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Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674.

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Von dem Menschlichen Das I.
der Erden befindet/ und seine subtile Substantz alle Elemente/ von den
Sternen an biß dahin/ durchdringet. Und dahero so lebet er unter
Gottes unumschränckter Regierung und Botmäßigkeit/ als welcher
den Menschen zu seinem Dienst geschaffen/ und auff diesen in der aller-
subtilesten flüchtigen Materie des Himmels/ als in einem unfühlba-
ren Meer/ also schwimmenden/ aber mit ein wenig gröberer Luft zur
Nothdurfft umwickelten/ Mittelpunct der Welt/ als auff einen Schau-
platz gesetzet hat/ dessen Bequemlichkeit zugeniessen/ und dadurch den
Schauplatz selbst/ und aus demselben das übrige des grossen Königli-
chen wundersamen Welt-Pallasts/ mit Verstand zubetrachten/ seinen
Schöpffer und Herrn dadurch zuerkennen/ ihme gleichsam nachzu-
rechnen/ dessen unbegreiffliche Rechenkunst nur in etwas von ferne zu-
erblicken/ und in seinem Leben sich nach dem Moralischen/ ihme von
der Natur eingeprägten Einmaleins also zubezeigen/ daß Gott als
der Schöpffer/ so zugleich Vater und Herr/ an ihm ein Wolgefallen
haben möge. Wovor er vor andern Creaturen die Freude und Ehre
eines verständigen Kindes Gottes und eines angenommenen Rechen-
Schülers haben/ und dabey allerley Gutes geniessen solte.

§. 5. Wiewohln nun der in heiliger Schrift uns geoffenbahr-
te Fall unserer ersten Eltern diese Freude dem Menschlichen Geschlecht
ziemlich versaltzen/ so gar/ daß wir dadurch alle zugleich an statt der-
selben in lauter Traurigkeit/ ob der darauf erfolgter Verduncklung des
Verstandes und Widersinnigkeit des Willens/ ja gar in das ewige Ver-
damnüß/ gestürtzet worden; so hat doch Christus durch sein Leiden und
Sterben uns die Seligkeit wieder erworben. Und müssen wir nun
nicht allein solche Erlösung mit wahren Glauben ergreiffen; sondern
auch dahin trachten/ daß wir den gleichsam erloschenen Verstand und
verderbten Willen des Menschen aus denen nach dem Fall übergeblie-
nen Füncklein/ durch Gottes Gnade nach und nach wieder anfrischen
und erwecken/ auch deßwegen einander nach aller Mögligkeit die Hand
bieten mögen. Wohin nicht allein eben dasselbe geoffenbahrte Wort
Gottes/ sondern auch die wahre Welt-Weißheit gerichtet ist/ als durch
welche wir unsern Verstand aus dem wunderbahren/ und von aller
Welt vor Gottes eigenhändiges Werck iederzeit billig erkandten Ge-
schöpffen/ als aus einem sichtbaren und natürlichen Worte Gottes/
wohl zuerbauen/ und hierauff unser Thun und Leben/ so viel in dieser

Zeit-

Von dem Menſchlichen Das I.
der Erden befindet/ und ſeine ſubtile Subſtantz alle Elemente/ von den
Sternen an biß dahin/ durchdringet. Und dahero ſo lebet er unter
Gottes unumſchraͤnckter Regierung und Botmaͤßigkeit/ als welcher
den Menſchen zu ſeinem Dienſt geſchaffen/ und auff dieſen in der aller-
ſubtileſten fluͤchtigen Materie des Himmels/ als in einem unfuͤhlba-
ren Meer/ alſo ſchwimmenden/ aber mit ein wenig groͤberer Luft zur
Nothdurfft umwickelten/ Mittelpunct der Welt/ als auff einen Schau-
platz geſetzet hat/ deſſen Bequemlichkeit zugenieſſen/ und dadurch den
Schauplatz ſelbſt/ und aus demſelben das uͤbrige des groſſen Koͤnigli-
chen wunderſamen Welt-Pallaſts/ mit Verſtand zubetrachten/ ſeinen
Schoͤpffer und Herrn dadurch zuerkennen/ ihme gleichſam nachzu-
rechnen/ deſſen unbegreiffliche Rechenkunſt nur in etwas von ferne zu-
erblicken/ und in ſeinem Leben ſich nach dem Moraliſchen/ ihme von
der Natur eingepraͤgten Einmaleins alſo zubezeigen/ daß Gott als
der Schoͤpffer/ ſo zugleich Vater und Herr/ an ihm ein Wolgefallen
haben moͤge. Wovor er vor andern Creaturen die Freude und Ehre
eines verſtaͤndigen Kindes Gottes und eines angenommenen Rechen-
Schuͤlers haben/ und dabey allerley Gutes genieſſen ſolte.

