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Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674.

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Capitel. im gemeinen Wesen.
jede Parthey/ ihre dazu gesagte Beschaffenheit recht wäre/ wie sie war-
haftig ist; jene entgegen stehende aber wäre falsch; die doch auch die wahre
Beschaffenheit ist der andern Sache/ welche die andere Parthey mit eben
demselben Wort meynet/ daran aber jene Part nicht gedencket. Und
also muß das Katzbalgen/ als wann die Partheyen wider einander
wären/ da doch eine der andern ihre gemeynte Sache nicht berühret/ so
lange getrieben werden/ biß ein Praesident sich auff die Distinction fin-
det/ daß zweyerley Sachen unter einerley Wort stecken/ und also zwey-
erley unterschiedene Reden mit einem vorstehenden Wort geführet
werden mögen. Weil man aber bey gefundener solcher Distinction
nicht das Wort zum Fundament zusetzen vermeynet/ sondern das/ was
das Wort bedeutet/ nemlich ein abstractes Werck/ (oder vielmehr ei-
nen einig scheinenden höhern Gedancken von allen beyden Sachen/ die
unter demselben Wort stecken) zu distinguiren und zuunterscheiden be-
mühet ist/ mit welchen höhern Gedancken (als mit einem innerlichen
Wort) beyde Sachen confus und überhaupt als eine gemeine Sache
vorgestellet werden; so wird man dadurch verleitet/ daß man meynet/
es betreffe der Unterscheid die Sachen selbst ausser denen Gedancken/
da er doch nur betrifft einen unbemarckten general-Gedancken von
zweyen unterschiedenen Sachen/ welcher überhaupt einer so wohl als
der andern zukomt; in der That aber zwey unterschiedene Stücke be-
greifft/ deren eines jene/ dieses diese Sache betrifft; daher solcher gene-
ral-
Gedancken/ wanns zum treffen komt/ und die Sachen in der Welt
gesuchet oder dargestellet werden sollen/ sich allezeit theilen muß/ daß er
nit von einer Sache so wol und gantz und gar/ als von der andern; son-
dern von dieser nach diesem/ von jener nach jenem Stück/ wahr gemacht
und verstanden werden möge.

Dieses Denck- und Sage-Werck stecket also wunderlich verstrickt
in einander/ daß wir alle miteinander es wol wissen/ wann wir/ wie
Augustinus von der Zeit sagt/ nicht dran dencken/ das ist/ wann wir
nur oben hin dran dencken; wann wir aber mit Fleiß dran dencken/ so
ist es zwar in den Zahlen/ oder bey dergleichen Gedancken von den Zah-
len/ leicht und klar (dadurch ich auch das erste Liecht in dieser Demme-
rung erblicket) aber bey dergleichen Gedancken von den Dingen/ und
von ihren Wesen selbst/ ist es schwer die Verstrickung außeinander zu
wickeln/ weil Recht und Unrecht allhier in einem ungewissen Wort zu-

sammen
H

Capitel. im gemeinen Weſen.
jede Parthey/ ihre dazu geſagte Beſchaffenheit recht waͤre/ wie ſie war-
haftig iſt; jene entgegẽ ſtehende aber waͤre falſch; die doch auch die wahre
Beſchaffenheit iſt der andern Sache/ welche die andere Parthey mit ebẽ
demſelben Wort meynet/ daran aber jene Part nicht gedencket. Und
alſo muß das Katzbalgen/ als wann die Partheyen wider einander
waͤren/ da doch eine der andern ihre gemeynte Sache nicht beruͤhret/ ſo
lange getrieben werden/ biß ein Præſident ſich auff die Diſtinction fin-
det/ daß zweyerley Sachen unter einerley Wort ſtecken/ und alſo zwey-
erley unterſchiedene Reden mit einem vorſtehenden Wort gefuͤhret
werden moͤgen. Weil man aber bey gefundener ſolcher Diſtinction
nicht das Wort zum Fundament zuſetzen vermeynet/ ſondern das/ was
das Wort bedeutet/ nemlich ein abſtractes Werck/ (oder vielmehr ei-
nen einig ſcheinenden hoͤhern Gedancken von allen beyden Sachen/ die
unter demſelben Wort ſtecken) zu diſtinguiren und zuunterſcheiden be-
muͤhet iſt/ mit welchen hoͤhern Gedancken (als mit einem innerlichen
Wort) beyde Sachen confus und uͤberhaupt als eine gemeine Sache
vorgeſtellet werden; ſo wird man dadurch verleitet/ daß man meynet/
es betreffe der Unterſcheid die Sachen ſelbſt auſſer denen Gedancken/
da er doch nur betrifft einen unbemarckten general-Gedancken von
zweyen unterſchiedenen Sachen/ welcher uͤberhaupt einer ſo wohl als
der andern zukomt; in der That aber zwey unterſchiedene Stuͤcke be-
greifft/ deren eines jene/ dieſes dieſe Sache betrifft; daher ſolcher gene-
ral-
Gedancken/ wanns zum treffen komt/ und die Sachen in der Welt
geſuchet oder dargeſtellet werden ſollen/ ſich allezeit theilen muß/ daß er
nit von einer Sache ſo wol und gantz und gar/ als von der andern; ſon-
dern von dieſer nach dieſem/ von jener nach jenem Stuͤck/ wahr gemacht
und verſtanden werden moͤge.

