Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Theil der Darwin'schen Hypothese vollkommen. Das Charak-
teristischste derselben wird hinweggenommen und was bleibt,
ist mehr allgemeiner Natur, Principien, von denen in dieser
oder jener Form heute wenigstens jede Vererbungstheorie aus-
gehen muss. Dazu kommen dann aber noch eigne Ideen, die
dem ganzen Vorstellungskreis erst den Stempel aufdrücken. Will
man -- wie es de Vries thut -- seine Theorie als eine Um-
gestaltung der Darwin'schen Pangenesis betrachten, so ist sie
jedenfalls eine radikale und eine solche, die mit einem Schlage die
unhaltbar gewordene Pangenesis von Neuem lebensfähig macht.

De Vries unterscheidet in der Darwin'schen Pangenesis
zwei Hälften, deren eine er verwirft, während er die andere
beibehält. Die erste nennt er die "Transport-Hypothese" und
versteht darunter die Annahme von der Entstehung von Keim-
chen in allen Zellen des Körpers, ihrem "Abwerfen", ihrer Cir-
culation im Blut und ihrer endlichen Ansammlung in den
Keimzellen. Er stützt sich dabei auf meine Verwerfung einer
Vererbung "somatogener" Eigenschaften, wodurch ja allerdings
die Annahme eines Transports von Keimchen aus den Zellen
des Körpers nach den Keimzellen hin überflüssig wird. So
beseitigt er denjenigen Theil der Pangenesis, der dieselbe für
die Meisten unannehmbar machte, und stellt die Theorie auf
einen neuen realen Boden, von welchem aus sie entwickelungs-
fähig wird.

Übrigens geht er doch wohl zu weit, wenn er die Trans-
port-Hypothese lediglich aus dem Bedürfniss einer Erklärung
für die Vererbung somatogener Eigenschaften herleitet. Man
darf nicht vergessen, dass der Gedanke einer "Continuität des
Keimplasma's" zu Darwin's Zeiten noch nicht zur Geltung
gelangt war. Wie sollten denn die Keimchen sämmtlicher Zellen
eines Bion in seine Keimzellen kommen, wenn sie nicht eben
in den Körperzellen sich bilden, dann auswandern, circuliren

Theil der Darwin’schen Hypothese vollkommen. Das Charak-
teristischste derselben wird hinweggenommen und was bleibt,
ist mehr allgemeiner Natur, Principien, von denen in dieser
oder jener Form heute wenigstens jede Vererbungstheorie aus-
gehen muss. Dazu kommen dann aber noch eigne Ideen, die
dem ganzen Vorstellungskreis erst den Stempel aufdrücken. Will
man — wie es de Vries thut — seine Theorie als eine Um-
gestaltung der Darwin’schen Pangenesis betrachten, so ist sie
jedenfalls eine radikale und eine solche, die mit einem Schlage die
unhaltbar gewordene Pangenesis von Neuem lebensfähig macht.

De Vries unterscheidet in der Darwin’schen Pangenesis
zwei Hälften, deren eine er verwirft, während er die andere
beibehält. Die erste nennt er die „Transport-Hypothese“ und
versteht darunter die Annahme von der Entstehung von Keim-
chen in allen Zellen des Körpers, ihrem „Abwerfen“, ihrer Cir-
culation im Blut und ihrer endlichen Ansammlung in den
Keimzellen. Er stützt sich dabei auf meine Verwerfung einer
Vererbung „somatogener“ Eigenschaften, wodurch ja allerdings
die Annahme eines Transports von Keimchen aus den Zellen
des Körpers nach den Keimzellen hin überflüssig wird. So
beseitigt er denjenigen Theil der Pangenesis, der dieselbe für
die Meisten unannehmbar machte, und stellt die Theorie auf
einen neuen realen Boden, von welchem aus sie entwickelungs-
fähig wird.