§. 5. Wiewohln nun der in heiliger Schrift uns geoffenbahr-
te Fall unſerer erſten Eltern dieſe Freude dem Menſchlichen Geſchlecht
ziemlich verſaltzen/ ſo gar/ daß wir dadurch alle zugleich an ſtatt der-
ſelben in lauter Traurigkeit/ ob der darauf erfolgter Verduncklung des
Verſtandes und Widerſinnigkeit des Willens/ ja gar in das ewige Ver-
damnuͤß/ geſtuͤrtzet worden; ſo hat doch Chriſtus durch ſein Leiden und
Sterben uns die Seligkeit wieder erworben. Und muͤſſen wir nun
nicht allein ſolche Erloͤſung mit wahren Glauben ergreiffen; ſondern
auch dahin trachten/ daß wir den gleichſam erloſchenen Verſtand und
verderbten Willen des Menſchen aus denen nach dem Fall uͤbergeblie-
nen Fuͤncklein/ durch Gottes Gnade nach und nach wieder anfriſchen
und erwecken/ auch deßwegen einander nach aller Moͤgligkeit die Hand
bieten moͤgen. Wohin nicht allein eben daſſelbe geoffenbahrte Wort
Gottes/ ſondern auch die wahre Welt-Weißheit gerichtet iſt/ als durch
welche wir unſern Verſtand aus dem wunderbahren/ und von aller
Welt vor Gottes eigenhaͤndiges Werck iederzeit billig erkandten Ge-
ſchoͤpffen/ als aus einem ſichtbaren und natuͤrlichen Worte Gottes/
wohl zuerbauen/ und hierauff unſer Thun und Leben/ ſo viel in dieſer

Zeit-
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[4/0014] Von dem Menſchlichen Das I. der Erden befindet/ und ſeine ſubtile Subſtantz alle Elemente/ von den Sternen an biß dahin/ durchdringet. Und dahero ſo lebet er unter Gottes unumſchraͤnckter Regierung und Botmaͤßigkeit/ als welcher den Menſchen zu ſeinem Dienſt geſchaffen/ und auff dieſen in der aller- ſubtileſten fluͤchtigen Materie des Himmels/ als in einem unfuͤhlba- ren Meer/ alſo ſchwimmenden/ aber mit ein wenig groͤberer Luft zur Nothdurfft umwickelten/ Mittelpunct der Welt/ als auff einen Schau- platz geſetzet hat/ deſſen Bequemlichkeit zugenieſſen/ und dadurch den Schauplatz ſelbſt/ und aus demſelben das uͤbrige des groſſen Koͤnigli- chen wunderſamen Welt-Pallaſts/ mit Verſtand zubetrachten/ ſeinen Schoͤpffer und Herrn dadurch zuerkennen/ ihme gleichſam nachzu- rechnen/ deſſen unbegreiffliche Rechenkunſt nur in etwas von ferne zu- erblicken/ und in ſeinem Leben ſich nach dem Moraliſchen/ ihme von der Natur eingepraͤgten Einmaleins alſo zubezeigen/ daß Gott als der Schoͤpffer/ ſo zugleich Vater und Herr/ an ihm ein Wolgefallen haben moͤge. Wovor er vor andern Creaturen die Freude und Ehre eines verſtaͤndigen Kindes Gottes und eines angenommenen Rechen- Schuͤlers haben/ und dabey allerley Gutes genieſſen ſolte. §. 5. Wiewohln nun der in heiliger Schrift uns geoffenbahr- te Fall unſerer erſten Eltern dieſe Freude dem Menſchlichen Geſchlecht ziemlich verſaltzen/ ſo gar/ daß wir dadurch alle zugleich an ſtatt der- ſelben in lauter Traurigkeit/ ob der darauf erfolgter Verduncklung des Verſtandes und Widerſinnigkeit des Willens/ ja gar in das ewige Ver- damnuͤß/ geſtuͤrtzet worden; ſo hat doch Chriſtus durch ſein Leiden und Sterben uns die Seligkeit wieder erworben. Und muͤſſen wir nun nicht allein ſolche Erloͤſung mit wahren Glauben ergreiffen; ſondern auch dahin trachten/ daß wir den gleichſam erloſchenen Verſtand und verderbten Willen des Menſchen aus denen nach dem Fall uͤbergeblie- nen Fuͤncklein/ durch Gottes Gnade nach und nach wieder anfriſchen und erwecken/ auch deßwegen einander nach aller Moͤgligkeit die Hand bieten moͤgen. Wohin nicht allein eben daſſelbe geoffenbahrte Wort Gottes/ ſondern auch die wahre Welt-Weißheit gerichtet iſt/ als durch welche wir unſern Verſtand aus dem wunderbahren/ und von aller Welt vor Gottes eigenhaͤndiges Werck iederzeit billig erkandten Ge- ſchoͤpffen/ als aus einem ſichtbaren und natuͤrlichen Worte Gottes/ wohl zuerbauen/ und hierauff unſer Thun und Leben/ ſo viel in dieſer Zeit-

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Zitationshilfe: Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674/14>, abgerufen am 28.03.2024.