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Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674.

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Von den Moralischen Geschickligkeiten/ Das XXI.
verändert und versetzet werden/ daß eines dem andern sich vor oder nach
stellen/ oder beyde gleichsam zusammen stossen/ ihrer viel auch in einer
gewissen Progression auff einander folgen mögen. Und dieses auff vie-
rerley Weise/ nehmlich

entweder nach dem Ort-Raum/ heist Latio die Bewegung.
1. ungemessen/ als die Veränderung von einem Ort zum andern/
2. gemessen/ von vordern zum hintern/ vom öbern zum untern/
von einer Seiten zur andern.
oder nach dem Zeit-Raum/ nach der Weile/ heist Duratio, und
solche gleicher Gestalt
3. ungemessen/ von einer Zeit/ zur andern.
4. gemessen/ von vorhergehender Zeit zur nachfolgenden/ denn
zurück kan keine Creatur in diesen Raum.

Eben dergleichen/ und noch ein mehrers an Geschickligkeit zur
Veränderung findet sich auch bey der Moralischen Welt. Und zwar

I. so finden sich allhier die viererley innerlichen und eigenthüm-
lichen Veränderungen
so wohl einzeler Qualitäten/ und Beschaffenheiten/ als
1. Alteratio, wenn eine Person oder Gespanschafft/ Ge-
sellschafft/ zwar in ihrem vorigen Wesen und esse blei-
bet/ in demselben aber einiger Beschaffenheit nach sich
alterirt/ zum Exempel in dem eine Person vorhin feind-
selig gewesen/ nun aber Freund worden: vorhin mür-
risch/ nun aber gesprächig: in dem eine Societät vorhin
autoritätisch/ nun aber unachtbar etc. Wenn ein Proceß
sich alterirt/ und eine odiose Sache zu einer favorabeln
wird.
2. Agrumentatio, Diminutio, wenn eine Person oder Ge-
meine zu oder abnimpt an der Anzahl/ oder an Vermö-
gen/ an Ehre/ an Macht/ doch also daß solche Zu- oder
Abnehmung nicht selbst das gantze Moralische Wesen
verändere. Denn wie bey der Natur offtmals durch
blosse prosthaphaeresin, zu- oder abnemen/ eine neue spe-
cies
wird/ als auß einem Hügel ein Berg/ auß einem un-
vollkommlich vermischten Cörper/ ein vollkommlich
vermischter/ auß einem geraden Winckel/ ein stumpffer
auß einem kühlen Lüfftlein ein Sturm Wind/ auß ei-
nem

Von den Moraliſchen Geſchickligkeiten/ Das XXI.
veraͤndert und verſetzet werden/ daß eines dem andern ſich vor oder nach
ſtellen/ oder beyde gleichſam zuſammen ſtoſſen/ ihrer viel auch in einer
gewiſſen Progreſſion auff einander folgen moͤgen. Und dieſes auff vie-
rerley Weiſe/ nehmlich

♈ entweder nach dem Ort-Raum/ heiſt Latio die Bewegung.
1. ungemeſſen/ als die Veraͤnderung von einem Ort zum andern/
2. gemeſſen/ von vordern zum hintern/ vom oͤbern zum untern/
von einer Seiten zur andern.
♎ oder nach dem Zeit-Raum/ nach der Weile/ heiſt Duratio, und
ſolche gleicher Geſtalt
3. ungemeſſen/ von einer Zeit/ zur andern.
4. gemeſſen/ von vorhergehender Zeit zur nachfolgenden/ denn
zuruͤck kan keine Creatur in dieſen Raum.