Dieſes Denck- und Sage-Werck ſtecket alſo wunderlich verſtrickt
in einander/ daß wir alle miteinander es wol wiſſen/ wann wir/ wie
Auguſtinus von der Zeit ſagt/ nicht dran dencken/ das iſt/ wann wir
nur oben hin dran dencken; wann wir aber mit Fleiß dran dencken/ ſo
iſt es zwar in den Zahlen/ oder bey dergleichen Gedancken von den Zah-
len/ leicht und klar (dadurch ich auch das erſte Liecht in dieſer Demme-
rung erblicket) aber bey dergleichen Gedancken von den Dingen/ und
von ihren Weſen ſelbſt/ iſt es ſchwer die Verſtrickung außeinander zu
wickeln/ weil Recht und Unrecht allhier in einem ungewiſſen Wort zu-

ſammen
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[57/0067] Capitel. im gemeinen Weſen. jede Parthey/ ihre dazu geſagte Beſchaffenheit recht waͤre/ wie ſie war- haftig iſt; jene entgegẽ ſtehende aber waͤre falſch; die doch auch die wahre Beſchaffenheit iſt der andern Sache/ welche die andere Parthey mit ebẽ demſelben Wort meynet/ daran aber jene Part nicht gedencket. Und alſo muß das Katzbalgen/ als wann die Partheyen wider einander waͤren/ da doch eine der andern ihre gemeynte Sache nicht beruͤhret/ ſo lange getrieben werden/ biß ein Præſident ſich auff die Diſtinction fin- det/ daß zweyerley Sachen unter einerley Wort ſtecken/ und alſo zwey- erley unterſchiedene Reden mit einem vorſtehenden Wort gefuͤhret werden moͤgen. Weil man aber bey gefundener ſolcher Diſtinction nicht das Wort zum Fundament zuſetzen vermeynet/ ſondern das/ was das Wort bedeutet/ nemlich ein abſtractes Werck/ (oder vielmehr ei- nen einig ſcheinenden hoͤhern Gedancken von allen beyden Sachen/ die unter demſelben Wort ſtecken) zu diſtinguiren und zuunterſcheiden be- muͤhet iſt/ mit welchen hoͤhern Gedancken (als mit einem innerlichen Wort) beyde Sachen confus und uͤberhaupt als eine gemeine Sache vorgeſtellet werden; ſo wird man dadurch verleitet/ daß man meynet/ es betreffe der Unterſcheid die Sachen ſelbſt auſſer denen Gedancken/ da er doch nur betrifft einen unbemarckten general-Gedancken von zweyen unterſchiedenen Sachen/ welcher uͤberhaupt einer ſo wohl als der andern zukomt; in der That aber zwey unterſchiedene Stuͤcke be- greifft/ deren eines jene/ dieſes dieſe Sache betrifft; daher ſolcher gene- ral-Gedancken/ wanns zum treffen komt/ und die Sachen in der Welt geſuchet oder dargeſtellet werden ſollen/ ſich allezeit theilen muß/ daß er nit von einer Sache ſo wol und gantz und gar/ als von der andern; ſon- dern von dieſer nach dieſem/ von jener nach jenem Stuͤck/ wahr gemacht und verſtanden werden moͤge. Dieſes Denck- und Sage-Werck ſtecket alſo wunderlich verſtrickt in einander/ daß wir alle miteinander es wol wiſſen/ wann wir/ wie Auguſtinus von der Zeit ſagt/ nicht dran dencken/ das iſt/ wann wir nur oben hin dran dencken; wann wir aber mit Fleiß dran dencken/ ſo iſt es zwar in den Zahlen/ oder bey dergleichen Gedancken von den Zah- len/ leicht und klar (dadurch ich auch das erſte Liecht in dieſer Demme- rung erblicket) aber bey dergleichen Gedancken von den Dingen/ und von ihren Weſen ſelbſt/ iſt es ſchwer die Verſtrickung außeinander zu wickeln/ weil Recht und Unrecht allhier in einem ungewiſſen Wort zu- ſammen H

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Zitationshilfe: Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674/67>, abgerufen am 24.04.2024.