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Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.

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Characteristisch für seine Sprachstörung ist folgende Unter-
haltung:

Guten Abend!

Guten Abend!

Wie geht es Ihnen?

Ja.

Wie heissen Sie?

Ja.

Heissen Sie Thomas? Berthold? Schulze? Müller? Nein,
nein (auf jede Frage).

Heissen Sie Seidel? Ja.

Sagen Sie "Seidel"! Seidel.

Sagen Sie "Berthold," "Thomas," "Hospital," "Irrenanstalt,"
"Krankenhaus," "Maurerarbeit". Er wiederholt jedes Wort richtig.

Die Frage, ob er lesen und schreiben könne? verneint er.
Doch kann er seinen Namen schreiben. Er schreibt richtig Seidel.
Er soll den Vornamen Karl dazu schreiben; statt dessen schreibt
er Seidel. Es wird ihm Karl vorgeschrieben, er schreibt wieder
Seidel. Auf eine neue Seite wird ihm Garten vorgeschrieben,
das soll er nachschreiben. Das Wort, das er nun schreibt, ist
ein Gemisch von Seidel und Garten, denn es fängt mit S an, und
enthält ein deutliches a und t. Inzwischen ist an einer andern
Stelle die Zahl 1874 hingeschrieben worden; er bekommt nun
den Auftrag, 1874 zu schreiben. Er schreibt 1844. Er soll nun
die Zahl 60 schreiben und schreibt 1848; auf den Irrthum auf-
merksam gemacht, schreibt er 18 (also eine zweistellige Zahl) und
giebt zu verstehen, dass dies nun gut wäre. Nachdem ihm 60
vorgeschrieben ist, schreibt er 66 nach. Jedenfalls lässt er sich
also durch das Vorgeschriebene beeinflussen. Das, was er endlich
zu Stande gebracht hat, scheint immer sehr lange zu haften und
stört dann jede neue Aufgabe. Er ermüdet auch sehr schnell
und giebt sich dann weiter keine Mühe.

Das 1874, das er leidlich nachgeschrieben hat, kann er nicht
lesen. Beim Lesen stört die leichte Ermüdbarkeit und das Nach-
klingen des Alten noch viel mehr. Er liesst von einer Reihe von
Buchstaben den ersten richtig, die andern nicht mehr. Er liesst
die Zahl 5 richtig, die 9 bald darauf nicht mehr. Es werden ihm
5 Finger vorgehalten, er sagt nach wiederholtem Fragen 5. Darauf
werden 2 vorgehalten, er findet keinen Ausdruck dafür. Sind es
fünf Finger? Ja. Dies wird bestritten: Das sind doch nicht fünf
Finger! "O ja."



Characteristisch für seine Sprachstörung ist folgende Unter-
haltung:

Guten Abend!

Guten Abend!

Wie geht es Ihnen?

Ja.

Wie heissen Sie?

Ja.

Heissen Sie Thomas? Berthold? Schulze? Müller? Nein,
nein (auf jede Frage).

Heissen Sie Seidel? Ja.

Sagen Sie „Seidel‟! Seidel.

Sagen Sie „Berthold,‟ „Thomas,‟ „Hospital,‟ „Irrenanstalt,‟
„Krankenhaus,‟ „Maurerarbeit‟. Er wiederholt jedes Wort richtig.

Die Frage, ob er lesen und schreiben könne? verneint er.
Doch kann er seinen Namen schreiben. Er schreibt richtig Seidel.
Er soll den Vornamen Karl dazu schreiben; statt dessen schreibt
er Seidel. Es wird ihm Karl vorgeschrieben, er schreibt wieder
Seidel. Auf eine neue Seite wird ihm Garten vorgeschrieben,
das soll er nachschreiben. Das Wort, das er nun schreibt, ist
ein Gemisch von Seidel und Garten, denn es fängt mit S an, und
enthält ein deutliches a und t. Inzwischen ist an einer andern
Stelle die Zahl 1874 hingeschrieben worden; er bekommt nun
den Auftrag, 1874 zu schreiben. Er schreibt 1844. Er soll nun
die Zahl 60 schreiben und schreibt 1848; auf den Irrthum auf-
merksam gemacht, schreibt er 18 (also eine zweistellige Zahl) und
giebt zu verstehen, dass dies nun gut wäre. Nachdem ihm 60
vorgeschrieben ist, schreibt er 66 nach. Jedenfalls lässt er sich
also durch das Vorgeschriebene beeinflussen. Das, was er endlich
zu Stande gebracht hat, scheint immer sehr lange zu haften und
stört dann jede neue Aufgabe. Er ermüdet auch sehr schnell
und giebt sich dann weiter keine Mühe.