Eben dergleichen/ und noch ein mehrers an Geſchickligkeit zur
Veraͤnderung findet ſich auch bey der Moraliſchen Welt. Und zwar

I. ſo finden ſich allhier die viererley innerlichen und eigenthuͤm-
lichen Veraͤnderungen
♈ ſo wohl einzeler Qualitaͤten/ und Beſchaffenheiten/ als
1. Alteratio, wenn eine Perſon oder Geſpanſchafft/ Ge-
ſellſchafft/ zwar in ihrem vorigen Weſen und eſſe blei-
bet/ in demſelben aber einiger Beſchaffenheit nach ſich
alterirt/ zum Exempel in dem eine Perſon vorhin feind-
ſelig geweſen/ nun aber Freund worden: vorhin muͤr-
riſch/ nun aber geſpraͤchig: in dem eine Societaͤt vorhin
autoritaͤtiſch/ nun aber unachtbar ꝛc. Wenn ein Proceß
ſich alterirt/ und eine odioſe Sache zu einer favorabeln
wird.
2. Agrumentatio, Diminutio, wenn eine Perſon oder Ge-
meine zu oder abnimpt an der Anzahl/ oder an Vermoͤ-
gen/ an Ehre/ an Macht/ doch alſo daß ſolche Zu- oder
Abnehmung nicht ſelbſt das gantze Moraliſche Weſen
veraͤndere. Denn wie bey der Natur offtmals durch
bloſſe proſthaphæreſin, zu- oder abnemen/ eine neue ſpe-
cies
wird/ als auß einem Huͤgel ein Berg/ auß einem un-
vollkommlich vermiſchten Coͤrper/ ein vollkommlich
vermiſchter/ auß einem geraden Winckel/ ein ſtumpffer
auß einem kuͤhlen Luͤfftlein ein Sturm Wind/ auß ei-
nem
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[150/0160] Von den Moraliſchen Geſchickligkeiten/ Das XXI. veraͤndert und verſetzet werden/ daß eines dem andern ſich vor oder nach ſtellen/ oder beyde gleichſam zuſammen ſtoſſen/ ihrer viel auch in einer gewiſſen Progreſſion auff einander folgen moͤgen. Und dieſes auff vie- rerley Weiſe/ nehmlich ♈ entweder nach dem Ort-Raum/ heiſt Latio die Bewegung. 1. ungemeſſen/ als die Veraͤnderung von einem Ort zum andern/ 2. gemeſſen/ von vordern zum hintern/ vom oͤbern zum untern/ von einer Seiten zur andern. ♎ oder nach dem Zeit-Raum/ nach der Weile/ heiſt Duratio, und ſolche gleicher Geſtalt 3. ungemeſſen/ von einer Zeit/ zur andern. 4. gemeſſen/ von vorhergehender Zeit zur nachfolgenden/ denn zuruͤck kan keine Creatur in dieſen Raum. Eben dergleichen/ und noch ein mehrers an Geſchickligkeit zur Veraͤnderung findet ſich auch bey der Moraliſchen Welt. Und zwar I. ſo finden ſich allhier die viererley innerlichen und eigenthuͤm- lichen Veraͤnderungen ♈ ſo wohl einzeler Qualitaͤten/ und Beſchaffenheiten/ als 1. Alteratio, wenn eine Perſon oder Geſpanſchafft/ Ge- ſellſchafft/ zwar in ihrem vorigen Weſen und eſſe blei- bet/ in demſelben aber einiger Beſchaffenheit nach ſich alterirt/ zum Exempel in dem eine Perſon vorhin feind- ſelig geweſen/ nun aber Freund worden: vorhin muͤr- riſch/ nun aber geſpraͤchig: in dem eine Societaͤt vorhin autoritaͤtiſch/ nun aber unachtbar ꝛc. Wenn ein Proceß ſich alterirt/ und eine odioſe Sache zu einer favorabeln wird. 2. Agrumentatio, Diminutio, wenn eine Perſon oder Ge- meine zu oder abnimpt an der Anzahl/ oder an Vermoͤ- gen/ an Ehre/ an Macht/ doch alſo daß ſolche Zu- oder Abnehmung nicht ſelbſt das gantze Moraliſche Weſen veraͤndere. Denn wie bey der Natur offtmals durch bloſſe proſthaphæreſin, zu- oder abnemen/ eine neue ſpe- cies wird/ als auß einem Huͤgel ein Berg/ auß einem un- vollkommlich vermiſchten Coͤrper/ ein vollkommlich vermiſchter/ auß einem geraden Winckel/ ein ſtumpffer auß einem kuͤhlen Luͤfftlein ein Sturm Wind/ auß ei- nem

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Zitationshilfe: Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674/160>, abgerufen am 19.04.2024.