Übrigens geht er doch wohl zu weit, wenn er die Trans-
port-Hypothese lediglich aus dem Bedürfniss einer Erklärung
für die Vererbung somatogener Eigenschaften herleitet. Man
darf nicht vergessen, dass der Gedanke einer „Continuität des
Keimplasma’s“ zu Darwin’s Zeiten noch nicht zur Geltung
gelangt war. Wie sollten denn die Keimchen sämmtlicher Zellen
eines Bion in seine Keimzellen kommen, wenn sie nicht eben
in den Körperzellen sich bilden, dann auswandern, circuliren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="18"/>
Theil der <hi rendition="#g">Darwin</hi>&#x2019;schen Hypothese vollkommen. Das Charak-<lb/>
teristischste derselben wird hinweggenommen und was bleibt,<lb/>
ist mehr allgemeiner Natur, Principien, von denen in dieser<lb/>
oder jener Form <hi rendition="#g">heute</hi> wenigstens jede Vererbungstheorie aus-<lb/>
gehen muss. Dazu kommen dann aber noch eigne Ideen, die<lb/>
dem ganzen Vorstellungskreis erst den Stempel aufdrücken. Will<lb/>
man &#x2014; wie es <hi rendition="#g">de Vries</hi> thut &#x2014; seine Theorie als eine Um-<lb/>
gestaltung der <hi rendition="#g">Darwin</hi>&#x2019;schen Pangenesis betrachten, so ist sie<lb/>
jedenfalls eine radikale und eine solche, die mit einem Schlage die<lb/>
unhaltbar gewordene Pangenesis von Neuem lebensfähig macht.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">De Vries</hi> unterscheidet in der <hi rendition="#g">Darwin</hi>&#x2019;schen Pangenesis<lb/>
zwei Hälften, deren eine er verwirft, während er die andere<lb/>
beibehält. Die erste nennt er die &#x201E;Transport-Hypothese&#x201C; und<lb/>
versteht darunter die Annahme von der Entstehung von Keim-<lb/>
chen in allen Zellen des Körpers, ihrem &#x201E;Abwerfen&#x201C;, ihrer Cir-<lb/>
culation im Blut und ihrer endlichen Ansammlung in den<lb/>
Keimzellen. Er stützt sich dabei auf meine Verwerfung einer<lb/>
Vererbung &#x201E;somatogener&#x201C; Eigenschaften, wodurch ja allerdings<lb/>
die Annahme eines Transports von Keimchen aus den Zellen<lb/>
des Körpers nach den Keimzellen hin überflüssig wird. So<lb/>
beseitigt er denjenigen Theil der Pangenesis, der dieselbe für<lb/>
die Meisten unannehmbar machte, und stellt die Theorie auf<lb/>
einen neuen realen Boden, von welchem aus sie entwickelungs-<lb/>
fähig wird.</p><lb/>
          <p>Übrigens geht er doch wohl zu weit, wenn er die Trans-<lb/>
port-Hypothese lediglich aus dem Bedürfniss einer Erklärung<lb/>
für die Vererbung somatogener Eigenschaften herleitet. Man<lb/>
darf nicht vergessen, dass der Gedanke einer &#x201E;Continuität des<lb/>
Keimplasma&#x2019;s&#x201C; zu <hi rendition="#g">Darwin</hi>&#x2019;s Zeiten noch nicht zur Geltung<lb/>
gelangt war. Wie sollten denn die Keimchen sämmtlicher Zellen<lb/>
eines Bion in seine Keimzellen kommen, wenn sie nicht eben<lb/>
in den Körperzellen sich bilden, dann auswandern, circuliren<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0042] Theil der Darwin’schen Hypothese vollkommen. Das Charak- teristischste derselben wird hinweggenommen und was bleibt, ist mehr allgemeiner Natur, Principien, von denen in dieser oder jener Form heute wenigstens jede Vererbungstheorie aus- gehen muss. Dazu kommen dann aber noch eigne Ideen, die dem ganzen Vorstellungskreis erst den Stempel aufdrücken. Will man — wie es de Vries thut — seine Theorie als eine Um- gestaltung der Darwin’schen Pangenesis betrachten, so ist sie jedenfalls eine radikale und eine solche, die mit einem Schlage die unhaltbar gewordene Pangenesis von Neuem lebensfähig macht. De Vries unterscheidet in der Darwin’schen Pangenesis zwei Hälften, deren eine er verwirft, während er die andere beibehält. Die erste nennt er die „Transport-Hypothese“ und versteht darunter die Annahme von der Entstehung von Keim- chen in allen Zellen des Körpers, ihrem „Abwerfen“, ihrer Cir- culation im Blut und ihrer endlichen Ansammlung in den Keimzellen. Er stützt sich dabei auf meine Verwerfung einer Vererbung „somatogener“ Eigenschaften, wodurch ja allerdings die Annahme eines Transports von Keimchen aus den Zellen des Körpers nach den Keimzellen hin überflüssig wird. So beseitigt er denjenigen Theil der Pangenesis, der dieselbe für die Meisten unannehmbar machte, und stellt die Theorie auf einen neuen realen Boden, von welchem aus sie entwickelungs- fähig wird. Übrigens geht er doch wohl zu weit, wenn er die Trans- port-Hypothese lediglich aus dem Bedürfniss einer Erklärung für die Vererbung somatogener Eigenschaften herleitet. Man darf nicht vergessen, dass der Gedanke einer „Continuität des Keimplasma’s“ zu Darwin’s Zeiten noch nicht zur Geltung gelangt war. Wie sollten denn die Keimchen sämmtlicher Zellen eines Bion in seine Keimzellen kommen, wenn sie nicht eben in den Körperzellen sich bilden, dann auswandern, circuliren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/42
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/42>, abgerufen am 29.03.2024.