Das 1874, das er leidlich nachgeschrieben hat, kann er nicht
lesen. Beim Lesen stört die leichte Ermüdbarkeit und das Nach-
klingen des Alten noch viel mehr. Er liesst von einer Reihe von
Buchstaben den ersten richtig, die andern nicht mehr. Er liesst
die Zahl 5 richtig, die 9 bald darauf nicht mehr. Es werden ihm
5 Finger vorgehalten, er sagt nach wiederholtem Fragen 5. Darauf
werden 2 vorgehalten, er findet keinen Ausdruck dafür. Sind es
fünf Finger? Ja. Dies wird bestritten: Das sind doch nicht fünf
Finger! „O ja.‟



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[61/0065] Characteristisch für seine Sprachstörung ist folgende Unter- haltung: Guten Abend! Guten Abend! Wie geht es Ihnen? Ja. Wie heissen Sie? Ja. Heissen Sie Thomas? Berthold? Schulze? Müller? Nein, nein (auf jede Frage). Heissen Sie Seidel? Ja. Sagen Sie „Seidel‟! Seidel. Sagen Sie „Berthold,‟ „Thomas,‟ „Hospital,‟ „Irrenanstalt,‟ „Krankenhaus,‟ „Maurerarbeit‟. Er wiederholt jedes Wort richtig. Die Frage, ob er lesen und schreiben könne? verneint er. Doch kann er seinen Namen schreiben. Er schreibt richtig Seidel. Er soll den Vornamen Karl dazu schreiben; statt dessen schreibt er Seidel. Es wird ihm Karl vorgeschrieben, er schreibt wieder Seidel. Auf eine neue Seite wird ihm Garten vorgeschrieben, das soll er nachschreiben. Das Wort, das er nun schreibt, ist ein Gemisch von Seidel und Garten, denn es fängt mit S an, und enthält ein deutliches a und t. Inzwischen ist an einer andern Stelle die Zahl 1874 hingeschrieben worden; er bekommt nun den Auftrag, 1874 zu schreiben. Er schreibt 1844. Er soll nun die Zahl 60 schreiben und schreibt 1848; auf den Irrthum auf- merksam gemacht, schreibt er 18 (also eine zweistellige Zahl) und giebt zu verstehen, dass dies nun gut wäre. Nachdem ihm 60 vorgeschrieben ist, schreibt er 66 nach. Jedenfalls lässt er sich also durch das Vorgeschriebene beeinflussen. Das, was er endlich zu Stande gebracht hat, scheint immer sehr lange zu haften und stört dann jede neue Aufgabe. Er ermüdet auch sehr schnell und giebt sich dann weiter keine Mühe. Das 1874, das er leidlich nachgeschrieben hat, kann er nicht lesen. Beim Lesen stört die leichte Ermüdbarkeit und das Nach- klingen des Alten noch viel mehr. Er liesst von einer Reihe von Buchstaben den ersten richtig, die andern nicht mehr. Er liesst die Zahl 5 richtig, die 9 bald darauf nicht mehr. Es werden ihm 5 Finger vorgehalten, er sagt nach wiederholtem Fragen 5. Darauf werden 2 vorgehalten, er findet keinen Ausdruck dafür. Sind es fünf Finger? Ja. Dies wird bestritten: Das sind doch nicht fünf Finger! „O ja.‟

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Zitationshilfe: Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874/65>, abgerufen am 28.03.2024.