm heute in ihrem Sonntagsstaat mit dem schwarzsammetnen Mieder, den weiten auf den Achseln und am Handgelenk gestickten Aermeln

die grünen Bäume. Damit fing sie wieder zu singen an, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern. Den Kranz setzte sie auf den Kopf und machte nun mit dem Oberkörper allerhand Biegungen und Schwenkungen nach dem Takt des Liedes. Dann ging dasselbe plötzlich in eine Tanzmelodie über, die einem herumziehenden Leierkasten abgelauscht sein mochte. Sie drehte sich mehrmals trällernd um sich selbst, entfernte sich so mehr und mehr von Ansas, der das ihm bekannte Stück mitzupfeifen anfing, und verschwand hinter den Hopfenstangen an der Stallecke.

Am nächsten Morgen machte Wanags sich zum Kirchgänge fertig, wartete aber ruhig in seiner Hausthür, bis die Nachbarn vorüberkamen. Es war sonst gar nicht seine Gewohnheit, sich ihnen anzuschließen, sondern er ging am liebsten allein, und sie nahmen's für Vornehmthuerei. Freilich hatte er diesmal auch nur Grita in Gedanken, der er einen Blumenstrauß aus seinem Garten reichen wollte, um ihr zu beweisen, daß er nicht geprahlt habe. Es war ihm recht lieb, sie ihrem Großvater voraus aus dem Nachbarhause treten und ohne Begleitung über die Dorfstraße gehen zu sehen; so konnte er hoffen, mit ihr eine Strecke allein zu bleiben. Weßhalb ihn diese Aussicht froh stimmte, hätte er sich selbst nicht zu sagen gewußt, nur daß sie ihm heute in ihrem Sonntagsstaat mit dem schwarzsammetnen Mieder, den weiten auf den Achseln und am Handgelenk gestickten Aermeln

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:07:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:07:21Z)

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Zitationshilfe: Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/40>, abgerufen am 25.04.2024.