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Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674.

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Vom Unterscheid des Standes Das X.
sammen fällt/ und nur diverso respectu, das ist/ nach unterschiedenen
Absehen der innerlichen Gedancken/ entschieden ist/ welche Gedancken
die Menschen einander nicht also geschwind entdecken können. Dahero
die Partheyen oftmahls ärgerlicher in einander gerathen/ wann einer
den andern außwickeln wil; als die Sache selbst in einander gesteckt
sich befindet/ wann man jede Part in derselben Sache fortfahren läst/
biß sie/ ihren Gedancken nach/ sich vollständig erkläret. Darumb zur
Behutsamkeit/ wann eine Part anfängt etwas zu proponiren/ so muß
die zuhörende Part/ wann ein Zweifel komt/ allzeit sich nur vernünfftig
einbilden/ es würde vielleicht jene Part nicht also gemeynet haben/ wie
es ihr als dieser Part vorkomme: zumahl/ wann ein Wort dabey/ wel-
ches sonst auch mancherley Bedeutung dem gemeinem Gebrauch nach
auff sich hat. Zu welchem Ende die Alten ihre Disputationes nicht
stracks mit dem opponiren/ sondern mit Fragen angefangen/ wie
iederman wohl weiß/ dadurch sie alle Wort-Streit evitiren/ und lau-
ter real-controversien friedlich tractiren können/ daraus auch so viel
Weißheit entsprungen.

Diesem nach/ so bedeutet nun das Wort Stand erstlich einen
Begriff/ darvon man sagen kan/ daß eine Person oder eine Sache in
demselben oder ausser demselben sich befinde. Dieser Begriff aber wird
hinwiederum auff zweyerley Weise betrachtet;

1. Würcklich und in der That; in dem zum Exempel/ viel
Personen die sich zusammen geschlagen/ und eine Gesellschafft gemacht
haben/ selbst der Begriff ihrer viele/ das ist/ viele zu einer Societät in
Zusammenhaltung begriffene Personen/ und ein Stands-Begriff/ ge-
nennet werden; als wann man sagt/ der Fürsten-Stand auff dem
Reichstag habe dieses oder jenes beschlossen: das ist/ die gesamten Für-
sten/ alle zusammen in einem Begriff.

2. Absonderlich und in Gedancken/ in dem man sich den Be-
griff/ als wann er von denen Gesellschaffts-Personen/ die veränderlich
und beweglich sind/ unterschieden wäre/ durch subtile Gedancken abson-
derlich einbildet/ und ihn als ein unbeweglich unveränderlich Ding
(als einen Moralischen Raum) an statt der Personen selbst vorstellet.
Von welchem abstracten Begriff man redet/ wann man saget: der
Fürsten-Stand im Reich sterbe nicht/ wann gleich eine Person nach

der

Vom Unterſcheid des Standes Das X.
ſammen faͤllt/ und nur diverſo reſpectu, das iſt/ nach unterſchiedenen
Abſehen der innerlichen Gedancken/ entſchieden iſt/ welche Gedancken
die Menſchen einander nicht alſo geſchwind entdecken koͤnnen. Dahero
die Partheyen oftmahls aͤrgerlicher in einander gerathen/ wann einer
den andern außwickeln wil; als die Sache ſelbſt in einander geſteckt
ſich befindet/ wann man jede Part in derſelben Sache fortfahren laͤſt/
biß ſie/ ihren Gedancken nach/ ſich vollſtaͤndig erklaͤret. Darumb zur
Behutſamkeit/ wann eine Part anfaͤngt etwas zu proponiren/ ſo muß
die zuhoͤrende Part/ wann ein Zweifel komt/ allzeit ſich nur vernuͤnfftig
einbilden/ es wuͤrde vielleicht jene Part nicht alſo gemeynet haben/ wie
es ihr als dieſer Part vorkomme: zumahl/ wann ein Wort dabey/ wel-
ches ſonſt auch mancherley Bedeutung dem gemeinem Gebrauch nach
auff ſich hat. Zu welchem Ende die Alten ihre Diſputationes nicht
ſtracks mit dem opponiren/ ſondern mit Fragen angefangen/ wie
iederman wohl weiß/ dadurch ſie alle Wort-Streit evitiren/ und lau-
ter real-controverſien friedlich tractiren koͤnnen/ daraus auch ſo viel
Weißheit entſprungen.

