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Weigel, Valentin: Der güldene Griff/ Alle Ding ohne Jrrthumb zuerkennen. Halle (Saale), 1613.

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Der güldene Griff.


Das zwölffte Capitel.
Was natürliche vnd vbernatürliche Er-
kentnis heisse/ vnd daß sich diese allzeit leidenlich hal-

te/ jene aber wircklichen/ vnd worzu solche Betrach-
tung diene.

DJe natürliche Erkentnis heist alles das/ da der
Mensch durch eigene Krefft vnd Vermögen/ ein obje-
ctum
vor sich nimpt vnd erforscht/ vnd ergründt desselben
Eigenschafft/ Natur vnd Wirckung/ es sey nun im sichtbarn oder
vnsichtbarn Leib der Natur/ diese Erkentnis möchte auch heissen
ein eusserliche Erkentnis/ verstehe nicht das vom objecto erst das
Vrtheil oder Er[k]ennen/ von aussen zu in den Verstand getragen
werde/ sondern daß an dem Gegenwurff/ solch inwendig Erkent-
nis durch grossen fleiß vnd nachsuchen/ erweckt vnd erfunden wer-
de/ denn es ist biß anher gnugsam erwiesen/ daß der Gegenwurff nit
wircket in dem Erkenner/ als daß er solt geben dem Menschen/ das
Vrtheil vnd Erkentnis/ sondern daß es vom Menschen fliesse in
den Gegenwurff selber/ daß aber gleichwol der Mensch durch eus-
serliche objecta oder Gegenwürff erwecket wird zu der Erkentnis/
lest sich ansehn als helt sich die natürliche Erkentnis leidenlich/ vnd
nicht wircklich/ so sol doch darauff gesehen werden/ daß alle mahl
die cognition vnd das judicium stehe nicht bey dem objecto,
sondern in vnd bey dem Menschen/ daß ers vrtheil vnd erkenne/
was vor jhm ligt/ darumb obwohl die E[r]kentnis des Menschen
vom Gegenwurff erwecket vnd ermahnet wird/ so kömpt sie doch
nicht leidenlicher weiß hinein in den Menschen/ sondern fliesset
gleich wircklicher weiß in das subjectum, nach Art vnd Geschick-

keit
F
Der guͤldene Griff.


Das zwoͤlffte Capitel.
Was natuͤrliche vnd vbernatuͤrliche Er-
kentnis heiſſe/ vnd daß ſich dieſe allzeit leidenlich hal-

te/ jene aber wircklichen/ vnd worzu ſolche Betrach-
tung diene.

DJe natuͤrliche Erkentnis heiſt alles das/ da der
Menſch durch eigene Krefft vnd Vermoͤgen/ ein obje-
ctum
vor ſich nimpt vnd erforſcht/ vnd ergruͤndt deſſelben
Eigenſchafft/ Natur vnd Wirckung/ es ſey nun im ſichtbarn oder
vnſichtbarn Leib der Natur/ dieſe Erkentnis moͤchte auch heiſſen
ein euſſerliche Erkentnis/ verſtehe nicht das vom objecto erſt das
Vrtheil oder Er[k]ennen/ von auſſen zu in den Verſtand getragen
werde/ ſondern daß an dem Gegenwurff/ ſolch inwendig Erkent-
nis durch groſſen fleiß vnd nachſuchen/ erweckt vnd erfunden wer-
de/ deñ es iſt biß anher gnugſam erwieſen/ daß der Gegenwurff nit
wircket in dem Erkenner/ als daß er ſolt geben dem Menſchen/ das
Vrtheil vnd Erkentnis/ ſondern daß es vom Menſchen flieſſe in
den Gegenwurff ſelber/ daß aber gleichwol der Menſch durch euſ-
ſerliche objecta oder Gegenwuͤrff erwecket wird zu der Erkentnis/
leſt ſich anſehn als helt ſich die natuͤrliche Erkentnis leidenlich/ vnd
nicht wircklich/ ſo ſol doch darauff geſehen werden/ daß alle mahl
die cognition vnd das judicium ſtehe nicht bey dem objecto,
ſondern in vnd bey dem Menſchen/ daß ers vrtheil vnd erkenne/
was vor jhm ligt/ darumb obwohl die E[r]kentnis des Menſchen
vom Gegenwurff erwecket vnd ermahnet wird/ ſo koͤmpt ſie doch
nicht leidenlicher weiß hinein in den Menſchen/ ſondern flieſſet
gleich wircklicher weiß in das ſubjectum, nach Art vnd Geſchick-

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F
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[0043] Der guͤldene Griff. Das zwoͤlffte Capitel. Was natuͤrliche vnd vbernatuͤrliche Er- kentnis heiſſe/ vnd daß ſich dieſe allzeit leidenlich hal- te/ jene aber wircklichen/ vnd worzu ſolche Betrach- tung diene. DJe natuͤrliche Erkentnis heiſt alles das/ da der Menſch durch eigene Krefft vnd Vermoͤgen/ ein obje- ctum vor ſich nimpt vnd erforſcht/ vnd ergruͤndt deſſelben Eigenſchafft/ Natur vnd Wirckung/ es ſey nun im ſichtbarn oder vnſichtbarn Leib der Natur/ dieſe Erkentnis moͤchte auch heiſſen ein euſſerliche Erkentnis/ verſtehe nicht das vom objecto erſt das Vrtheil oder Erkennen/ von auſſen zu in den Verſtand getragen werde/ ſondern daß an dem Gegenwurff/ ſolch inwendig Erkent- nis durch groſſen fleiß vnd nachſuchen/ erweckt vnd erfunden wer- de/ deñ es iſt biß anher gnugſam erwieſen/ daß der Gegenwurff nit wircket in dem Erkenner/ als daß er ſolt geben dem Menſchen/ das Vrtheil vnd Erkentnis/ ſondern daß es vom Menſchen flieſſe in den Gegenwurff ſelber/ daß aber gleichwol der Menſch durch euſ- ſerliche objecta oder Gegenwuͤrff erwecket wird zu der Erkentnis/ leſt ſich anſehn als helt ſich die natuͤrliche Erkentnis leidenlich/ vnd nicht wircklich/ ſo ſol doch darauff geſehen werden/ daß alle mahl die cognition vnd das judicium ſtehe nicht bey dem objecto, ſondern in vnd bey dem Menſchen/ daß ers vrtheil vnd erkenne/ was vor jhm ligt/ darumb obwohl die Erkentnis des Menſchen vom Gegenwurff erwecket vnd ermahnet wird/ ſo koͤmpt ſie doch nicht leidenlicher weiß hinein in den Menſchen/ ſondern flieſſet gleich wircklicher weiß in das ſubjectum, nach Art vnd Geſchick- keit F

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Zitationshilfe: Weigel, Valentin: Der güldene Griff/ Alle Ding ohne Jrrthumb zuerkennen. Halle (Saale), 1613, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_gueldenergriff_1613/43>, abgerufen am 29.03.2024.