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Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674.

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Vom Unterscheid des Standes Das X.

§. 8. Eben solche Beschaffenheit hats mit dem Moralischen
Raum/ welcher wanu er überhaupt und ins gantze betrachtet wird/ so
kan man ihn auch den Staat/ gleichsam das unbewegliche Fundament
und den Stand-Grund alles würcklichen Standes der beweglichen
Personen/ nennen. Soferne nemlich der Staat als ein unbeweglich
Ding sich vorstellet/ wie man Lehrens und Redens halber setzen muß.
Dann ob gleich die Personen abwechseln und sich immer verändern/
so bleibet doch der Staat/ und zwar/ so bleibet nicht allein der gantze
Begriff des Staats; sondern auch dessen besondere Plätze/ die beson-
deren Begriffe derer Gemeinschafften/ Facultäten und Zünffte. Wie
dann die Personen eine von den andern als ihren Vorfahrern geräum-
te und verlassene Stelle/ deßwegen so sehr affectiren/ weil sie fixam se-
dem,
einen standhafften Fuß/ darinnen setzen können. Welche bestän-
dige Stelle zuerhalten und sich an des abgetrettenen Stelle setzen zulas-
sen/ sie dahero sich so sehr bemühen/ allen Fleiß anwenden/ lauffen und
rennen. Und wird heutiges Tages umb dergleichen Stelle zuerlan-
gen mehr Sorge getragen/ als umb einen Wohnplatz in der Stadt. Ja
wann man erst eine Moralische Stelle hat in dem Moralischen Raum
der beliebten Zunft/ alsdann bemühet man sich erst umb die natürliche
Stelle/ welche manchen bey weiten nicht so viel kostet als jene. Wie-
wohl beyderseits Stellen ihrer natürlichen Beschaffenheit nach/ an und
vor sich in blosser doch kräfftiger Einbildung bestehen/ und dahero kei-
nes weges ein Ens rationis, das ist/ ein freywilliges Figment/ zu-
nennen.

§. 9. Jst also die Null ein Kennzeichen des blossen Standes in
der gemeinen Zeil der Republiq/ darinnen/ wann gewisse so und so viel
geltende Personen vorhanden sind/ dahin darff man keine Nulla
schreiben/ sondern nur dahin/ wo die Stellen vacant und nicht besetzet
sind/ umb dadurch anzuzeigen/ daß die Stellen nicht zugleich mit den
außgelöschten Ziffern verschwinden/ sondern bleiben/ ob gleich die
Personen/ wie die Ziffern/ sich ändern/ ab- und antreten.

§. 10. Dahero kan auch eine einige Person einen gantzen Stand
erhalten. Ja wann auch gleich keine Person mehr da wäre/ wann es
nur ein solcher Stand ist/ der über sich oder unter sich/ vor oder nach
sich/ noch andere besetzte Stände hat/ so kan die blosse Nulla den Stand
erhalten/ wie die Ziffer-Zeilen klärlich weisen. Also wann eine Zunfft

oder
Vom Unterſcheid des Standes Das X.

§. 8. Eben ſolche Beſchaffenheit hats mit dem Moraliſchen
Raum/ welcher wanu er uͤberhaupt und ins gantze betrachtet wird/ ſo
kan man ihn auch den Staat/ gleichſam das unbewegliche Fundament
und den Stand-Grund alles wuͤrcklichen Standes der beweglichen
Perſonen/ nennen. Soferne nemlich der Staat als ein unbeweglich
Ding ſich vorſtellet/ wie man Lehrens und Redens halber ſetzen muß.
Dann ob gleich die Perſonen abwechſeln und ſich immer veraͤndern/
ſo bleibet doch der Staat/ und zwar/ ſo bleibet nicht allein der gantze
Begriff des Staats; ſondern auch deſſen beſondere Plaͤtze/ die beſon-
deren Begriffe derer Gemeinſchafften/ Facultaͤten und Zuͤnffte. Wie
dann die Perſonen eine von den andern als ihren Vorfahrern geraͤum-
te und verlaſſene Stelle/ deßwegen ſo ſehr affectiren/ weil ſie fixam ſe-
dem,
einen ſtandhafften Fuß/ darinnen ſetzen koͤnnen. Welche beſtaͤn-
dige Stelle zuerhalten und ſich an des abgetrettenen Stelle ſetzen zulaſ-
ſen/ ſie dahero ſich ſo ſehr bemuͤhen/ allen Fleiß anwenden/ lauffen und
rennen. Und wird heutiges Tages umb dergleichen Stelle zuerlan-
gen mehr Sorge getragen/ als umb einen Wohnplatz in der Stadt. Ja
wann man erſt eine Moraliſche Stelle hat in dem Moraliſchen Raum
der beliebten Zunft/ alsdann bemuͤhet man ſich erſt umb die natuͤrliche
Stelle/ welche manchen bey weiten nicht ſo viel koſtet als jene. Wie-
wohl beyderſeits Stellen ihrer natuͤrlichen Beſchaffenheit nach/ an und
vor ſich in bloſſer doch kraͤfftiger Einbildung beſtehen/ und dahero kei-
nes weges ein Ens rationis, das iſt/ ein freywilliges Figment/ zu-
nennen.