Dieſem nach/ ſo bedeutet nun das Wort Stand erſtlich einen
Begriff/ darvon man ſagen kan/ daß eine Perſon oder eine Sache in
demſelben oder auſſer demſelben ſich befinde. Dieſer Begriff aber wird
hinwiederum auff zweyerley Weiſe betrachtet;

1. Wuͤrcklich und in der That; in dem zum Exempel/ viel
Perſonen die ſich zuſammen geſchlagen/ und eine Geſellſchafft gemacht
haben/ ſelbſt der Begriff ihrer viele/ das iſt/ viele zu einer Societaͤt in
Zuſammenhaltung begriffene Perſonen/ und ein Stands-Begriff/ ge-
nennet werden; als wann man ſagt/ der Fuͤrſten-Stand auff dem
Reichstag habe dieſes oder jenes beſchloſſen: das iſt/ die geſamten Fuͤr-
ſten/ alle zuſammen in einem Begriff.

2. Abſonderlich und in Gedancken/ in dem man ſich den Be-
griff/ als wann er von denen Geſellſchaffts-Perſonen/ die veraͤnderlich
und beweglich ſind/ unterſchieden waͤre/ durch ſubtile Gedancken abſon-
derlich einbildet/ und ihn als ein unbeweglich unveraͤnderlich Ding
(als einen Moraliſchen Raum) an ſtatt der Perſonen ſelbſt vorſtellet.
Von welchem abſtracten Begriff man redet/ wann man ſaget: der
Fuͤrſten-Stand im Reich ſterbe nicht/ wann gleich eine Perſon nach

der
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[58/0068] Vom Unterſcheid des Standes Das X. ſammen faͤllt/ und nur diverſo reſpectu, das iſt/ nach unterſchiedenen Abſehen der innerlichen Gedancken/ entſchieden iſt/ welche Gedancken die Menſchen einander nicht alſo geſchwind entdecken koͤnnen. Dahero die Partheyen oftmahls aͤrgerlicher in einander gerathen/ wann einer den andern außwickeln wil; als die Sache ſelbſt in einander geſteckt ſich befindet/ wann man jede Part in derſelben Sache fortfahren laͤſt/ biß ſie/ ihren Gedancken nach/ ſich vollſtaͤndig erklaͤret. Darumb zur Behutſamkeit/ wann eine Part anfaͤngt etwas zu proponiren/ ſo muß die zuhoͤrende Part/ wann ein Zweifel komt/ allzeit ſich nur vernuͤnfftig einbilden/ es wuͤrde vielleicht jene Part nicht alſo gemeynet haben/ wie es ihr als dieſer Part vorkomme: zumahl/ wann ein Wort dabey/ wel- ches ſonſt auch mancherley Bedeutung dem gemeinem Gebrauch nach auff ſich hat. Zu welchem Ende die Alten ihre Diſputationes nicht ſtracks mit dem opponiren/ ſondern mit Fragen angefangen/ wie iederman wohl weiß/ dadurch ſie alle Wort-Streit evitiren/ und lau- ter real-controverſien friedlich tractiren koͤnnen/ daraus auch ſo viel Weißheit entſprungen. Dieſem nach/ ſo bedeutet nun das Wort Stand erſtlich einen Begriff/ darvon man ſagen kan/ daß eine Perſon oder eine Sache in demſelben oder auſſer demſelben ſich befinde. Dieſer Begriff aber wird hinwiederum auff zweyerley Weiſe betrachtet; 1. Wuͤrcklich und in der That; in dem zum Exempel/ viel Perſonen die ſich zuſammen geſchlagen/ und eine Geſellſchafft gemacht haben/ ſelbſt der Begriff ihrer viele/ das iſt/ viele zu einer Societaͤt in Zuſammenhaltung begriffene Perſonen/ und ein Stands-Begriff/ ge- nennet werden; als wann man ſagt/ der Fuͤrſten-Stand auff dem Reichstag habe dieſes oder jenes beſchloſſen: das iſt/ die geſamten Fuͤr- ſten/ alle zuſammen in einem Begriff. 2. Abſonderlich und in Gedancken/ in dem man ſich den Be- griff/ als wann er von denen Geſellſchaffts-Perſonen/ die veraͤnderlich und beweglich ſind/ unterſchieden waͤre/ durch ſubtile Gedancken abſon- derlich einbildet/ und ihn als ein unbeweglich unveraͤnderlich Ding (als einen Moraliſchen Raum) an ſtatt der Perſonen ſelbſt vorſtellet. Von welchem abſtracten Begriff man redet/ wann man ſaget: der Fuͤrſten-Stand im Reich ſterbe nicht/ wann gleich eine Perſon nach der

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Zitationshilfe: Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674/68>, abgerufen am 18.04.2024.