§. 9. Jſt alſo die Null ein Kennzeichen des bloſſen Standes in
der gemeinen Zeil der Republiq/ darinnen/ wann gewiſſe ſo und ſo viel
geltende Perſonen vorhanden ſind/ dahin darff man keine Nulla
ſchreiben/ ſondern nur dahin/ wo die Stellen vacant und nicht beſetzet
ſind/ umb dadurch anzuzeigen/ daß die Stellen nicht zugleich mit den
außgeloͤſchten Ziffern verſchwinden/ ſondern bleiben/ ob gleich die
Perſonen/ wie die Ziffern/ ſich aͤndern/ ab- und antreten.

§. 10. Dahero kan auch eine einige Perſon einen gantzen Stand
erhalten. Ja wann auch gleich keine Perſon mehr da waͤre/ wann es
nur ein ſolcher Stand iſt/ der uͤber ſich oder unter ſich/ vor oder nach
ſich/ noch andere beſetzte Staͤnde hat/ ſo kan die bloſſe Nulla den Stand
erhalten/ wie die Ziffer-Zeilen klaͤrlich weiſen. Alſo wann eine Zunfft

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[62/0072] Vom Unterſcheid des Standes Das X. §. 8. Eben ſolche Beſchaffenheit hats mit dem Moraliſchen Raum/ welcher wanu er uͤberhaupt und ins gantze betrachtet wird/ ſo kan man ihn auch den Staat/ gleichſam das unbewegliche Fundament und den Stand-Grund alles wuͤrcklichen Standes der beweglichen Perſonen/ nennen. Soferne nemlich der Staat als ein unbeweglich Ding ſich vorſtellet/ wie man Lehrens und Redens halber ſetzen muß. Dann ob gleich die Perſonen abwechſeln und ſich immer veraͤndern/ ſo bleibet doch der Staat/ und zwar/ ſo bleibet nicht allein der gantze Begriff des Staats; ſondern auch deſſen beſondere Plaͤtze/ die beſon- deren Begriffe derer Gemeinſchafften/ Facultaͤten und Zuͤnffte. Wie dann die Perſonen eine von den andern als ihren Vorfahrern geraͤum- te und verlaſſene Stelle/ deßwegen ſo ſehr affectiren/ weil ſie fixam ſe- dem, einen ſtandhafften Fuß/ darinnen ſetzen koͤnnen. Welche beſtaͤn- dige Stelle zuerhalten und ſich an des abgetrettenen Stelle ſetzen zulaſ- ſen/ ſie dahero ſich ſo ſehr bemuͤhen/ allen Fleiß anwenden/ lauffen und rennen. Und wird heutiges Tages umb dergleichen Stelle zuerlan- gen mehr Sorge getragen/ als umb einen Wohnplatz in der Stadt. Ja wann man erſt eine Moraliſche Stelle hat in dem Moraliſchen Raum der beliebten Zunft/ alsdann bemuͤhet man ſich erſt umb die natuͤrliche Stelle/ welche manchen bey weiten nicht ſo viel koſtet als jene. Wie- wohl beyderſeits Stellen ihrer natuͤrlichen Beſchaffenheit nach/ an und vor ſich in bloſſer doch kraͤfftiger Einbildung beſtehen/ und dahero kei- nes weges ein Ens rationis, das iſt/ ein freywilliges Figment/ zu- nennen. §. 9. Jſt alſo die Null ein Kennzeichen des bloſſen Standes in der gemeinen Zeil der Republiq/ darinnen/ wann gewiſſe ſo und ſo viel geltende Perſonen vorhanden ſind/ dahin darff man keine Nulla ſchreiben/ ſondern nur dahin/ wo die Stellen vacant und nicht beſetzet ſind/ umb dadurch anzuzeigen/ daß die Stellen nicht zugleich mit den außgeloͤſchten Ziffern verſchwinden/ ſondern bleiben/ ob gleich die Perſonen/ wie die Ziffern/ ſich aͤndern/ ab- und antreten. §. 10. Dahero kan auch eine einige Perſon einen gantzen Stand erhalten. Ja wann auch gleich keine Perſon mehr da waͤre/ wann es nur ein ſolcher Stand iſt/ der uͤber ſich oder unter ſich/ vor oder nach ſich/ noch andere beſetzte Staͤnde hat/ ſo kan die bloſſe Nulla den Stand erhalten/ wie die Ziffer-Zeilen klaͤrlich weiſen. Alſo wann eine Zunfft oder

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Zitationshilfe: Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674/72>, abgerufen am 24.04.2024.